Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung des § 46 FGO (Untätigkeitsklage).

2. Ist eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO in der Hauptsache erledigt, weil das FA dem Einspruch stattgegeben hat, ohne daß das FG dem FA hierzu eine Frist gesetzt hat, so ist über die Kosten des Verfahrens nach § 138 Abs. 1 FGO zu entscheiden.

2. Die Kosten fallen bei Erledigung einer Untägigkeitsklage in der Regel dem Stpfl. zur Last, wenn das FA gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO in angemessener Frist über den Einspruch entschieden hat.

2. Zur Angemessenheit der Frist, innerhalb der die Entscheidung des FA ergehen muß, wenn eine dem Stpfl. günstige Entscheidung des BVerfG ergangen ist.

 

Normenkette

FGO §§ 46, 128 Abs. 3, §§ 129, 138, 158

 

Tatbestand

Die Stpfl. war bis zum 6. Dezember 1963 Mitglied der Evang.-lutherischen Kirche. Ihr Ehemann gehört keiner Religionsgemeinschaft an.

Die Stpfl. wurde im Streitjahr 1963 zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt; eigene Einkünfte hatte sie nicht. Gemäß § 3 der Kirchensteuerordnung für die Evang.-luth. Kirche im Hamburgischen Staate vom 18. März 1947 in der Fassung vom 12. März 1959 (BStBl II 1959, 97) setzte das FA die Kirchensteuer für die Stpfl. nach dem gemeinschaftlichen Einkommen der Ehegatten auf 679,48 DM fest.

Gegen diesen Bescheid legte die Stpfl. am 26. Oktober 1965 Sprungberufung ein, die das FA im Einverständnis mit der Stpfl. als Einspruch behandelte. Sie stimmte dem Vorschlag des FA zu, das Verfahren so lange auszusetzen, bis der BFH oder das BVerfG über die Rechtsgültigkeit der Veranlagung zur Kirchensteuer bei glaubensverschiedenen Ehen entschieden habe. Das FA setzte die Vollziehung des Kirchensteuerbescheids gemäß § 251 AO a. F. bis zur Erledigung des Rechtsmittels, längstens jedoch bis zum 1. September 1966 aus.

Am 3. Februar 1966 wies die Stpfl. das FA darauf hin, daß das BVerfG durch Urteil 1 BvR 606/60 vom 14. Dezember 1965 (BStBl I 1966, 196) den Halbteilungsgrundsatz des deutschen Kirchensteuerrechts für verfassungswidrig erklärt habe, die Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens also entfallen seien. Das FA teilte der Stpfl. am 8. März 1966 mit, die aus der Entscheidung des BVerfG zu ziehenden Folgerungen seien zur Zeit nicht eindeutig, so daß bis zum Erlaß von Anweisungen für die Übergangszeit der Kirchensteuerbescheid nicht geändert werden könne.

Die Stpfl. erhob daraufhin am 21. März 1966 Klage nach § 46 Abs. 1 FGO mit dem Antrag, den Kirchensteuerbescheid 1963 aufzuheben. Nachdem das FA am 20. September 1966 den Kirchensteuerbescheid 1963 geändert und die Kirchensteuerschuld auf 0 DM festgesetzt hatte, erklärten die Beteiligten die Hauptsache für erledigt. Das FG legte die Kosten des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO (zweite Alternative) dem FA auf und erklärte die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig. Es führte aus, es könne dahingestellt bleiben, ob die Stpfl. die Klage zu früh erhoben habe. Die Sperrfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO habe jedenfalls mit Ablauf des 26. Juli 1966 geendet. Entgegen der Ansicht des FA sei bei der Berechnung dieser Frist die Aussetzung des Verfahrens in der Zeit vom 26. Oktober 1965 bis 3. Februar 1966 nicht zu berücksichtigen. Nach dem Ablauf der Sperrfrist habe für das FA kein Grund mehr bestanden, die Entscheidung über den Einspruch zu verzögern.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde des FA ist zulässig.

Gegen den nach § 143 FGO ergangenen Beschluß des FG über die Kosten ist nach §§ 128 und 129 Abs. 1 FGO die innerhalb von zwei Wochen einzulegende Beschwerde gegeben. Diese Frist hat das FA gewahrt. Die Beschwerde ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil die Beschwerdeschrift keinen Antrag enthielt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde überhaupt einen bestimmten Antrag erfordert. In entsprechender Anwendung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO genügt es jedenfalls, wenn der Antrag sich wie hier aus der Beschwerdebegründungsschrift ergibt.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 138 Abs. 1 FGO und nicht nach der Ausnahmeregelung des § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO. In § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO wird vorausgesetzt, daß sich ein Rechtsstreit dadurch erledigt, daß der angefochtene Bescheid antragsgemäß geändert ist (erste Alternative) oder bei Erhebung der Untätigkeitsklage dem außergerichtlichen Rechtsbehelf innerhalb der vom FG nach § 46 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 FGO gesetzten Frist stattgegeben wird (zweite Alternative). Die zweite Alternative liegt nicht vor, da das FG dem FA keine Frist gesetzt hatte. Sie kann als Ausnahmetatbestand - entgegen der Ansicht des FG - auch nicht analog angewendet werden. Die erste Alternative kann der Kostenentscheidung nicht zugrunde gelegt werden, da sie nicht die Erledigung einer Untätigkeitsklage betrifft; denn sonst wäre die zweite Alternative gegenstandslos.

Nach § 138 Abs. 1 FGO ist bei der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu befinden. Hiernach muß in der Regel der Kläger die Kosten des Verfahrens tragen, wenn die Klage zur Zeit ihrer Erledigung unzulässig oder unbegründet war.

Zulässig ist eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO, wenn das FA oder die OFD über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf (Einspruch oder Beschwerde nach §§ 229 und 230 AO) "ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes" in "angemessener Frist" sachlich nicht entschieden hat. Welche Frist "angemessen" ist, hat der Gesetzgeber in § 46 FGO näher bestimmt.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO hat die Verwaltungsbehörde mindestens ein halbes Jahr Zeit, um über den Rechtsbehelf zu entscheiden; bei Verwaltungsakten im Sinne des § 229 AO auf dem Gebiet der Besitz- und Verkehrsteuern beträgt die Frist in den ersten drei Jahren nach dem Inkrafttreten der FGO sogar neun Monate (§ 158 Abs. 1 Satz 1 FGO). Eine vorher erhobene Klage ist unzulässig, wenn nicht besondere Umstände eine kürzere Frist rechtfertigen.

Nach § 46 Abs. 2 FGO kann die Untätigkeitsklage andererseits grundsätzlich nur bis zum Ablauf eines Jahres seit der Einlegung des Rechtsbehelfs erhoben werden; nach § 158 Abs. 2 FGO endet diese Frist in den Übergangsfällen aber nicht vor dem Ablauf eines Jahres nach dem Inkrafttreten der FGO.

Die Behörde kann mithin nur in Ausnahmefällen ohne das Risiko einer Untätigkeitsklage erst nach dem Ablauf von sechs bzw. neun Monaten entscheiden. Entscheidet sie danach, so richtet sich die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage danach, ob die Behörde dem Stpfl. einen zureichenden Grund für die Verzögerung mitgeteilt hatte (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 46 Anm. 17-19; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Auflage § 46 FGO, Anm. 3-5).

Im Streitfall fallen der Stpfl. die Kosten des Verfahrens zur Last, da die Klage zur Zeit der Erledigung des Rechtsstreits (am 20. September 1966) unzulässig war. Die Stpfl. hat zunächst die Neun-Monatsfrist der §§ 46 Abs. 1 Satz 2, 158 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht gewahrt. Sie hat den Einspruch am 26. Oktober 1965 eingelegt und die Klage am 21. März 1966 erhoben; die Neun-Monatsfrist endete aber erst am 26. Juli 1966.

Nach dem Urteil des BVerwG I C 24/63 vom 20. Januar 1966 (NJW 1966, 750) zu § 75 VwGO, der dem § 46 FGO entspricht, ist dieser Mangel allerdings durch den Ablauf der Frist am 26. Juli 1966 geheilt. Das FA meint zwar, die Neun-Monatsfrist sei zur Zeit der Erledigung der Hauptsache am 20. September 1966 wegen der Aussetzung des Verfahrens noch nicht abgelaufen gewesen. Durch die Aussetzung des Verfahrens wird aber weder der Beginn noch der Ablauf der Klagefrist hinausgeschoben. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO beginnt die Frist stets mit der Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs; sie kann wegen besonderer Umstände im Einzelfall zwar kürzer, nie aber länger als sechs bzw. neun Monate sein. Die Aussetzung des Verfahrens kann sich nur dahin auswirken, daß das FA gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO aus "zureichendem Grund" die Entscheidung ggf. längere Zeit hinausgeschoben hat und die Klage auf Grund dieser Umstände nach § 46 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO ggf. noch nach Ablauf eines Jahres seit der Einlegung des Einspruchs zulässig ist (Ziemer-Birkholz, a. a. O., Anm. 15 und 19; BFH-Beschluß III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182).

Die Klage ist im Streitfall aber auch nach dem Ablauf der Neun-Monatsfrist unzulässig geblieben. Das FA hat der Stpfl. mitgeteilt, es könne den angegriffenen Kirchensteuerbescheid 1963 erst ändern, wenn die Finanzbehörde allgemeine Anweisungen über die aus dem Urteil des BVerfG vom 14. Dezember 1965 zu ziehenden Folgerungen erlassen habe. Dies ist - entgegen der Ansicht des FG - ein zureichender Grund im Sinne des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO, die Entscheidung über den Einspruch bis zum Erlaß einer Übergangsregelung hinauszuschieben. Es entspricht dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, daß die Finanzverwaltung in Fällen der vorliegenden Art vor der Erledigung der schwebenden Einsprüche zunächst die Zweifelsfragen einheitlich regelt, die sich aus der Anwendung des Urteils des BVerfG ergeben. Solche Anweisungen ergingen in allen Bundesländern, z. B. in Hamburg am 9. Juni 1966 und in Niedersachsen am 10. Juni 1966 (Der Betrieb 1966 S. 962). Ihr Erlaß erforderte eine gewisse Zeit, da sich die Finanzbehörden auch mit den zuständigen Landeskirchenbehörden ins Benehmen setzen mußten. Wegen der zu erwartenden Übergangsregelung war es der Stpfl. zuzumuten, die Erledigung ihres Einspruchs zurückzustellen, obwohl in ihrem Fall die aus dem Urteil des BVerfG zu ziehenden Folgerungen vielleicht keinen Anlaß zu Zweifeln gaben. Anders läge es, wenn der Stpfl. durch die Verzögerung hätten Nachteile entstehen können. Dies war jedoch nicht der Fall, da das FA die Vollziehung des Kirchensteuerbescheids ausgesetzt hatte.

Nachdem dem FA die Anweisung der Finanzbehörde zugegangen war, hat es in angemessener Frist über den Einspruch der Stpfl. entschieden. Es hat nach Ablauf der allgemeinen Urlaubszeit am 1. September 1966 die Akten vom FG angefordert und am 20. September 1966 dem Einspruch stattgegeben und die Kirchensteuerschuld auf 0 DM festgesetzt.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 61

BFHE 1968, 274

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