Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordnungsmäßigkeit der Senatsbesetzung, Besetzungsrüge

 

Leitsatz (NV)

Die ordnungsgemäße Besetzung eines Senats hängt davon ab, daß die gesetzlichen Vorschriften beachtet sind. Dazu gehören die Vorschriften über die Besetzung der Senate mit einer bestimmten Zahl von Richtern, die Bestimmung der Vorsitzenden und Beisitzer und die Reihenfolge der heranzuziehenden Richter, aber auch die Befähigung zum Richteramt des einzelnen Richters, seine ordnungsgemäße Ernennung, seine persönliche Unabhängigkeit und seine Verhandlungsfähigkeit.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Mit Bescheid vom 23. Juli 1984 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) auf Duldung der Zwangsvollstreckung in zwei Wertpapierdepots bis zur Höhe von . . . DM in Anspruch. In dieser Höhe machte das FA Abgabenforderungen gegen den Vollstreckungsschuldner G geltend, der der Lebensgefährte der Schwester der Klägerin war.

Nach den Feststellungen des FA hatten die Schwester und G auf ein Konto der Klägerin größere Geldbeträge eingezahlt, mit denen die Wertpapiere von der Klägerin erworben worden waren.

Mit dem Duldungsbescheid machte das FA den Rückgewähranspruch nach § 7 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens (AnfG) geltend und pfändete zugleich die in den Depots befindlichen Wertpapiere.

Die Klage gegen den Duldungsbescheid und die Pfändungsverfügung hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Bescheide insoweit auf, als sie den Betrag von . . . DM überstiegen, weil sich die Abgabenschulden des G im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auf diese Summe durch Tilgungen und Herabsetzungen ermäßigt hatten. Das Gericht führte im wesentlichen aus:

Das FA sei berechtigt, als Gläubiger die Rechte nach dem AnfG über § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Duldungsbescheid geltend zu machen. Es verfüge nach § 2 AnfG über Schuldtitel in der erkannten Höhe.

Anfechtbare Rechtshandlung i. S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG sei die Einzahlung der Beträge von . . . DM und . . . DM (insgesamt . . . DM) durch G auf das Konto der Klägerin. Nach Aussage des G sei der Klägerin dieses Geld zum Effektenkauf zur Verfügung gestellt worden, um es dem Zugriff des FA im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zu entziehen.

Der Einwand, der Betrag von . . . DM sei die Anzahlung für den Verkauf des Hauses der Klägerin gewesen, sei durch die Aussagen des G und der Schwester der Klägerin widerlegt worden. Die Klägerin habe nie einen Kaufvertrag abgeschlossen.

Ob über den Betrag von . . . DM hinaus auch die Einzahlung von . . . DM am . . . auf das Konto der Klägerin eine anfechtbare Rechtshandlung darstelle, habe der Senat offenlassen können, da die Zwangsvollstreckung sich auf den erkannten Betrag beschränkt habe. An der Anfechtbarkeit dieser Zahlung beständen gewisse Zweifel, da sie nicht von G selbst, sondern von der Schwester der Klägerin vorgenommen worden sei. Auch sei insoweit die Gläubigerbenachteiligungsabsicht zweifelhaft, da G im Zeitpunkt der Einzahlung noch über . . . DM an Sparguthaben verfügt habe.

Nach der weder vom FG noch vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die nicht ordnungsmäßige Besetzung des Gerichts, die Verletzung rechtlichen Gehörs und ihre nicht ordnungsgemäße Vertretung in der mündlichen Verhandlung vor dem FG.

Ihr Klagebegehren sei nur auf die Freigabe des einen Wertpapierdepots mit einem Wert von . . . DM gerichtet gewesen, da die Pfändung des Betrages von . . . DM ins Leere gegangen sei. Dieser Betrag sei von ihr vor Erlaß der angefochtenen Bescheide schon an den Vollstreckungsschuldner G zurückgezahlt worden, da der für diese Summe beabsichtigte Verkauf ihres Hauses nicht zustande gekommen sei.

Demgegenüber habe das FG die . . . DM zum Gegenstand der Verhandlung gemacht. Darin liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Nach dem Beweisbeschluß des FG vom 12. September 1988 habe sich die Klägerin auf eine Verhandlung über die streitbefangenen . . . DM eingestellt, weshalb sie sich nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung auf alle Beweismittel zu dem besagten Grundstücksverkauf habe berufen können. Im Hinblick auf den Beweisbeschluß hätten sich ihre Prozeßbevollmächtigten, ihre Schwester und der Vollstreckungsschuldner G, die beide als Zeugen geladen worden waren, zum Verlassen des Gerichtssaals während des Aktenvortrags und der Erörterung der Streitsache bereit erklärt. Während der Abwesenheit der Prozeßbevollmächtigten sei aber in Gegenwart der Klägerin dann über weiteres Prozeßmaterial verhandelt worden. Dies sei ihr - der Klägerin - in der mündlichen Verhandlung nicht bewußt geworden. Erst aus dem Protokoll habe sie entnehmen können, daß sie nach dem Aktenvortrag ohne ihr Wissen in der Verhandlung nicht vertreten gewesen sei.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei auch darin zu sehen, daß der Senatsvorsitzende nach dem Aktenvortrag die Prozeßbevollmächtigten nicht - wie ursprünglich vereinbart - zur Erörterung der Streitsache hinzugezogen habe.

Gegenüber einem von der Klägerin gestellten Antrag auf Protokollberichtigung habe sich der Vorsitzende darauf berufen, daß er sich an die modifizierte Absprache über die Vertretung der Klägerin nicht mehr erinnern könne. Mit dieser Erinnerungsunfähigkeit habe sich der Vorsitzende der Klägerin als ihr gesetzlicher Richter entzogen. Das erkennende Gericht sei dadurch nicht vorschriftsmäßig mit drei erinnerungsfähigen Richtern besetzt gewesen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsakte aufzuheben, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist gemäß §§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluß zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1 274) findet abweichend von § 115 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Das FG hat die Revision im Streitfall nicht zugelassen; der BFH hat die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin durch Beschluß des Senats vom heutigen Tag VII B 46/89 als unzulässig verworfen. Ein Fall der zulassungsfreien Revision wegen wesentlicher Verfahrensmängel gemäß § 116 Abs. 1 FGO liegt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor.

1. Die von der Klägerin gerügte Versagung des rechtlichen Gehörs stellt zwar nach § 119 Nr. 3 FGO einen absoluten Revisionsgrund dar, doch ist damit nicht der Weg für eine zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO eröffnet (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Rdnr. 1).

2. Nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bedarf es einer Zulassung der Revision nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, der erkennende Senat des FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Zur Zulassung der Revision kann diese Rüge aber nur dann führen, wenn i. S. von § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO die Tatsachen bezeichnet werden, die den Verfahrensmangel ergeben (BFH-Urteile vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384, und vom 28. November 1968 I R 101/68, BFHE 94, 207, BStBl II 1969, 115). Die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen lassen jedoch keinen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO erkennen.

Der gesamte Vortrag zum Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG und der dabei getroffenen Absprachen über den Umfang der Prozeßbevollmächtigung, der Prozeßvertretung durch die beiden Zeugen und die ,,Erinnerungsunfähigkeit" des Vorsitzenden Richters berührt die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts nicht. Die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung hängt davon ab, daß die gesetzlichen Vorschriften beachtet sind, die sowohl das Gericht als solches (Besetzung mit einer bestimmten Zahl von Richtern, Bildung der einzelnen Spruchkörper, Bestimmung der Vorsitzenden und Beisitzer, Reihenfolge der heranzuziehenden einzelnen Richter) als auch die einzelnen Richter (Befähigung zum Richteramt, ordnungsmäßige Ernennung, persönliche Unabhängigkeit, Verhandlungsfähigkeit) betreffen (BFH-Beschluß vom 27. Mai 1968 GrS 1/68, BFHE 92, 188, BStBl II 1968, 473). Tatsachen oder Umstände, die einen Verfahrensverstoß in diesem Sinne begründen könnten, hat die Klägerin nicht dargelegt.

3. Einer Zulassung der Revision bedarf es ebenfalls nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschriften des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO).

Nach dem von der Klägerin vorgetragenen Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG ist zweifelhaft, ob sie in diesem Sinne nach den Vorschriften des Gesetzes ordnungsgemäß vertreten war. Die Klägerin war vor dem FG als natürliche Person prozeß- und auch postulationsfähig, d. h. sie ist zulässigerweise als Klägerin - Verfahrensbeteiligte i. S. von § 57 FGO - aufgetreten und konnte, da sie in der mündlichen Verhandlung selbst anwesend war, ohne Prozeßbevollmächtigten Verfahrensanträge stellen und den Ablauf der mündlichen Verhandlung in tatsächlicher Weise beeinflussen. Ob sich aus der zeitweiligen Abwesenheit ihrer Prozeßbevollmächtigten ein Verfahrensverstoß i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO ergeben könnte, braucht der Senat aber nicht zu entscheiden, denn die Verfahrensrüge kann aus einem anderen Grund nicht zum Erfolg führen. Nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 FGO scheitert die Verfahrensrüge, wenn der Beteiligte der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. Das trifft im Streitfall zu. Weder aus dem Sitzungsprotokoll noch aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich, daß sie der Prozeßführung durch den erkennenden Senat des FG widersprochen hätte. Die Klägerin kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, sie sei prozeßunerfahren gewesen und habe den tatsächlichen Ablauf der mündlichen Verhandlung erst anhand des Protokolls nachvollziehen können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416592

BFH/NV 1990, 305

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