Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtabziehbare Schuldzinsen bei Überentnahmen – Verfassungsmäßigkeit des typisierenden Zinssatzes von 6 v.H.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Ermittlung der nichtabziehbaren Schuldzinsen bei Überentnahmen mit einem typisierenden Zinssatz von 6 v.H ist – auch unter Berücksichtigung der Entwicklung des Marktzinsniveaus in den Jahren 2013 bis 2016 - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4a S. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.03.2022; Aktenzeichen IV R 19/19)

 

Tatbestand

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 bis 2016 mit Bescheiden vom 21.12.2018, die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2013 bis 2016 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 jeweils vom 08.01.2019 (Einspruchsentscheidung vom 26.03.2019) macht die Klägerin mit der Klage geltend, der in § 4 Abs. 4a Satz 3 des EinkommensteuergesetzesEStG- bestimmte typisierende Zinssatz von 6 v.H. unterliege verfassungsrechtlichen Zweifeln. Hier gälten die gleichen Bedenken, die in den derzeit anhängigen Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes in § 238 der AbgabenordnungAO- vorgebracht würden. In den Streitjahren, während anhaltender Niedrigzinsphase, habe der typisierte Zinssatz keinen Bezug mehr zum langfristigen Marktzinsniveau; der angemessene Rahmen einer wirtschaftlichen Realität sei erheblich überschritten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Klageschrift vom 26.04.2019 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 bis 2016 mit Bescheiden vom 21.12.2018, die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2013 bis 2016 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 jeweils vom 08.01.2019 sowie die Einspruchsentscheidung vom 26.03.2019 dahin zu ändern, dass bei der Ermittlung der Schuldzinsenkürzung gemäß § 4 Abs. 4a EStG für den Gesellschafter Wolfgang Schulte ein Zinssatz von 2,9 v.H. zugrunde gelegt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte wendet ein, es handele sich um eine vom Gesetzgeber festgelegte und auch zulässige Typisierung, die der aktuellen Rechtslage entspreche. die anhängigen Verfahren betr. § 238 AO seien hier nicht übertragbar.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO-; der Beklagte hat zutreffend den gesetzlich typisierten Zinssatz des § 4 Abs. 4a EStG angewendet. Der Senat hält auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin für nicht berechtigt.

§ 4 Abs. 4a EStG bezweckt, die nicht zum Betriebsausgabeabzug zugelassenen Zinsaufwendungen in pauschalierter Art und Weise festzustellen. Die Regelung, dass die nichtabziehbaren Schuldzinsen typisiert mit 6 v.H. der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zu ermitteln sind, bestätigt dies (Urteil des Finanzgerichts –FG- Münster vom 06.08.2004 11 K 4399/03, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG- 2005, 263; Revision unbegründet lt. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH- vom 07.03.2006 X R 44/04, Bundessteuerblatt –BStBl- II 2006, 588).

Die Typisierung dient einem Vereinfachungszweck, welcher die in der Abkehr vom Individualmaßstab liegende Gleichbehandlung von Ungleichem (namentlich infolge der je nach genauem Entnahmezeitpunkt verschiedenen Finanzierungslaufzeit) vor Art. 3 Abs. 1 des GrundgesetzesGG- rechtfertigt. Insbesondere erspart sie dem Steuerpflichtigen wie der Verwaltung eine genaue umfangmäßige und zeitanteilige Zuordnung der angefallenen Zinslasten, die sich letztlich nur bei einer liquiditätsbezogenen Betrachtungsweise leisten ließe. Die Typisierung erweist sich als technische Bedingung der praktikableren kapitalbezogenen Sichtweise (BFH-Urteil vom 17.08.2010 VIII R 42/07, BStBl II 2010, 1041; Seiler in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rdnr. Ea 83). Der Kritik einer mit 6 v.H. übermäßigen Verzinsung der Überentnahmen ist entgegen zu halten, dass der Nachteil durch einen entsprechenden Vorteil – gleiche Behandlung von Einlagen und Gewinnen – bei pauschalierender Betrachtung aufgehoben wird. Zudem hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit einer abweichenden, die Verzinsung vermeidenden Gestaltung (Nacke in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 4 EStG Rdnr. 1658d). Der Zinssatz führt dann zu noch angemessenen Ergebnissen, wenn die Überentnahme sehr früh im Jahr erfolgt – jedenfalls vor dem Hintergrund der bezweckten Pauschalierung und im Hinblick auf den Vereinfachungseffekt (Frotscher/Watrin in Frotscher, EStG, § 4 Rdnr. 654).

Soweit die generell als noch vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasste Typisierung im extrem gelagerten Einzelfall jedoch zu grob sachwidrigen Ergebnissen führt, kommen ggf. Billigkeitsmaßnahmen in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 17.08.2010 VIII R 42/07, BStBl II 2010, 1041; ...

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