Entscheidungsstichwort (Thema)

Mangelnde Vertretung i. S. d. § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO; Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung durch Niederlegung bei der Post; Tod des Prozeßbevollmächtigten während des Klageverfahrens

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Beteiligter ist im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO), wenn er nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden ist und deshalb nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte.

2. Trifft der Postbedienstete den Empfänger in seiner Wohnung nicht an, ist die Ladung zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß zugestellt, wenn der Postbedienstete die Ladung bei der zuständigen Postanstalt niederlegt, dem Empfänger eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in den Hausbriefkasten wirft und dies in der Postzustellungsurkunde vermerkt. Die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung wird nicht dadurch berührt, daß der Empfänger (mit oder ohne Verschulden) von der Ladung keine Kenntnis erhält.

3. Die Postzustellungsurkunde erbringt den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen, auch den Beweis darüber, daß der Empfänger in der vorgeschriebenen Weise über die Niederlegung benachrichtigt worden ist.

4. Stirbt der Prozeßbevollmächtigte während des Klageverfahrens, tritt der Kläger ohne Unterbrechung des Verfahrens an die Stelle des Bevollmächtigten.

 

Normenkette

FGO §§ 53, 82, 116 Abs. 1 Nr. 3, § 155; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO §§ 182, 244, 418 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die im Anschluß an eine Außenprüfung geänderten Einkommensteuerbescheide für 1984 bis 1987 wurden den Klägern und Revisionsklägern (Kläger) am 3. April 1991 mit einfachem Brief übersandt. Der damalige Bevollmächtigte der Kläger legte mit Schreiben vom 15. Mai 1991 (Eingang beim Beklagten und Revisionsbeklagten -- Finanzamt (FA) -- am 16. Mai 1991) gegen die Einkommensteuerbescheide 1986 und 1987 Einspruch ein. Am 12. Juni 1991 erhob er auch gegen die Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 Einspruch.

Nachdem der Bevollmächtigte trotz Hinweises auf die verspätete Einlegung der Rechtsbehelfe keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) vorgebracht hatte, verwarf das FA die Einsprüche als unzulässig.

Mit der Klage brachte der Bevollmächtigte vor, der Außenprüfer habe Einnahmen doppelt erfaßt. Hierin liege "ein einwandfreier Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand".

Während des Klageverfahrens, am 16. Juli 1993, starb der Bevollmächtigte. In einer Aktennotiz vom 15. Juni 1994 ist vermerkt, laut telefonischer Mitteilung werde der neue Klagevertreter unter Vollmachtsvorlage Akteneinsicht begehren. Das Finanzgericht (FG) versandte am 26. Juli 1994 gemäß "telefonischer Anforderung vom 26. 7. 1994" die Akten an das FA. Nach Rückgabe der Akten beantragte das FA mit Schriftsatz vom 19. September 1994 mündliche Verhandlung. Dieser an den verstorbenen Bevollmächtigten zur Kenntnis zugestellte Schriftsatz kam unter Hinweis auf dessen Tod als unzustellbar zurück. Das FG übersandte den Schriftsatz des FA daraufhin am 7. Oktober 1994 den Klägern persönlich zur Kenntnis. Die Kläger reagierten hierauf nicht.

Am 17. März 1995 beraumte das FG mündliche Verhandlung auf den 11. April 1995 an. Die Ladungen wurden den Klägern jeweils mit Postzustellungsurkunde am 18. März 1995 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. In der Postzustellungsurkunde hat der Postbedienstete jeweils vermerkt, er habe den Empfänger in seiner in der Anschrift angegebenen Wohnung nicht erreicht und unter der Anschrift des Empfängers die schriftliche Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung -- wie bei gewöhnlichen Briefen üblich -- in den Hausbriefkasten eingelegt.

Nach der mündlichen Verhandlung, zu der für die Kläger niemand erschienen war, wies das FG die Klage ab. Es führte aus, das FA habe die Einsprüche zu Recht als unzulässig verworfen, weil der Berater keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgebracht habe und auch solche nicht erkennbar seien.

Mit der Revision rügen die Kläger, sie seien in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), weil ihnen die Ladung nicht ordnungsgemäß zugestellt und ihnen damit das rechtliche Gehör versagt worden sei. Entgegen der Vereinbarung mit dem zuständigen Postamt, unterschriftsbedürftige Postzustellungen im Postfach zu hinterlegen, habe der Zusteller die Ladungen beim Postamt niedergelegt. Mitteilungen der Deutschen Post AG über die Niederlegung der Ladungen hätten sie weder im Briefkasten noch an der Haustür vorgefunden. Der Briefkasten am Gartentor sei offen und somit jedem zugänglich. Der "selbstklebende gelbe Benachrichtigungszettel könne jederzeit durch Witterungseinflüsse oder unberechtigte Personen bzw. Kinder entfernt werden". Der Kläger habe -- nicht wissend, daß am 11. April 1995 bereits mündlich verhandelt worden sei -- am 12. April 1995 seinen Prozeßbevollmächtigten beauftragt, die Verfolgung der Klage vor dem FG wiederaufzunehmen, nachdem sein Rechtsanwalt erklärt habe, die gegen den verstorbenen Berater geltend gemachte Schadensersatzforderung verspreche wegen der Ausschlagung der Erbschaft keinen Erfolg. Er habe daher seinen Schadensersatzanspruch gegenüber der Haftpflichtversicherung weiterverfolgen wollen. Hierfür sei eine finanzgerichtliche Entscheidung notwendig gewesen. Erst nach Zustellung des FG-Urteils habe er nach dem Verbleib der Ladungen geforscht und nach Auskunft von der Geschäftsstelle des FG die Ladungen abgeholt. Die Ersatzzustellung durch Niederlegung sei nach § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auf die bei gewöhnlichen Briefen übliche Weise mitzuteilen. Für die Mitteilung über die Niederlegung gälten nicht die Vorschriften über die Ersatzzustellung. Den Empfang der Mitteilung habe -- wie bei gewöhnlicher Zustellung -- der Absender nachzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Sie ist weder vom FG noch vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen worden. Sie ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Zwar haben die Kläger einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Der Mangel ist jedoch nicht schlüssig gerügt, da die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen -- als wahr unterstellt -- keinen Verfahrensmangel ergeben.

§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO setzt voraus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war. Das ist nur dann der Fall, wenn das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch den Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat, nicht aber, wenn das Gericht die gesetzlichen Vorschriften beachtet hat und der Beteiligte aus einem in seinem Bereich liegenden Grund nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte (BFH-Beschluß vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447). Nicht vertreten i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO ist ein Beteiligter insbesondere dann, wenn er nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948; BFH-Beschlüsse vom 3. Dezember 1993 III R 26/93, BFH/NV 1994, 390, und vom 16. März 1994 II R 30/93, BFH/NV 1995, 34).

Die Ausführungen der Kläger lassen nicht den Schluß zu, das FG habe ihnen die Ladungen zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß zugestellt. Die Ladungen sind den Klägern gemäß § 53 FGO i. V. m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) durch die Post mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Trifft der Postbedienstete den Empfänger in seiner Wohnung nicht an, hat er gemäß § 3 Abs. 3 VwZG i. V. m. § 182 ZPO eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben. Üblich ist der Einwurf in den Hausbriefkasten; die Mitteilung in ein Postfach des Empfängers einzulegen, reicht nach der Rechtsprechung nicht aus (BFH-Urteil vom 17. Februar 1983 V R 76/77, BFHE 137, 563, BStBl II 1983, 528 m. w. N.). Zu Recht hat daher der Postbedienstete die Mitteilungen über die Niederlegung der Ladungen in den Hausbriefkasten der Wohnung der Kläger eingelegt.

Die Postzustellungsurkunde erbringt gemäß § 82 FGO i. V. m. § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die von ihr bezeugten Tatsachen, auch den Beweis darüber, daß die Empfänger in der vorgeschriebenen Weise über die Niederlegung benachrichtigt worden sind. Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Die bloße Behauptung der Kläger, sie hätten die Mitteilung über die Niederlegung nicht erhalten, kann folglich die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung der Ladungen nicht entkräften. Die Kläger bestreiten im Grunde diesen Verfahrensablauf auch nicht. Sie vermuten lediglich, daß Unberechtigte die Mitteilung weggenommen hätten. Selbst wenn diese Vermutung zutreffen sollte, wäre dadurch die Wirksamkeit der Zustellung nicht beeinträchtigt. Entscheidend ist, daß der Post bedienstete die Mitteilungen über die Niederlegung der Ladungen bei der Post in den Hausbriefkasten eingelegt hat.

Nicht erforderlich ist, daß die Kläger die Mitteilung tatsächlich zur Kenntnis genommen haben (BFH-Beschlüsse vom 14. November 1977 VIII B 52/77, BFHE 124, 5; vom 2. Juni 1987 VII R 36/84, BFH/NV 1988, 170; vom 5. Januar 1990 III S 7/89, BFH/NV 1991, 322, jeweils m. w. N.). Der Senat weist im übrigen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Mitteilung über die Niederlegung nicht -- wie die Kläger meinen -- ein gelber, außen an den Briefkasten zu klebender Zettel ist. Der Benachrichtigungsschein wird vielmehr in den Hausbriefkasten eingeworfen.

Unerheblich ist, ob die Kläger mit oder ohne Verschulden von den Ladungen keine Kenntnis erhalten haben. Denn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einer unverschuldeten Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung kommt im finanzgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht, da eine dem § 235 der Strafprozeßordnung vergleichbare Vorschrift in der FGO fehlt (BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948; BFH/NV 1994, 390; BFH/NV 1995, 34).

Ein Mangel liegt auch nicht darin, daß das FG die Ladungen den Klägern persönlich zugestellt hat. Zwar sind Zustellungen an den Bevollmächtigten zu richten, wenn ein solcher bestellt ist (§ 62 Abs. 3 Satz 5 FGO). Der Bevollmächtigte der Kläger war jedoch während des Klageverfahrens, am 16. Juli 1993, gestorben. Mit dessen Tod erlosch die Vollmacht. Da vor dem FG kein Vertretungszwang besteht, traten die Kläger ohne Unterbrechung des Verfahrens an die Stelle des Bevollmächtigten (vgl. § 155 FGO i. V. m. § 244 ZPO). Das FG war nicht verpflichtet, die Kläger zur Bestellung eines anderen Anwalts aufzufordern. Es hat den Klägern im Oktober 1994 einen Schriftsatz zur Kenntnis zugestellt, in dem das FA mündliche Verhandlung beantragte. Hierauf haben die Kläger nicht reagiert. Es ist daher nicht rechtsfehlerhaft, daß das FG am 17. März 1995 die Ladungen zur mündlichen Verhandlung den Klägern persönlich zustellte.

Die von den Klägern gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs ist kein die zulassungsfreie Revision eröffnender Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO. Sie kann nur mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 423588

BFH/NV 1996, 567

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