Leitsatz (amtlich)

Ist die Klageschrift von einem Steuerbevollmächtigten unterzeichnet, für den die Vollmacht nach Ablauf der Klagefrist nachgereicht wird, so ist die Klage zulässig; in der nachgereichten Vollmacht ist in der Regel eine Genehmigung der bisherigen Prozeßhandlungen des Bevollmächtigten zu erblicken.

 

Normenkette

FGO §§ 64, 62, 155; ZPO § 89 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 1968 vom 28. Juli 1970 mit Zustimmung des Revisionsbeklagten (FA) Klage beim FG. Die Klageschrift vom 7. August 1970, die an diesem Tage beim FG einging, ist von dem Steuerbevollmächtigten B. unterzeichnet. Die am 25. September 1970 eingereichte schriftliche Vollmacht der Steuerpflichtigen lautete auf den Namen des Steuerbevollmächtigten D. Dieser legte im Termin vom 22. Januar 1971 eine schriftliche Vollmacht der Steuerpflichtigen für den Steuerbevollmächtigten B. vom 30. November 1970 vor.

Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1971, 289 veröffentlicht ist, hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klageschrift weder von der Steuerpflichtigen selbst noch von ihrem Prozeßbevollmächtigten D. unterzeichnet worden sei. Die Unterzeichnung der Klageschrift durch B. und die Nachreichung einer Vollmacht für B., fünf Monate nach Klageerhebung, genüge nicht zur rechtswirksamen Klageerhebung. Auch eine erst nach Ablauf der Klagefrist eingereichte Untervollmacht, die der Prozeßbevollmächtigte seinem Angestellten gebe, könne die Unwirksamkeit der Klageerhebung nicht heilen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da ein Irrtum über die Notwendigkeit der eigenhändigen Unterzeichnung der Klageschrift einen Rechtsirrtum darstelle, der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht rechtfertige.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Steuerpflichtigen. Die Steuerpflichtige rügt, das FG habe die Tragweite des § 64 FGO und das Wesen der prozessualen Vollmacht (§ 62 FGO, § 81 ZPO, § 155 FGO) verkannt.

Die Steuerpflichtige beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet. Die Klage ist in der gesetzlichen Form und Frist erhoben worden.

Die Klage ist schriftlich zu erheben (§ 64 Abs. 1 FGO). "Schriftlich" heißt, daß die Klageschrift vom Steuerpflichtigen oder seinem Prozeßbevollmächtigten handschriftlich unterzeichnet sein muß (Beschluß des BFH VI R 230/68 vom 20. Februar 1970, BFH 98, 233, BStBl II 1970, 329; BFH-Urteil VII R 92/68 vom 29. Juli 1969, BFH 96, 381, BStBl II 1969, 659; grundsätzlich auch BFH-Urteile III R 86/68 vom 29. August 1969, BFH 97, 226, BStBl II 1970, 89; III R 32/70 vom 18. Dezember 1970, BFH 101, 349, BStBl II 1971, 329; III R 127/68 vom 15. Januar 1971, BFH 101, 475, BStBl II 1971, 397). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Klageschrift ist von dem Steuerbevollmächtigten B. unterzeichnet. Die Vollmacht der Steuerpflichtigen für B., die im Termin vom 22. Januar 1971 vorgelegt wurde und in der ohne Bedenken auch eine Genehmigung der bisherigen Prozeßhandlungen des Steuerbevollmächtigten B. erblickt werden darf, wirkt auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift vom 7. August 1970 zurück (§ 62 Abs. 3 FGO, § 89 Abs. 2 ZPO, § 155 FGO; BFH-Beschluß V R 46/66 vom 10. November 1966, BFH 87, 1, BStBl III 1967, 5; BFH-Urteil V R 62, 107/67, V B 23, 36/67 vom 28. September 1967, BFH 90, 280, BStBl II 1968, 63; Beschluß des BGH IV ZR 127/53 vom 26. November 1953, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 97 ZPO, Nr. 4). Das FG hat offenbar verkannt, daß die fehlende Vollmacht für den Steuerbevollmächtigten B. kein Mangel der Schriftlichkeit der Klageerhebung, sondern ein Mangel der Vollmacht war. Dieser Mangel wurde rückwirkend geheilt.

Das BFH-Urteil III R 32/70, a. a. O., steht dieser Entscheidung nicht entgegen. Der III. Senat hat in diesem Urteil eine Klage, die nicht von dem Prozeßbevollmächtigten, sondern von einem seiner Angestellten unterzeichnet war, für unzulässig gehalten. In diesem Fall wurde jedoch - im Gegensatz zum vorliegenden Fall - auch nachträglich keine Vollmacht für den Angestellten beigebracht.

Die Sache geht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 180

BFHE 1972, 537

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