Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Elektrizitätsunternehmen bildet, auch wenn dessen einzelne Elektrizitätswerke nicht durch betriebseigene Leitungen untereinander verbunden sind (und deren Hauptverwaltung nicht an das Verteilernetz des Unternehmens angeschlossen ist), eine einheitliche mehrgemeindliche Betriebstätte, wenn zwischen der Hauptverwaltung und den übrigen Anlagen ein enger organisatorischer, wirtschaftlicher und technischer Zusammenhang besteht.

 

Normenkette

GewStG §§ 28, 29/1/3, § 30; StAnpG § 16

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige mit Sitz in M. beliefert über eigene Verteilungsnetze in räumlich voneinander getrennten Gebieten Endverbraucher, zum Teil auch örtliche Versorgungsunternehmen, mit elektrischem Strom.

Im Jahre 1958 gab die Steuerpflichtige Strom an die vier folgenden Versorgungsgebiete ab:

in die von dem überlandwerk N. versorgten Gemeinden,

in die von dem überlandwerk Sch. versorgten Gemeinden,

in die von dem überlandwerk B. versorgten Gemeinden,

in die Stadt F. durch das Elektrizitätswerk F. Die Stadt F. schied im Jahre 1959 aus der Stromversorgung durch die Steuerpflichtige aus.

Der Sitz der Verwaltung und der Geschäftsleitung der Steuerpflichtigen liegt in M.

Die einzelnen Elektrizitätswerke und die jeweils von ihnen gespeisten Versorgungsnetze sind untereinander nicht durch betriebseigene Leitungen verbunden. Auch die Stadt M. ist an das Verteilernetz der Gesellschaft nicht angeschlossen.

In M. bestehen jedoch technische Abteilungen und eine Bauabteilung. Alle Aufgaben technischer und kaufmännischer Art, die nach der Natur der Angelegenheit nicht an Ort und Stelle bearbeitet werden müssen, werden von der Hauptverwaltung in M. wahrgenommen. Zu diesem Zweck werden auch technische Führungskräfte, Monteure und sonstige Angehörige der Betriebsstelle M. bei den einzelnen Werken und den angeschlossenen Stromverteilungsanlagen eingesetzt.

Das Finanzamt betrachtet das Unternehmen der Steuerpflichtigen einschließlich der Betriebsanlagen in M. als eine einzige mehrgemeindliche Betriebstätte und zerlegte daher im Jahre 1958 den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf die 158 beteiligten Gemeinden in der Weise, daß es 50 v. H. nach dem Maßstab der in den einzelnen Gemeinden erzielten Betriebseinnahmen und 50 v. H. nach dem Maßstab der in den einzelnen Gemeinden angefallenen Arbeitslöhne verteilte. Dabei entfiel auf die Stadt M. ein Betrag von .... DM.

Dagegen legte die Stadt M. (Bfin.) Beschwerde ein. Die Oberfinanzdirektion wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Sie hielt unter Berufung auf die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs I B 125/58 vom 1. Dezember 1959, Steuerrechtsprechung in Karteiform (StRK) GewStG, § 30, Rechtsspruch 9, und I B 31/59 U vom 2. November 1960, BStBl 1961 III S. 8, Slg. Bd. 72 S. 17, daran fest, daß das ganze Unternehmen der Steuerpflichtigen eine einheitliche mehrgemeindliche Betriebstätte sei.

Mit der weiteren Beschwerde beantragt die Bfin. den Zerlegungsbescheid des Finanzamts und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion aufzuheben und ihren Zerlegungsanteil nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne (ß 29 Abs. 1 Ziff. 2 GewStG) zuzüglich etwaiger Kleinbeträge nach § 34 Abs. 2 GewStG festzusetzen.

Sie vertritt die Auffassung, daß die Betriebsanlagen der Steuerpflichtigen nicht als einheitliche Betriebstätte angesehen werden können, da es an dem räumlichen Zusammenhang der einzelnen Betriebsteile fehle. Die Steuerpflichtige habe vielmehr im Jahre 1958 außerhalb der Zentrale M. vier autarke Versorgungsgebiete gehabt. Jedes dieser Gebiete und die Zentrale begründeten für sich eine eigene Betriebstätte. Umstände, die die Anwendung eines abweichenden Maßstabs nach § 33 GewStG erfordern würden, lägen nicht vor.

 

Entscheidungsgründe

Die weitere Beschwerde ist nicht begründet.

Bei der Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Anlagen eines Unternehmens als eine einheitliche Betriebstätte anzusehen sind (ß 16 StAnpG), hat die Rechtsprechung von jeher den Besonderheiten der Elektrizitätsunternehmen Rechnung getragen.

Schon das Preußische Oberverwaltungsgericht forderte zwar als Merkmal einer Betriebstätte einen räumlichen, organisatorischen, wirtschaftlichen und betriebstechnischen Zusammenhang, lockerte aber die Voraussetzung des räumlichen Zusammenhangs bei Unternehmen der Stromversorgung in der Weise auf, daß es das Elektrizitätswerk mit seinen Kabeln, Transformatoren usw. als eine einzige einheitliche Betriebstätte behandelte. Denn die Kabel und Transformatoren seien wesentliche Bestandteile der Betriebsanlage. Ohne sie sei eine Abgabe von elektrischem Strom überhaupt nicht denkbar (Beschlüsse VIII G. St. 133/28 vom 8. April 1930, Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt 1930 S. 598; VIII G.St. 567/30 vom 19. Mai 1931, Reichs und Preußisches Verwaltungsblatt 1931 S. 801).

Der Reichsfinanzhof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (Beschluß I 328/39 vom 7. Mai 1940, RStBl 1940 S. 714, Slg. Bd. 48 S. 317), der Bundesfinanzhof hat sie in der Richtung weiterentwickelt, daß dem räumlichen Zusammenhang keine schlechthin entscheidende Bedeutung beizumessen ist (Beschlüsse vom 1. Dezember 1959 und vom 2. November 1960, a. a. O.).

Im Fall des Beschlusses vom 1. Dezember 1959 waren die Elektrizitätswerke der Gesellschaft und die der Versorgung der Stromabnehmer dienenden Anlagen durch ein Netz betriebseigener Kabelleitungen miteinander verbunden. Außerhalb dieses Netzes standen in M. das Verwaltungsgebäude der Gesellschaft und einige weitere Betriebsgebäude. Der Senat sah das ganze Unternehmen als einheitliche Betriebstätte an. Denn die in das Leitungsnetz der Gesellschaft nicht einbezogenen Anlagen in M. könnten nicht als eigene Betriebstätte angesehen werden; sie müßten vielmehr wegen ihres engen organisatorischen und wirtschaftlichen Zusammenhanges mit den gesamten Betriebsanlagen als Bestandteil der einheitlichen mehrgemeindlichen Betriebstätte der Gesellschaft angesehen werden.

Im Beschluß vom 2. November 1960 führte der Senat aus, die bisherige Rechtsprechung über das Vorliegen einer Betriebstätte bei Elektrizitätsunternehmen bedeute nicht, daß ein Elektrizitätswerk stets in allen seinen Teilen eine einheitliche Betriebstätte bilde. Es müsse zwischen den Betriebsteilen in organisatorischer, technischer und wirtschaftlicher Beziehung ein enger Zusammenhang bestehen. Bei räumlich nicht verbundenen Anlagen sei dies nicht der Fall, wenn dieser enge Zusammenhang nicht notwendige Voraussetzung für die Durchführung der Aufgaben des Versorgungsunternehmens sei.

Das gemeinsame Merkmal dieser beiden Entscheidungen ist, daß bei Elektrizitätsunternehmen der räumliche Zusammenhang der einzelnen Betriebsanlagen als Voraussetzung einer einheitlichen Betriebstätte gegenüber dem organisatorischen, technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang in den Hintergrund tritt. Dabei kommt nach dem Beschluß vom 1. Dezember 1959 dem organisatorischen und wirtschaftlichen Zusammenhang der außerhalb des Leitungsnetzes befindlichen Hauptverwaltung mit den einzelnen Elektrizitätswerken und ihren Stromverteilungsanlagen eine entscheidende Bedeutung zu.

Führt man diese Grundgedanken folgerichtig weiter, so ergibt sich im vorliegenden Fall, daß die Betriebsanlagen der Steuerpflichtigen einschließlich der Gebäude in M. als eine einheitliche mehrgemeindliche Betriebstätte im Sinne des § 30 GewStG zu beurteilen sind.

Der Streitfall unterscheidet sich von dem durch Beschluß vom 1. Dezember 1959 entschiedenen Fall nur dadurch, daß die einzelnen Elektrizitätswerke der Steuerpflichtigen und die von ihnen gespeisten Stromnetze nicht untereinander durch betriebseigene Leitungen verbunden sind. Sie stehen aber durch das gesamte Netz von Stromleitungen, das die moderne Verbundwirtschaft auf dem Gebiet der Stromversorgung kennzeichnet, miteinander in Verbindung. Ihre räumliche Trennung wird außerdem dadurch überbrückt, daß die Anlagen der Gesellschaft infolge ihres engen organisatorischen, wirtschaftlichen und technischen Zusammenhangs mit der Hauptverwaltung als eine wirtschaftliche Einheit anzusehen sind. Die einzelnen Versorgungsgebiete der Gesellschaft sind nicht autark, wie die Bfin. meint. Sie könnten ohne die Mitwirkung der Verwaltungsabteilung und der technischen Abteilungen, die in M. ihren Sitz haben, ihre Aufgabe nicht erfüllen. Der Fall des Ausscheidens der Stadt F. aus der Stromversorgung durch die Steuerpflichtige bestätigt dies. Die Bfin. muß selbst zugeben, daß es zunächst notwendig war, in F. eine eigene Verwaltung aufzubauen und technische Hilfskräfte bereitzustellen. Die Zentrale der Steuerpflichtigen in M. greift in viel größerem Umfang in den Betriebsablauf bei den einzelnen Elektrizitätswerken und in den angeschlossenen Versorgungsgebieten ein, als die geschäftsleitende Tätigkeit, die sonst bei großen Gesellschaften vom Sitz der Gesellschaft aus entfaltet zu werden pflegt. Nicht nur die technische Führungsspitze, sondern auch die mittlere technische Leitung für die einzelnen Versorgungsgebiete ist in M. zusammengefaßt. Von hier aus wird die gesamte Stromversorgung in den einzelnen Versorgungsgebieten gesteuert. Dies ist - von Kostenersparnisgründen abgesehen - durch das einem Stromversorgungsunternehmen eigene Gebot der ständigen Betriebsbereitschaft bedingt. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Steuerpflichtige den elektrischen Strom, mit dem sie ihre Abnehmer versorgt, nur zu einem geringen Teil selbst erzeugt. Den weitaus größten Teil bezieht sie von anderen Elektrizitätswerken. Diese Heranführung und Weiterleitung von Strom, der aus anderen Quellen stammt, erfordert eine zentrale Lenkung. Die Abteilung der Steuerpflichtigen in M. sind somit organisatorisch, wirtschaftlich und technisch nicht von den gesamten Betriebsanlagen der Gesellschaft zu trennen und bilden daher die Klammer, die die Elektrizitätswerke und die Stromverteilungsanlagen in den einzelnen Versorgungsgebieten zu einer einheitlichen Betriebstätte verbindet.

Daß die mehr oder weniger große Entfernung zwischen den einzelnen Anlagen für die Annahme einer einheitlichen Betriebstätte keine Rolle spielt, hat schon das Preußische Oberverwaltungsgericht in dem Beschluß vom 8. April 1930, a. a. O., betont.

Die neuere Rechtsprechung zum Begriff der Betriebstätte bei Elektrizitätsunternehmen, die durch den Beschluß vom 1. Dezember 1959 eingeleitet wurde, bedeutet keinen Bruch mit der Vergangenheit. Sie will lediglich der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Energiewirtschaft Rechnung tragen (ß 1 Abs. 2 StAnpG) und die Gedanken, die der bisherigen Rechtsprechung zugrunde lagen, dieser Entwicklung anpassen. Daraus folgt zugleich, daß sie nur für Unternehmen gilt, die der Versorgung mit elektrischem Strom dienen.

Das Finanzamt hat daher zutreffend das ganze Unternehmen der Steuerpflichtigen als einheitliche mehrgemeindliche Betriebstätte nach § 30 GewStG behandelt.

Die Art der Zerlegung nach § 30 GewStG, die das Finanzamt gewählt hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411858

BStBl III 1966, 40

BFHE 1966, 108

BFHE 84, 108

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