Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiordnung eines Rechtsanwaltes; Haftung mehrerer gesetzlicher Vertreter eines Vereins

 

Leitsatz (NV)

1. Wird einem Verfahrensbeteiligten für ein Verfahren vor dem FG Prozeßkostenhilfe bewilligt, ist seinem Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zu entsprechen, wenn der Rechtsstreit einen größeren Umfang hat, in tatsächlicher oder rechtlichen Hinsicht schwierig oder in wirtschaftlicher oder persönlicher Hinsicht für den die Beiordnung beantragenden Beteiligten bedeutsam ist und wenn der Beteiligte selbst nicht über die zur Prozeßführung erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt.

2. Wird eine juristische Person von mehreren Personen gesetzlich vertreten, ist grundsätzlich jede von ihnen für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten verantwortlich. Durch eine interne Aufgabenverteilung kann diese Verantwortlichkeit begrenzt werden. Die Begrenzung, die sich auch auf die Haftung auswirkt, setzt jedoch voraus, daß von vornherein, klar und eindeutig -- und somit schriftlich -- festgelegt worden ist, welcher der gesetzlichen Vertreter für welche Aufgabe zuständig ist. Die Begrenzung gilt nur insoweit und nur solange, als kein Anlaß besteht, an der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den zuständigen gesetzlichen Vertreter zu zweifeln.

3. Werden Geschäfte des laufenden Geschäftsverkehrs, die für die juristische Person nicht von existentieller Bedeutung sind, regelmäßig von einem der gesetzlichen Vertreter wahrgenommen, dürfen sich die anderen gesetzlichen Vertreter ohne schriftliche Festlegung der Aufgabenverteilung auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung nur dann verlassen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der die Aufgabe wahrnehmende gesetzliche Vertreter muß persönlich vertrauenswürdig sein. Der ihm vertrauende andere gesetzliche Vertreter muß generelle Kenntnis davon haben, daß die Geschäftsführung ordnungsgemäß wahrgenommen wird. Es muß gewährleistet sein, daß die Geschäfte die Grenzen des laufenden Geschäftsverkehrs nicht überschreiten und daß bei einer auch nur entfernt zu befürchtenden Gefährdung der Liquidität oder des Vermögens der juristischen Person alle gesetzlichen Vertreter unverzüglich unterrichtet werden.

 

Normenkette

FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 121 Abs. 2 S. 1; AO 1977 §§ 34, 69, 58 Nr. 6

 

Tatbestand

I. Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) führt beim Finanzgericht (FG) zwei Rechtsstreite gegen den Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --). Der eine Rechtsstreit wird wegen der Inanspruchnahme des Klägers als Haftender für Steuerschulden des X-Vereins (Verein) geführt. Das andere Verfahren betrifft die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides. Den ersten Haftungsbescheid gegenüber dem Kläger erließ das FA am 1. Dezember 1994. Im Einspruchsverfahren setzte das FA die Haftungsschuld auf 107 842 DM herab. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 14. März 1996 einen geänderten Haftungsbescheid, durch den es die Haftungsschuld auf nunmehr 88 290 DM herabsetzte. Der Kläger leitete den Änderungsbescheid in das Klageverfahren über.

Am 27. März 1996 beantragte der Kläger für beide Verfahren die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes. Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers beigefügt. Das FG gab dem Antrag durch Beschluß vom 13. Juni 1996 unter Hinweis auf seine am 7. Juni 1996 in dem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung ergangene Entscheidung teilweise statt. Über den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes entschied das FG nicht.

Mit seiner Beschwerde beantragt der Kläger sinngemäß, seinem Antrag vom 27. März 1996 in vollem Umfang zu entsprechen.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Beschwerde war nur insoweit zu entsprechen, als das FG -- wohl aus Versehen -- den Antrag des Klägers übergangen hat, ihm in dem Rechtsstreit wegen Haftung einen Rechtsanwalt als Vertreter beizuordnen. Im übrigen ist die Beschwerde unzulässig bzw. unbegründet.

1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie die Bewilligung von PKH für den Rechtsstreit wegen Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides betrifft.

Gegen einen Beschluß, mit dem das FG einen Antrag auf Bewilligung von PKH ganz oder teilweise abgelehnt hat, ist die Beschwerde nicht statthaft, wenn das Hauptsacheverfahren nicht mehr an den Bundesfinanzhof (BFH) gelangen kann (s. BFH-Beschlüsse vom 3. Juni 1997 I B 39/97, BFH/NV 1997, 800; vom 2. Februar 1996 VIII B 88/95, BFH/NV 1996, 635; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, §142 Rz. 28). Das FG hat durch Beschluß vom 7. Juni 1996 über den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides entschieden und die Beschwerde gegen den Beschluß nicht zugelassen. Das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung kann somit nach dem jetzigen Verfahrensstand nicht mehr an den BFH gelangen. Die Beschwerde ist daher, soweit sie die Bewilligung von PKH für den Rechtsstreit wegen Aussetzung der Vollziehung betrifft, unstatthaft und folglich unzulässig.

2. Soweit der Kläger die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als Vertreter in dem beim FG geführten Rechtsstreit wegen Haftung begehrt, ist die Beschwerde zulässig und begründet. Dem Kläger ist entsprechend seinem Antrag der zur Vertretung des Klägers bereite Rechtsanwalt A beizuordnen.

Ist einem Beteiligten PKH für einen Rechtsstreit bewilligt worden, in dem -- wie in Rechtsstreiten vor dem FG -- keine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben ist, wird ihm auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§121 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO -- i.V.m. §142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint erforderlich, wenn der Rechtsstreit einen größeren Umfang hat, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierig oder in wirtschaftlicher oder persönlicher Hinsicht für den die Beiordnung beantragende Beteiligten bedeutsam ist und wenn der Beteiligte selbst nicht über die zur Prozeßführung erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt (s. Zöller/Philippi, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., 1997, §121 Rn. 4, m.w.N.; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., 1995/1997, §142 FGO Rz. 196; Gräber/Ruban, a.a.O., §142 Rz. 23).

Wie die fast zehn Seiten umfassende Begründung der Entscheidung des FG in dem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung zeigt, ist der Rechtsstreit des Klägers gegen das FA wegen Haftung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht schwierig. Der Rechtsstreit hat zudem für den Kläger eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Der Betrag, mit dem das FA den Kläger nunmehr noch als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt, entspricht etwa der vierfachen Jahresrente des Klägers (Haftungsbetrag ca. 88 000 DM, Altersrentenbezüge ca. 1 800 DM/Monat). Da der Kläger früher als Glasarbeiter tätig war, ist davon auszugehen, daß er nicht selbst über die zur Prozeßführung erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt.

3. Im übrigen, soweit der Kläger die Bewilligung von PKH für den Rechtsstreit wegen Haftung über den vom FG bewilligten Umfang hinaus begehrt, ist die Beschwerde unbegründet.

a) Das FG hat dem Kläger PKH "in Höhe von 50 v.H. des Streitwerts" bewilligt. Der Tenor des Bewilligungsbeschlusses ist dahingehend auszulegen, daß dem Kläger für einen Streitwert von 50 v.H. von 107 842 DM (= 53 921 DM) PKH bewilligt worden ist.

Der Betrag von 107 842 DM entspricht der Haftungsschuld lt. Einspruchsentscheidung. Im Beschluß vom 7. Juni 1996 hat das FG den Streitwert für das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung auf 10 784 DM (= ca. 10 v.H. des Streitwertes der Hauptsache) festgesetzt. Zur Begründung der Bewilligung der PKH hat es auf diesen Beschluß verwiesen. Daß das FG bei der Bewilligung der PKH von einem Streitwert des Rechtsstreites wegen Haftung in Höhe von 107 842 DM ausgegangen ist, zeigt auch die Bewilligungsquote von 50 v.H. Diese -- aufgerundete -- Quote ergibt sich, wenn man wie das FG annimmt, die Klage wegen Haftung habe in Höhe von rd. 55 000 DM keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, und wenn man von einem Streitwert von 107 842 DM ausgeht. Bei der Festlegung der Quote hat das FG allerdings nicht berücksichtigt, daß das FA bereits am 14. März 1996 die Haftungsschuld auf 88 290 DM herabgesetzt hatte und somit in dem Zeitpunkt, in dem der Kläger die Bewilligung von PKH beantragt hat, der Streitwert des Rechtsstreites wegen Haftung nur noch 88 290 DM betrug. Eine Änderung des angefochtenen Bewilligungsbeschlusses zum Nachteil des Klägers ist jedoch ausgeschlossen (s. Gräber/Ruban, a.a.O., §132 Rz. 8).

b) Für die Haftung des Klägers ist unerheblich, daß der Kläger nach der mündlich vereinbarten Aufgabenverteilung im Vorstand des Vereins nicht für die steuerlichen Angelegenheiten des Vereins zuständig war.

Gemäß §34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) haben die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person deren steuerliche Pflichten zu erfüllen und insbesondere dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Die gesetzlichen Vertreter haften gemäß §69 AO 1977, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Wird eine juristische Person -- wie im Streitfall der Verein -- von mehreren Personen gesetzlich vertreten, ist grundsätzlich jede von ihnen für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten verantwortlich. Durch eine interne Aufgabenverteilung kann diese Verantwortlichkeit zwar nicht völlig aufgehoben, aber begrenzt werden. Die Begrenzung, die sich auch auf die Haftung auswirkt, setzt jedoch voraus, daß von vornherein, klar und eindeutig -- und somit schriftlich -- festgelegt worden ist, welcher der gesetzlichen Vertreter für welche Aufgabe zuständig ist (BFH- Entscheidungen vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776; vom 4. März 1986 VII S 33/85, BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 6. Aufl., 1998, §34 Anm. 2, m.w.N., §69 Anm. 5). Die Begrenzung gilt allerdings nur insoweit und nur solange, als kein Anlaß besteht, an der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den zuständigen gesetzlichen Vertreter zu zweifeln (BFH-Beschluß in BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384). Werden Geschäfte des laufenden Geschäftsverkehrs, die für die juristische Person nicht von existentieller Bedeutung sind, regelmäßig von einem der gesetzlichen Vertreter wahrgenommen, dürfen sich die anderen gesetzlichen Vertreter ohne schriftliche Festlegung der Aufgabenverteilung auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung nur dann verlassen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der die Aufgabe wahrnehmende gesetzliche Vertreter muß persönlich vertrauenswürdig sein. Der ihm vertrauende andere gesetzliche Vertreter muß generelle Kenntnis davon haben, daß die Geschäftsführung ordnungsgemäß wahrgenommen wird. Es muß gewährleistet sein, daß die Geschäfte die Grenzen des laufenden Geschäftsverkehrs nicht überschreiten und daß bei einer auch nur entfernt zu befürchtenden Gefährdung der Liquidität oder des Vermögens der juristischen Person alle gesetzlichen Vertreter unverzüglich unterrichtet werden (s. BFH-Entscheidungen in BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776; in BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384; s.a. BFH-Urteil vom 13. Januar 1987 VII R 86/85, BFH/NV 1987, 550).

Im Streitfall waren die Voraussetzungen für eine Begrenzung der Verantwortlichkeit des Klägers nicht erfüllt. Der Vorstand des Vereins hatte die interne Aufgabenverteilung nicht schriftlich festgelegt. Die Steuerangelegenheiten des Vereins waren für den Vereinsvorstand keine laufenden Geschäftsvorfälle. Da der Verein die Steuerbefreiungen wegen Gemeinnützigkeit beanspruchte und Rechtsstreite wegen der Versagung der Gemeinnützigkeit führte, waren die Steuerangelegenheiten für den Verein außergewöhnliche Vorgänge. Fehler in diesem Bereich, insbesondere die nicht rechtzeitige Ansammlung von Mitteln für die Bezahlung der Steuern im Fall eines für den Verein ungünstigen Ausgangs der Rechtsstreite, konnten zudem die Existenz des Vereins gefährden.

c) Der Kläger handelte zumindest grob fahrlässig, als er es als Mitglied des Vereinsvorstandes unterließ, vorsorglich Mittel zur Bezahlung der Steuern für den Fall zurückzulegen, daß die Rechtsbehelfe des Vereins gegen die Steuerbescheide ganz oder teilweise erfolglos blieben.

Grob fahrlässig i.S. des §69 AO 1977 handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer acht läßt (BFH-Urteil vom 21. Februar 1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491; Klein/Rüsken, a.a.O., §69 Anm. 7, m.w.N.). Daß das FA die Vollziehung der Bescheide teilweise ausgesetzt und die Steuerberaterin des Vereins einen Erfolg der Rechtsbehelfe vorhergesagt hatte, schließt ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers nicht aus. Die Aussetzung der Vollziehung ließ zwar den Schluß zu, auch das FA habe Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Solange das FA es aber ablehnte, die Bescheide ersatzlos aufzuheben, mußten alle Mitglieder des Vereinsvorstands mit einem negativen Ausgang der Rechtsbehelfsverfahren rechnen und Vorsorge für die rechtzeitige Bezahlung der dann fällig werdenden Steuern und steuerlichen Nebenleistungen treffen. Die Einschätzung der Erfolgsaussicht der Rechtsbehelfe durch die Steuerberaterin änderte daran nichts. Es handelte sich um eine Prognose, die einen für den Verein negativen Ausgang der Rechtsstreite nicht ausschloß. Dies war für den Vereinsvorstand auch erkennbar. Die Steuerberaterin hatte dem Verein gegenüber keine Garantie für einen positiven Ausgang der Rechtsstreite übernommen. Wenn sich der Kläger dennoch der Erkenntnis verschloß, daß die Rechtsstreite ganz oder teilweise zum Nachteil des Vereins ausgehen konnten und dann die Steuern und steuerlichen Nebenleistungen zu zahlen waren, ließ er in ungewöhnlich hohem Maße die Sorgfalt außer acht, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen verpflichtet und imstande war. Zu Recht wirft ihm das FA in der Einspruchsentscheidung vor, er habe sich ebenso wie die anderen beiden Vorstandsmitglieder überhaupt nicht um die steuerlichen Zahlungsverpflichtungen gekümmert und sich darauf verlassen, daß das FA dem Verein die Steuern erlassen werde, wenn der Verein nicht mehr zahlen könne.

d) Die Behauptung des Klägers, der Verein habe ohne Gefährdung seiner Existenz keine Rücklage für die Bezahlung der Steuern bilden können, wird durch die Feststellungen des FG und die Angaben in der Einspruchsentscheidung widerlegt. Danach erzielte der Verein in den Jahren 1991 und 1992 Einnahmen in Höhe von insgesamt rd. 108 000 DM. Die Ausgaben für Spenden, Spesen, gesellige Veranstaltungen, Bewirtungen, steuerlich nicht abzugsfähige Aufwendungen, Ehrenmitglieder und Reisekostenentschädigungen für die aktiven Mitglieder betrugen in beiden Jahren insgesamt rd. 61 000 DM. Daß der Verein in Existenznot geraten wäre, wenn er diese Ausgaben weitgehend unterlassen und statt dessen die Mittel für die Zahlung der Steuerschulden verwendet oder zurückgelegt hätte, ist nicht ersichtlich. Ohne eine Erstattung der den aktiven Mitgliedern durch eine Reise nach Spanien entstandenen Reisekosten (30 407 DM im Jahr 1992) wären die Mitglieder zwar möglicherweise künftig nicht mehr zu Auftritten im Ausland bereit gewesen. Daß Auslandsreisen für den Verein existenznotwendig waren, ist aber nicht erkennbar. Dagegen spricht bereits, daß sie nicht in jedem Jahr stattfanden. Zudem hätte der Verein nach Bezahlung der Steuerschulden die Kosten künftiger Auslandsreisen wieder erstatten können. Daß der Kläger und die anderen Mitglieder des Vereinsvorstandes nicht einmal zu einer nur kurzfristigen Änderung des Ausgabeverhaltens des Vereins bereit waren, um die -- 1991 zum Teil bereits bestandskräftig festgesetzten -- Steuern zu bezahlen bzw. Rücklagen für die Steuerzahlungen zu bilden, macht ihre zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung augenfällig.

e) Durch eine vorsorgliche Ansammlung von Mitteln für die Bezahlung der Steuern und steuerlichen Nebenleistungen hätte der Verein entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen §58 Nr. 6 AO 1977 verstoßen und die beanspruchten Steuervergünstigungen gefährdet. Das FA hatte dem Verein die Steuervergünstigungen mit der Begründung versagt, er verfolge seiner Satzung nach nicht ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke. Selbst wenn sich diese Rechtsauffassung in den Rechtsstreiten des Vereins gegen das FA als falsch herausgestellt und eine Ansammlung der Mittel somit als unnötig erwiesen hätte, wären dem Verein aufgrund der Rücklagenbildung keine steuerrechtlichen Nachteile entstanden. Solange für den Vereinsvorstand unklar war, ob die Steuern gezahlt werden mußten, war die Bildung der Rücklage nicht nur erlaubt, sondern zur Sicherung der Existenz des Vereins und damit der nachhaltigen Erfüllung seiner -- in diesem Zusammenhang zu unterstellenden -- steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke erforderlich. Die Behauptung des Klägers, er habe aufgrund eines entschuldbaren Rechtsirrtums diese Rechtsfrage anders beurteilt und deshalb nicht für die Bildung einer Rücklage gesorgt, ist eine nachgeschobene Schutzbehauptung. Sie steht mit dem früheren und auch jetzt noch aufrechterhaltenen Vortrag des Klägers in Widerspruch, eine Rücklage sei nicht gebildet worden, da der Vereinsvorstand mit einem Erfolg der Klagen des Vereins gerechnet habe und Mittel zur Bildung einer Rücklage nicht vorhanden gewesen seien.

f) Bei Erlaß des Haftungsbescheides am 1. Dezember 1994 war der Haftungsanspruch jedenfalls insoweit noch nicht verjährt, als das FG die Bewilligung von PKH abgelehnt hat. Der Kläger verwirklichte den die Haftung begründenden Tatbestand (§69 i.V.m. §34 Abs. 1 AO 1977), als er es unterließ, die nach 1989 fällig gewordenen Steueransprüche und Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen gegen den Verein zu erfüllen. Die vierjährige Festsetzungsfrist (§191 Abs. 3 AO 1977) war insoweit im Dezember 1994 noch nicht abgelaufen. Unbeachtlich ist, daß Teile des Haftungstatbestands vom Kläger möglicherweise bereits vor 1990 verwirklicht wurden. Entscheidend ist, daß der die Haftung begründende Tatbestand erst nach 1989 vollständig verwirklicht wurde, als die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht rechtzeitig -- bei Fälligkeit -- (s. Klein/Rüsken, a.a.O., §69 Anm. 3) erfüllt wurden.

g) Auch das Verhalten des FA vor und nach Erlaß des Haftungsbescheides vom 1. Dezember 1994 schließt die Haftung des Klägers nicht aus.

Daß das FA bereits vor 1994 mehrfach den Erlaß von Haftungsbescheiden erwogen und dann davon Abstand genommen hatte, ließ nicht den Schluß zu, es werde auch künftig keinen Haftungsbescheid erlassen. Das FA erließ seinerzeit nur deshalb zunächst keine Haftungsbescheide, weil es den Ausgang der Rechtsbehelfsverfahren abwarten wollte. Das FA hat weder dem Kläger noch anderen Mitgliedern des Vereinsvorstands gegenüber den Eindruck erweckt, es sehe die Voraussetzungen einer Haftung nicht als gegeben an und werde daher wegen der seinerzeit noch streitigen Steueransprüche keine Haftungsbescheide erlassen.

Das FA trifft auch kein Mitverschulden daran, daß die Steuerschulden des Vereins bei diesem nur im geringen Umfang beigetrieben werden konnten. Es ist allein auf das Verhalten der für den Verein handelnden Personen zurückzuführen, daß die Vollstreckungsversuche des FA in das Vermögen des Vereins weitgehend fruchtlos geblieben sind. Der Verein hat durch seine erfolgreichen Anträge auf Aussetzung der Vollziehung frühere Beitreibungen verhindert. Später haben die Mitglieder des Vereinsvorstands -- darunter auch der Kläger -- einen Erfolg von Beitreibungsmaßnahmen dadurch vereitelt, daß sie die von ihnen verwalteten Mittel des Vereins nicht für die Zahlung der rückständigen Steuern und die Bildung einer Rücklage, sondern für andere Zwecke verwendeten.

Daß das FA im April 1995 die etwaigen Schadensersatzansprüche des Vereins gegen dessen Steuerberaterin gepfändet hat und einen Rechtsstreit gegen die Steuerberaterin wegen dieser Ansprüche führt, läßt die Haftung des Klägers nicht rückwirkend entfallen und macht den Haftungsbescheid selbst dann nicht teilweise rechtswidrig, wenn die Steuerberaterin aufgrund der Pfändung Zahlungen an das FA geleistet und sich dadurch die Steuerschuld des Vereins gemindert haben sollte (s. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BSTBl II 1981, 138; Ehlers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, Vor §§69 bis 77 AO 1977, Rz. 19f.; Klein/Rüsken, a.a.O., §69 Anm. 10).

h) Der Haftungsbescheid ist auch nicht wegen fehlerhafter Ermessensausübung oder unzureichender Darlegung der Ermessenserwägungen rechtswidrig. Das FA hat in der Einspruchsentscheidung ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, worin seiner Auffassung nach die Pflichtverletzung des Klägers bestand, weshalb es sie als grob fahrlässig beurteilt hat und warum es den Kläger und zwei andere langjährige Vorstandsmitglieder des Vereins (das geschäftsführende Vorstandsmitglied und den Kassierer) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat. Die Einwände des Klägers gegen diese Ermessensausübung greifen nicht durch. Daß die Haftungsschuld für den Kläger eine große und seine wirtschaftliche Existenz gefährdende Belastung darstellt und möglicherweise ein Mißverhältnis zwischen der Höhe der Haftungsschuld und dem Maß des Verschuldens des Klägers besteht, ist bei der Ermessensausübung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (s. BFH-Urteil vom 5. September 1989 VII R 61/87, BFHE 158, 13, BStBl II 1989, 979).

4. Da die Beschwerde zum Teil Erfolg hat, entspricht es billigem Ermessen, die Gebühr Nr. 3401 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu §11 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes) nicht zu erheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 302937

BFH/NV 1998, 1460

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