Leitsatz (amtlich)

Gegen auf bürgerlichem Recht beruhende Haftungsbescheide (§ 120 AO) ist die Beschwerde (§ 230 AO) und nicht der Einspruch (§ 229 Nr. 5 AO) zulässig.

 

Normenkette

AO §§ 120, 229 Nr. 5, § 230; BGB § 419

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (FA) nahm den Beschwerdeführer (Steuerpflichtiger) für Steuerschulden von dessen Mutter nach § 120 AO in Verbindung mit § 419 BGB in Haftung. Der Haftungsbescheid wurde am 9. Oktober 1969 zugestellt. In ihm wurde die Beschwerde als zulässiger Rechtsbehelf bezeichnet. Mit Schreiben vom 7. Dezember 1969 erhob der Beschwerdeführer Sprungklage. Wegen fehlender Zustimmung des FA behandelte das FG die Klage gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO als Einspruch und verwies den Rechtsstreit durch Beschluß an das FA zur Entscheidung über den Einspruch.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, zu deren Begründung der Beschwerdeführer vorträgt, das FA habe seiner Sprungklage durch schlüssige Handlung zugestimmt, so daß eine Verweisung an das FA nicht zulässig sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Beschluß des FG war aufzuheben. Die Verweisung nach § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO ist nur in einem auf einem zulässigen Rechtsmittel beruhenden Verfahren möglich. Die Sprungklage aber war schon deshalb nicht zulässig, weil das Beschwerdeverfahren gegeben war. Der Bestimmung des § 229 Nr. 5 AO zufolge ist der Einspruch nur gegen Bescheide gegeben, durch die festgestellt wird, daß eine Person ... auf Grund von Abgabengesetzen für eine Abgabe haftet. Aus dieser nach dem Wortlaut eindeutigen Bestimmung ist zu schließen, daß der Einspruch gegen Bescheide nicht gegeben ist, in denen festgestellt wird, daß eine Person nach anderen als Abgabengesetzen für die Abgabe haftet. Hierbei kann es sich nur um bürgerliches Recht als Haftungsgrund handeln, weil die AO andere Haftungsgründe nicht erwähnt. Der Ansicht des FG, § 120 AO wandele die Haftung kraft bürgerlichen Rechts (§ 419 BGB) in eine Haftung auf Grund von Abgabengesetzen im Sinne des § 229 Nr. 5 AO um, vermag der Senat nicht beizutreten. Eine solche Umwandlung hätte nämlich zur Voraussetzung, daß die Bestimmung des § 120 AO rechtsgestaltend in das bestehende Haftungsrecht dergestalt eingreift, daß durch sie erst die Haftung kraft bürgerlichen Rechts für Abgaben begründet wird. Dies ist aber nicht der Fall. Denn die Haftung nach § 419 BGB erstreckt sich auch ohne die Bestimmung des § 120 Abs. 1 AO auf öffentliche Abgaben (vgl. Entscheidung des BGH VI ZR 310/54 vom 2. Dezember 1958, NJW 1959, 287 - Haftung nach § 419 BGB für Gerichtskosten -). § 120 Abs. 1 AO läßt folglich die Rechtslage unverändert und hat nur erklärende (deklaratorische) Bedeutung (a. A. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, § 120 AO, Anm. 1). Der III. Senat des BFH hat allerdings in der Entscheidung III R 40/66 vom 14. November 1969 (BFH 98, 298, BStBl II 1970, 478) ausgeführt, daß die nach § 419 BGB bestehende Haftung durch § 120 AO in eine steuerrechtliche Haftung umgewandelt werde. Der III. Senat hat aus dieser Auffassung jedoch für das Verfahren keine Schlüsse gezogen, denn er hat die vom Revisionskläger im Vorverfahren eingelegte Beschwerde nicht beanstandet. Damit ist der erkennende Senat in seiner Entscheidung über das Verfahrensrecht an die Auffassung des III. Senats nicht gebunden.

Der erkennende Senat sieht sich in seiner Auffassung, daß § 229 Nr. 5 AO nicht für Haftungsbescheide kraft bürgerlichen Rechts gilt, durch den Wortlaut dieser Bestimmung selbst bestärkt. Da nämlich die AO nur die Haftung kraft bürgerlichen Rechts und die Haftung aufgrund von Steuergesetzen kennt, wäre die besondere Hervorhebung der Haftung "auf Grund von Steuergesetzen" eine leere Floskel, wenn die bürgerlich-rechtliche Haftung stets in eine Haftung auf Grund von Steuergesetzen umgewandelt würde. Dann gäbe es allein eine Haftung aufgrund von Steuergesetzen und die besondere Hervorhebung wäre überflüssig. Hiervon aber kann nicht ausgegangen werden.

Hiernach gelangt der Senat zu der Auffassung, daß gegen Bescheide, in denen eine Person zur Haftung kraft bürgerlichen Rechts herangezogen wird, die Beschwerde nach § 230 AO und nicht der Einspruch nach § 229 Nr. 5 AO gegeben ist (gl. A. Schwarz in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 330 Anm. 7; BFH-Entscheidungen I R 72/68 vom 28. Oktober 1970, BFH 100, 353, BStBl II 1971, 26; IV R 133/70 vom 17. Dezember 1970, BFH 102, 197 - in beiden Entscheidungen wird die Beschwerde als zulässiger Rechtsbehelf behandelt -; a. A: v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 229 Anm. 18; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 2.-4. Aufl., § 330 Anm. 4; Ranft, Steuerlexikon 2 A, A §§ 325-343, 16). Welche Gründe den Gesetzgeber veranlaßt haben, das Verfahren je nach dem Haftungsgrund verschieden zu gestalten, ist schwer erkennbar, da die Gesetzesmotive hierüber nichts aussagen. Es ist aber zu vermuten, daß die rechtlich häufig schwierigen Entscheidungen über eine bürgerlich-rechtliche Haftung durch die übergeordnete Oberfinanzdirektion nachgeprüft werden sollen.

Unter Berücksichtigung dieser Auffassung hätte das FG den angeforderten Verweisungsbeschluß nicht erlassen dürfen, sondern die Klage als unzulässig abweisen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69633

BStBl II 1972, 296

BFHE 1972, 539

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