Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbindung "zu gemeinsamer Entscheidung"; Unzulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs gegen urlaubsabwesenden Richter

 

Leitsatz (NV)

1. Hat das FG mehrere Verfahren "zu gemeinsamer Entscheidung" verbunden, ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit in prozessualer Hinsicht von der Einheitlichkeit der ergehenden Entscheidung auszugehen.

2. Es bleibt dahingestellt, ob der Ausschluß des Beschwerderechts nach § 155 FGO i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO auch dann uneingeschränkt gilt, wenn einem Beteiligten vor der Entscheidung über die Mitwirkung eines bestimmten Richters nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist.

3. Eine Beschwerde gegen die Entscheidung des FG, durch welche die "Selbstablehnung" eines Richters für begründet erklärt wird, ist mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig, wenn während des Urlaubs dieses Richters eine die Instanz abschließende Entscheidung ergangen ist.

 

Normenkette

FGO §§ 43, 51 Abs. 1; ZPO §§ 42, 46 Abs. 2, § 48

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat auf die mehrere anhängige Klageverfahren betreffende Selbstablehnung des Richters Z vom 17. Mai 1994 hin durch Beschluß vom 27. Mai 1994 entschieden, diese Selbstablehnung, deren Anzeige das FG den Beteiligten nicht zur Kenntnis gegeben hatte, sei begründet. Es hat verschiedene Verfahren "zwecks gemeinsamer Entscheidung über die Selbstablehnung des Richters Z verbunden". Zur Begründung für die stattgebende Entscheidung hat das FG ausgeführt, Z habe Tatsachen angezeigt, die aus der Sicht der Beteiligten seine Ablehnung rechtfertigen könnten. "Jedenfalls aufgrund der von Z in seiner Äußerung angezeigten Tatsachen" sei zu besorgen, daß er bei der Ausübung seines Richteramtes befangen sei (§ 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. §§ 48, 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Gegen den Beschluß vom 27. Mai 1994 richtet sich die vorliegende Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

1. Der erkennende Senat ist für die Entscheidung über die Beschwerde zuständig.

a) Die Zuständigkeit ergibt sich aus Abschn. III. 1. (betr. die Zuständigkeit für Nebenverfahren) i. V. m. Abschn. I. 1. ("Übergreifende Zuständigkeiten") der Ergänzenden Regelungen zum Geschäftsverteilungsplan 1995.

"Ist eine Entscheidung zu mehreren Steuerfestsetzungen" angefochten, welche nach den Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit der Senate in die Zuständigkeit mehrerer Senate fallen, ist nach letzterer Regelung zunächst der Senat zuständig, in dessen Aufgabengebiet die Sache mit dem höchsten Streitwert fällt. Aus dieser streitwertabhängigen Regelung ergibt sich die Zuständigkeit des erkennenden Senats. Auch ist im Sinne dieser Regelung "eine Entscheidung" angefochten. Das FG hat mehrere Verfahren über den gleichen Gegenstand (hier: Selbstablehnung des Richters Z) nach § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO "zu gemeinsamer Entscheidung" verbunden. Zwar wird die Frage, ob dies angesichts des Gesetzeswortlauts (Verbindung "zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung") zulässig ist, unterschiedlich beurteilt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hält eine Verbindung lediglich zu gemeinsamer Entscheidung nicht für ausgeschlossen, wenn sachliche Gründe -- nicht unerhebliche Arbeitserleichterung, Einsparung und Beschleunigung bei der Urteilsanfertigung vor allem in technischer Hinsicht -- dafür sprechen (Urteile vom 7. Februar 1975 VII C 68/72, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 19; vom 7. Mai 1975 VII C 3/74, 4/74, Buchholz, a. a. O., 451.55 Subventionsrecht Nr. 40). Die hiergegen gelegentlich geäußerten Bedenken (nunmehr z. B. Stein/Jonas/Leipold, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Aufl. 1993, § 147 Rdnr. 22) greifen nach Auffassung des BVerwG nicht durch. Eine andere Frage ist jedoch, welche Rechtswirkungen einem Beschluß zukommen, durch den mehrere Sachen "zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung" verbunden worden sind (vgl. hierzu Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 30. Oktober 1956 I ZR 82/55, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1957, 183). Der Senat geht davon aus, daß die Verbindung lediglich "zu gemeinsamer Entscheidung" -- schon aus Gründen der Rechtsmittelsicherheit -- prozessual nicht unbeachtlich sein kann, so daß von der Einheitlichkeit der Entscheidung auszugehen ist.

Nach Abschn. I. 2. Buchst. a der Ergänzenden Regelungen bleibt es bei der vorstehend dargestellten allgemeinen Zuständigkeit "für diejenigen Entscheidungen und Verfahrensmaßnahmen, welche aus prozeßrechtlichen Gründen nur einheitlich ergehen können, insbesondere für die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig". Da mithin der erkennende Senat für eine Abweisung als unzulässig zuständig ist, ist es nicht erforderlich, nach Abschn. I. 4. der Ergänzenden Regelungen durch Trennung der Verfahren die Zuständigkeit der nach den allgemeinen Regeln der Geschäftsverteilung zuständigen Senate zu begründen.

2. Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig.

Nach § 155 FGO i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO findet gegen den Beschluß, durch den ein Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wird, kein Rechtsmittel statt. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift auch dann uneingeschränkt gilt, wenn einem Beteiligten vor der Entscheidung über die Mitwirkung eines bestimmten Richters nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist und daher auch sein verfassungsmäßig garantierter Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes -- GG --) beeinträchtigt sein kann (vgl. BGH-Beschluß vom 8. November 1994 XI ZR 35/94 m. w. N.). In diesem Zusammenhang könnte zu berücksichtigen sein, daß sich der Wortlaut des § 46 ZPO auf das für begründet erklärte "Ablehnungsgesuch" bezieht, § 48 Abs. 1 ZPO demgegenüber unterscheidet zwischen dem Ablehnungsgesuch und der die eigene Person betreffenden "Anzeige" des Richters.

Diese Frage kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls fehlt der Beschwerde das Rechtsschutzinteresse, weil die Klagen in den Verfahren ... und ... zwischenzeitlich zurückgenommen worden sind und in den übrigen Verfahren während des Urlaubs des Richters Z instanzabschließende Entscheidungen ergangen sind.

Anläßlich der Übersendung der Beschwerdeschrift hat das FG mitgeteilt, es habe über die Klagen, soweit sie nicht zurückgenommen worden seien, in der Sitzung vom 14. Juli 1994 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters K sowie der Richter B und N entschieden; Richter Z habe sich an diesem Tag -- wie bereits seit dem 30. Juni 1994 -- in Urlaub befunden. Dieser Sachverhalt ist dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger durch Schreiben des Vorsitzenden vom 18. Mai 1995 mitgeteilt worden.

Ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Ablehnungsgesuch ist zu verneinen, wenn es sich -- selbst wenn es begründet wäre -- nicht mehr auf die Sachentscheidung auswirken könnte (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. März 1980 I B 23/80, BFHE 130, 20, BStBl II 1980, 335; vom 12. März 1985 IV S 9/85, BFH/NV 1986, 738; vom 25. Juli 1994 X B 22/94, BFH/NV 1995, 53). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der abgelehnte Richter mit der Sachentscheidung nicht mehr befaßt wird, er also seine Tätigkeit im konkreten Verfahren beendet hat (BFH-Beschlüsse vom 17. August 1989 VII B 70/89, BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899; vom 7. September 1994 II B 70/94, BFH/NV 1995, 414, 416, unter 2. b, cc). Das Rechtsschutzinteresse entfällt beispielsweise mit einem Wechsel des Richters in einen anderen Spruchkörper (BFH-Beschluß vom 8. September 1987 VIII S 3/87, nicht veröffentlicht -- NV --), mit seiner Versetzung an ein anderes Gericht (BFH-Beschluß vom 17. September 1987 VIII B 199/86, NV) oder mit seinem Tod (BFH-Beschluß vom 20. September 1994 VII B 3/94, BFH/NV 1995, 325). Gleiches gilt, wenn wie im Streitfall das Hauptsacheverfahren während des Urlaubs des Richters durch eine die Instanz abschließende Entscheidung beendet wird.

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 153

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