Leitsatz (amtlich)

Ein Elektrizitätsunternehmen, das den Strom, den es liefert, von einem anderen Elektrizitätswerk bezieht und an dem Ort, an dem seine Abnehmer ihren Sitz haben, eigene Meß- und Kontrollgeräte unterhält, die durch eigene oder fremde, aber dem Unternehmen zur Verfügung stehende Leitungen mit dessen Hauptbetrieb in Verbindung stehen, bildet mit diesen Anlagen eine einheitliche mehrgemeindliche Betriebstätte.

 

Normenkette

GewStG § 30; StAnpG § 16

 

Tatbestand

Die Stpfl., ein Elektrizitätswerk in R., liefert Strom und Gas an die W-AG in E. und an die Firma W. in E. Streitig ist der Zerlegungsanteil der Stadt E. (Bfin.) am einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag der Stpfl. für das Jahr 1954.

Die Stpfl. bezog im Streitjahr den für ihre Abnehmer in E. bestimmten Strom in der Regel von der R-AG aus F. und El. Der Strom wurde über eine 15/55k V Doppelleitung von F. und El. nach E. geleitet. Ob diese Leitung im Streitjahr im Eigentum oder in der Verfügungsgewalt der Stpfl. oder der R-AG stand, ist streitig. In Ausnahmeund Störungsfällen lieferte die Stpfl. Strom über eine 15k V-Freileitung, die R. mit E. verbindet und die im Versorgungsgebiet der Stpfl. im Eigentum der Stpfl., im Versorgungsgebiet der W-AG - dazu gehört auch die Stadt E. - im Eigentum der W-AG stand. Auf dem Gebiet der Stadt E. unterhielt die Stpfl. eigene Meß- und Kontrollgeräte für die Stromübergabe von der R-AG an die Stpfl. und von der Stpfl. an die W-AG und die Firma W.

Das Gas lieferte die Stpfl. an die W-AG durch eine Leitung, die von R. nach E. verläuft. Das Eigentum an dieser Leitung ist durch die Grenze der Versorgungsgebiete der beiden Gesellschaften real geteilt. Eigene Anlagen der Stpfl. für die Gasmessung oder -übergabe befinden sich in E. nicht.

Das FA behandelte die Stpfl. als eine mehrgemeindliche Betriebstätte. Es zerlegte den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1954 zu je 1/3 nach den auf die beteiligten Gemeinden entfallenden Anteilen am Anlagekapital, an den Betriebseinnahmen und an der Summe der Arbeitslöhne. Die Bfin. wurde bei der Zerlegung nicht berücksichtigt. Ihren Antrag auf Beteiligung lehnte das FA mit Verfügung vom 3. Oktober 1962 ab. Die Beschwerde dagegen wurde zurückgewiesen.

Zur Begründung führte die OFD aus, maßgebend sei, ob die in mehreren Gemeinden belegenen Anlagen räumlich, betriebstechnisch, organisatorisch und wirtschaftlich eine Einheit bilden. Die räumliche Verbindung könne auch durch nicht im Eigentum des Unternehmers stehende Leitungen hergestellt werden, z. B. wenn das Unternehmen kraft eines Pacht- oder sonstigen Nutzungsrechts über die ihr rechtlich nicht gehörenden verbindendenden Leitungen verfügen könne. Daran fehle es indes im Streitfall. Die R-AG führe den für die W-AG bestimmten Strom durch ihre eigene Leitung nach E. und gebe ihn erst dort an die Stpfl. ab. Entsprechend werde die Bfin. am einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag der R-AG beteiligt. Die 15k V-Freileitung von R. nach E. sowie die zur Firma W. führende Leitung ständen, soweit sie über das Versorgungsgebiet der W-AG führten, beide im Eigentum der W-AG. Die Stpfl. könne nicht über sie verfügen, so daß sie nicht die erforderliche betriebstechnische und organisatorische Verbindung zwischen den in E. befindlichen Meßgeräten und den übrigen Betriebsanlagen der Stpfl. herstelle. Für die Übergabe von Gas unterhalte die Stpfl. in E. keinerlei stehende Einrichtungen. Ob die Stromanlagen der Stpfl. in E. als eine selbständige Betriebstätte anzusehen seien, könne offenbleiben; denn jedenfalls würden in E. keine Arbeitskräfte der Stpfl. beschäftigt, so daß eine Zerlegung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG entfalle. Für die Anwendung des § 33 GewStG sei kein Raum, weil die Zerlegung nach dem Regelmaßstab zu keinem unbilligen Ergebnis führe; die Bfin. werde durch die Meß- und Kontrollgeräte der Stpfl. nicht besonders belastet.

Mit der weiteren Beschwerde wird geltend gemacht, die Vorentscheidung habe den räumlichen Zusammenhang zwischen den Anlagen der Stpfl. in E. und dem Gesamtbetrieb der Stpfl. zu Unrecht verneint. Der Zusammenhang bestehe besonders durch die 15 kV-Leitung von R. nach E. Entgegen der Feststellung der Vorbehörde habe die Stpfl. die alleinige Verfügungsgewalt über diese Leitung auch für das Teilstück, das sich im Versorgungsgebiet der W-AG befinde. Sie halte dieses Teilstück unter Spannung und bei ihr liege die Schaltbefugnis zur gelegentlichen Nutzung der Leitung. Die W-AG nehme den Strom erst an den Meßanlagen in E. ab.

Im Streitjahr habe die Stpfl. den Strom regelmäßig über die damalige Doppelleitung von El. (15k V) und F. (55k V) nach E. geführt, in E. auf 15 kV umgespannt und erst dann ihren Abnehmern zugemessen. Doppelleitung, Umspannungsanlage und Verbindungskabel zu den Meßgeräten für die Stromabgabe an die Abnehmer hätten damals noch der Stpfl. gehört, so daß auch durch diese Leitung ein räumlicher Zusammenhang bestanden habe.

Die Bfin. beantragt, die Beschwerdeentscheidung der OFD und den Bescheid des FA vom 3. Oktober 1962 aufzuheben und das FA anzuweisen, die Stadt E. bei der Zerlegung des einheitlichen Gwerbesteuermeßbetrags der Stpfl. nach den Grundsätzen der mehrgemeindlichen Betriebstätte (§ 30 GewStG) angemessen zu beteiligen.

Die Stadt R. beantragt, die weitere Beschwerde zurückzuweisen. Sie und auch die Stpfl. meinen, es fehle besonders an dem für eine mehrgemeindliche Betriebstätte erforderlichen räumlichen Zusammenhang. Die W-AG sei bei ihrer Gründung Eigentümerin des auf ihrem Versorgungsgebiet befindlichen Teilstücks der 15 kV-Leitung R. bis E. geworden und habe die Leitung zu unterhalten. Ein Pacht- oder ähnliches Nutzungsverhältnis sei nicht vereinbart. Die Schaltbefugnis werde nur im Einvernehmen mit der W-AG ausgeübt, nicht als Ausfluß einer Verfügungsgewalt über die Leitung. Es handle sich um Nachbarschaftshilfe in Notfällen, wie sie im Verbundsystem üblich sei. Spitzenbedarf werde über diese Leitung nicht gedeckt, weil eine gleichzeitige Strombelieferung aus dieser Leitung und aus der Hauptleitung technisch nicht möglich sei.

Das Eigentum oder jedenfalls die Verfügungsmacht an der 15/55 kV-Doppelleitung sei bereits am 1. Januar 1954 von der Stpfl. auf die R-AG übergegangen. Die Stpfl. unterhalte seitdem in E. nur noch eigene Meßanlagen. Alle anderen Anlagen ständen im Eigentum der R-AG oder der W-AG. Die Bfin. werde dadurch bereits am Gewerbesteuermeßbetrag der R-AG beteiligt und könne nicht außerdem noch an dem der Stpfl. teilhaben.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die weitere Beschwerde ist begründet.

Im Streitfall ist lediglich über die Beteiligung der Bfin. an dem einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag der Stpfl. für das Jahr 1954 zu entscheiden. Die Bfin. hatte zwar beim FA die Beteiligung für die Jahre ab 1954 beantragt, die OFD hat indes nur über das Jahr 1954 erkannt, so daß auch nur insoweit der Rechtsstreit anhängig geworden ist.

Die OFD ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Annahme einer mehrgemeindlichen Betriebstätte einen räumlichen, organisatorischen, wirtschaftlichen und betriebstechnischen Zusammenhang zwischen den Anlagen in den mehreren Gemeinden voraussetzt. Bei Elektrizitätsunternehmen tritt wegen deren Besonderheiten der räumliche Zusammenhang in den Hintergrund. Er kann auch durch Kabelleitungen hergestellt werden. Die neuere Rechtsprechung hat, der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Energiewirtschaft Rechnung tragend, einen räumlichen Zusammenhang auch dann anerkannt, wenn die Anlagen nicht durch betriebseigene oder auf Grund eines Nutzungsrechts verwendete Leitungen, sondern durch ein verbundwirtschaftliches Stromnetz untereinander verbunden sind (Beschluß des BFH I B 249/62 U vom 16. November 1965, BFH 84, 108, BStBl III 1966, 40).

Nach diesen Grundsätzen bildeten die Anlagen der Stpfl. in E. zusammen mit dem Hauptbetrieb der Stpfl. eine einheitliche mehrgemeindliche Betriebstätte im Sinne des § 30 GewStG. Die Stadt R. unterschätzt die Bedeutung dieser Anlagen. Die Stpfl. erzeugte den Strom, den sie an ihre Abnehmer in E. lieferte, nicht selbst, sondern bezog ihn von der R-AG. Insoweit betrieb sie den Handel mit Strom. Im Rahmen dieser gewerblichen Tätigkeit erfüllen die Geräte, die einmal die Menge des eingehenden und dann die Menge des ausgehenden Stromesmessen, eine wesentliche Aufgabe.

Der erforderliche Zusammenhang der Anlagen der Stpfl. in E. mit dem Hauptbetrieb wurde im Streitjahr durch die 15 kV-Leitung hergestellt, die von R. nach E. verläuft. Die Stpfl. hatte zwar das Teilstück dieser Leitung, das sich im Versorgungsgebiet der W-AG befindet, bei der Gründung der W-AG in dieses Unternehmen eingebracht und dadurch das Eigentum an diesem Stück verloren. Sie behielt aber die Befugnis, auch diesen, im Eigentum der W-AG stehenden Teil der 15 kV-Leitung für ihre eigenen Zwecke zu benutzen. Soweit dazu Schaltungen in E. erforderlich waren, war die W-AG nach der Überzeugung des Senats (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) verpflichtet, sie auf Weisung der Stpfl., die von der Verwaltung in R. ausging, vorzunehmen. Unter anderem diente die 15 kV-Leitung von R. nach E. der Stpfl. dazu, um bei Ausfall der Stromlieferung durch die R-AG, namentlich bei vorübergehenden Störungen, den Verpflichtungen gegenüber den Abnehmern in E. wenigstens zum Teil nachzukommen. Nach der Behauptung der Bfin. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 18. Oktober 1967, der die übrigen Beteiligten nicht widersprochen haben, wurde die 15 kV-Leitung im Streitjahr tatsächlich zu diesem Zweck benutzt. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Es genügt, daß die Leitung der Stpfl. für Not- und Störungsfälle zur Verfügung stand. Mag dies auch, soweit es sich um das im Eigentum der W-AG stehende Teilstück handelt, im wesentlichen auf schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der Stpfl. und der W-AG beruhen, so reicht es doch aus, um einen räumlichen Zusammenhang zwischen dem Betrieb der Stpfl. in ihrem Versorgungsgebiet und ihren Anlagen in E. herzustellen (vgl. BFH-Urteil I B 61/63 vom 7. Juni 1966, BFH 86, 342, BStBl III 1966, 567). Dazu kommt, daß sich aus der geschilderten Bedeutung, die den Anlagen in E. und der 15 kV-Leitung von R. nach E. im Rahmen des Gesamtbetriebs der Stpfl. beizumessen ist, auch ein enger organisatorischer, wirtschaftlicher und technischer Zusammenhang ergibt, der nach dem BFH-Beschluß I B 249/62 U, a. a. O., auch eine Lücke im räumlichen Zusammenhang der verschiedenen Anlagen eines Elektrizitätsunternehmens zu schließen vermag.

Der Einwand der Stadt R., die Bfin. würde zu Unrecht sowohl am Meßbetrag der R-AG wie an dem der Stpfl. und damit doppelt beteiligt werden, ist nicht begründet. Jedes Unternehmen ist gewerbesteuerlich für sich zu betrachten.

Der Anspruch der Bfin. auf Berücksichtigung bei der Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags ist danach berechtigt. Er bezieht sich nicht nur, wie die Stadt R. meint, auf den Teil des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags, um den der ursprünglich festgesetzte Betrag im Wege der Berichtigung vom 12. Januar 1961 nach § 222 AO, § 35b GewStG erhöht wurde, sondern auf den ganzen berichtigten Gewerbesteuermeßbetrag. Denn die Berichtigung führte nicht nur zu einer "Folgeänderung", die lediglich der Änderung des Meßbetrags Rechnung tragen durfte, sondern zu einer völlig neuen Zerlegung, ohne Bindung an die bisherigen Zerlegungsgrundlagen (BFH-Beschluß IV B 254/63 U vom 13. Mai 1965, BFH 82, 502, BStBl III 1965, 428). Die Ausschlußfrist für den Antrag der Stadt E. auf neue Zerlegung (§ 387 Abs. 3 AO) ist gewahrt. Sie begann mit der Bestandskraft nicht des ursprünglichen, sondern des berichtigten Gewerbesteuermeßbescheids vom 12. Januar 1961 (BFH-Beschluß I B 7/58 U vom 13. Januar 1959, BFH 68, 273, BStBl III 1959, 106). Der Antrag vom 27. Juni 1961 auf Beteiligung an der Zerlegung ist somit rechtzeitig gestellt worden. Durch welches Verhalten die Bfin. ihr Recht, sich nunmehr am Zerlegungsverfahren zu beteiligen, verwirkt haben soll, ist nicht ersichtlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412806

BStBl II 1968, 40

BFHE 1968, 268

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