Entscheidungsstichwort (Thema)

Folgen der nicht rechtzeitigen Vorlage der Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozeßkostenhilfeantrag

 

Leitsatz (NV)

Wer wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, eine Beschwerde rechtzeitig durch eine vor dem BFH vertretungsberechtigte Person einzulegen, muß in der Regel innerhalb der Beschwerdefrist das Gesuch um Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der vorgeschriebenen Form vorlegen. Andernfalls kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist nicht gewährt werden.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 129 Abs. 1, § 142

 

Tatbestand

Der Antragsteller, Beschwerdeführer und Kläger (Kläger) erhob gegen die Einspruchsentscheidung des Beklagten (Finanzamt - FA -) betreffend die Einkommensteuer 1972 und 1973 Klage. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Einkommensteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung lehnte das FA ab. Die Beschwerde blieb erfolglos.

Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung erhob der Kläger Klage. Für dieses Klageverfahren beantragte er Prozeßkostenhilfe (PKH).

Das Finanzgericht (FG) lehnte diesen Antrag auf PKH als unzulässig ab, weil der Kläger nicht den amtlichen Vordruck zur Erklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt habe. Dieser Beschluß des FG vom 1. September 1988 wurde dem Kläger am 21. September 1988 zugestellt. Der Kläger legte gegen den Beschluß mit Schriftsatz vom 3. Oktober 1988, eingegangen beim FG am selben Tage, persönlich Beschwerde ein.

Der Schriftsatz über die Beschwerde enthält zugleich einen Antrag auf PKH für das Beschwerdeverfahren. Der Kläger versichert darin, daß er finanziell nicht in der Lage sei, einen Anwalt für das Beschwerdeverfahren zu bemühen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf PKH kann keinen Erfolg haben.

Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten eines Rechtsstreits nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, nur dann PKH gewährt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das vom Kläger beabsichtigte Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der PKH durch das FG hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1 861, BStBl I 1975, 932) i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1 274, BStBl I 1985, 496) und des Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 3. Dezember 1987 (BGBl I 1987, 2 442, BStBl I 1987, 800) muß sich vor dem Bundesfinanzhof (BFH) jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde gegen die Versagung der PKH durch das FG (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG; vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 28. November 1975 VI B 130-132/75, BFHE 117, 223, BStBl II 1976, 62). Hierüber wurde der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung der Vorentscheidung zutreffend belehrt. Die vom Kläger gleichwohl persönlich eingelegte Beschwerde kann daher keinen Erfolg haben, da sie unzulässig ist.

2. Die Einlegung der Beschwerde durch eine vor dem BFH vertretungsberechtigte Person für den Kläger kann auch nicht mehr nachgeholt werden. Nach § 129 Abs. 1 FGO kann die Beschwerde nur innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Vorentscheidung eingelegt werden. Diese Frist ist längst verstrichen. Eine Verlängerung der Frist ist nicht möglich.

3. Ein etwaiger Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist könnte keinen Erfolg haben. Zwar stellt es eine die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) rechtfertigende unverschuldete Verhinderung, die Beschwerdefrist einzuhalten, dar, wenn ein Beteiligter wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, das Rechtsmittel durch einen befugten Vertreter beim BFH fristgerecht einzulegen. Nach der gefestigten Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes setzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist in diesem Falle aber voraus, daß der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist alles Zumutbare tut, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Das bedeutet, daß er bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH zur Einlegung des Rechtsmittels schaffen muß. Dazu gehört, daß der Antragsteller innerhalb dieser Frist das Gesuch um PKH und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der vorgeschriebenen Form (§ 117 Abs. 2 bis 4 ZPO) vorlegt, sofern er nicht auch hieran wiederum ohne sein Verschulden gehindert ist (vgl. zum Armenrecht nach der früheren Rechtslage: BFH-Beschluß vom 22. November 1977 VII S 5-6, 9/77, BFHE 123, 436, BStBl II 1978, 72, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH -; zur PKH: BFH-Beschlüsse vom 1. September 1982 I S 4/82, BFHE 136, 354, BStBl II 1982, 737, und vom 27. Juni 1983 II S 2/83, BFHE 138, 526, BStBl II 1983, 644; Beschluß des Bundessozialgerichts - BSG - vom 30. April 1982 7 BH 10/82, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 142, Rechtsspruch 30; BGH-Beschluß vom 9. Juli 1981 VII ZR 127/81, Versicherungsrecht - VersR - 1981, 884). Der Kläger hat seinem Gesuch um PKH für das Beschwerdeverfahren keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt.

Der Kläger war nicht ohne Verschulden gehindert, diese Erklärung innerhalb der Beschwerdefrist vorzulegen. Auf eine Unkenntnis der Pflicht zur Vorlage der Erklärung kann er sich schon deshalb nicht berufen, weil das FG seinen Antrag auf PKH im Ausgangsverfahren bereits wegen Nichtvorlage der Erklärung abgewiesen hatte. Dem Kläger mußte also bewußt sein, daß die Gewährung der PKH von der Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abhängig war. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß ihm die rechtzeitige Vorlage der Erklärung innerhalb der Beschwerdefrist hätte aufgegeben werden müssen. Der Antrag auf PKH ist erst so kurz vor Ablauf der Beschwerdefrist bei Gericht eingegangen, daß ein Schriftwechsel, der den Kläger noch innerhalb der Rechtsmittelfrist zur Vorlage der Erklärung hätte veranlassen können, nicht mehr möglich war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416362

BFH/NV 1990, 258

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