Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Tatsache gilt nicht als neu im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, wenn der Steuerpflichtige alles, was zur Sachdarstellung gehört, richtig erklärt, das Finanzamt aber hieraus falsche rechtliche Schlüsse gezogen oder es unterlassen hat, offenliegende Zweifel aufzuklären.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 1, § 205 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige war zur Einkommensteuer II/1948 bis 1949 veranlagt worden, und zwar nach seiner Steuererklärung nebst beigefügter Bilanz, in der ein Gebäude mit 42.000 DM abzüglich einer erhöhten Absetzung gemäß § 7 b EStG von 10 v. H. der Herstellungskosten 3.000 DM aktiviert war. Bei der Veranlagung war dem Steuerpflichtigen seinem Antrag entsprechend die Vergünstigung des nichtentnommenen Gewinns gewährt worden. Der Steuerbescheid wurde rechtskräftig. Eine im Jahr 1955 durchgeführte Betriebsprüfung gelangte bezüglich des genannten Grundstücks zu folgenden Feststellungen:

"Das Grundstück ... mit dem darauf von 1947 bis 1949 errichteten Gebäude ist vom Stpfl. in die DMEB zum 21. 6. 1948 als gewillkürtes Betriebsvermögen aufgenommen worden. Ein Wertansatz dafür in der RM-Schlußbilanz ist nicht vorhanden. Eine Aufnahme in die DMEB ist nicht möglich, da die Firma zu diesem Zeitpunkt nicht im Handelsregister eingetragen und eine eigengewerbliche Nutzung ebenfalls nicht gegeben war. Auch nach erfolgter Eintragung im Handelsregister und Fertigstellung des Gebäudes kann eine Aufnahme in das Betriebsvermögen nicht erfolgen, da das Grundstück nur eigengewerblichen und eigenen Wohnzwecken dient und der eigengewerblichen Zwecken dienende Teil des Grundstücks unbedeutend ist. Siehe dazu EStR 1948 - 1951 Abschn. 17. Die DMEB ist daher zu berichtigen und die auf dem Gebäudekonto aktivierten Herstellungskosten sind über Privatkonto aus dem Betriebsvermögen zu entnehmen".

Diese Erhöhung der Privatentnahmen für II/1948 bis 1949 betrug laut Prüferfeststellung rd. 27.000 DM, womit die bis dahin gewährte Steuervergünstigung des nichtentnommenen Gewinns in Wegfall kam. Entsprechend diesen Feststellungen ergingen berichtigte Steuerbescheide mit einer für die Veranlagungszeiträume II/1948 bis 1949 höheren Einkommensteuer. Gegen diese Berichtigungsbescheide legte der Steuerpflichtige Einspruch ein, mit dem er sich gegen die Herausnahme des Hauses aus dem Betriebsvermögen wandte. Er führte u. a. aus, mit den Feststellungen des Prüfers bezüglich der Nichtzulässigkeit der Aktivierung des Grundstücks als Betriebsvermögen seien keine neuen Tatsachen festgestellt worden, weil dem Finanzamt die Verhältnisse, die zur Aktivierung geführt hätten, schon zur Zeit der ursprünglichen Veranlagung bekanntgewesen seien. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Der Berufung des Steuerpflichtigen hat das Finanzgericht stattgegeben, da es an der Feststellung einer neuen Tatsache im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO fehle. Die eigenbetriebliche Nutzung des Gebäudes mit weniger als 20 v. H. des Gebäudebestandes habe das Finanzamt auf Grund der mit der Steuererklärung abgegebenen Anlage feststellen können, in der das Gebäudekonto als betriebliches Konto mit eindeutiger Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen gemäß 7 b EStG, die ihrerseits eine mehr als 80 - prozentige Nutzung zu Wohnzwecken voraussetze, entwickelt sei. Diesen Widerspruch in der Steuererklärung hätte das Finanzamt zu Veranlassung nehmen müssen, bei dem Steuerpflichtigen zurückzufragen und klarzustellen, welches Nutzungsverhältnis tatsächlich vorlag, um dann, je nach dem Ergebnis der Rückfrage, entweder die erhöhten Absetzungen zu streichen oder das Grundstück aus der Bilanz herauszunehmen. Der Einwand, das Finanzamt sei mit der Veranlagung nur der Steuererklärung gefolgt, greife nicht durch; denn nach der gesetzlichen Regelung des Zusammenwirkens von Steuerpflichtigem und Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren habe der Steuerpflichtige grundsätzlich nur die rechtserheblichen Tatsachen mitzuteilen, während ihre Unterordnung unter das Steuergesetz Sache der Veranlagungsbehörde sei. Die Feststellung des Widerspruchs zwischen der Inanspruchnahme des § 7 b EStG und der Bilanzierung zu erkennen, setze auch keine umständlichen örtlichen Ermittlungen über die tatsächlichen Nutzungsverhältnisse, sondern nur eine schriftliche Rückfrage voraus. Deshalb könne dem Finanzamt auch darin nicht gefolgt werden, daß es die Frage, ob die Anwendung des § 7 b EStG überhaupt oder innerhalb des Betriebsvermögens möglich war, einer späteren Betriebsprüfung hätte überlassen können.

Gegen dieses Urteil hat der Vorsteher des Finanzamts mit der Rb. vorgetragen, dem Bearbeiter seien weitere Feststellungen nicht zuzumuten gewesen; das Finanzamt sei nach den Unterlagen zu einem weiteren Eindringen in den Sachverhalt nicht verpflichtet gewesen. Aus der Entwicklung des Gebäudekontos in der Anlage zur Einkommensteuererklärung II/1948 und 1949 sei lediglich zu erkennen gewesen, daß der Steuerpflichtige das fragliche Grundstück in die DM-Eröffnungsbilanz voll aufgenommen und gleichzeitig erhöhte Abschreibung nach § 7 b EStG bei der Ermittlung des gewerblichen Gewinns vorgenommen habe.

Nach den damaligen Verhältnissen habe ein Veranlagungsbeamter sehr wohl annehmen können, daß ein bebautes Grundstück zu mehr als 20 v. H. gewerblichen Zwecken und zu weniger als 50 v. H. Eigenwohnzwecken diente; denn damals seien auch Einfamilienhäuser an Fremde vermietet worden. Die diesbezüglichen Erklärungsangaben des Steuerpflichtigen hätten insofern nicht widerspruchsvoll sein müssen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Die Vorinstanz ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß der Erlaß von Berichtigungsbescheiden hier unzulässig war. Es ist zwar richtig, daß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO grundsätzlich nur erfordert, daß dem Finanzamt neue Tatsachen bekannt werden. Auch kann mit dem Bf. angenommen werden, daß dem Bearbeiter des Finanzamts bei der Veranlagung nicht bekannt war, daß der betrieblich genutzte Teil des bilanzierten Grundstücks weniger als 20. v. H. ausmachte. Nach der Rechtsprechung gilt aber eine Tatsache auch dann nicht als neu im Sinne des § 222 Abs. 1 AO, wenn sie das Finanzamt bei einwandfreier Bearbeitung der Sache hätte kennen müssen (Urteile des Bundesfinanzhofs III 139/52 S vom 10. Juli 1953, BStBl 1953 III S. 240, Slg. Bd. 57 S. 624; VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 86, Slg. Bd. 68 S. 223; IV 226/5 S vom 28. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 291, 293, Slg. Bd. 71, 111, 120; III 56/62 U vom 23. August 1963, BStBl 1963 III S. 518). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Nach § 7 b EStG 1948 waren erhöhte Absetzungen bei Gebäuden zugelassen, die zu mehr als 80 v. H. Wohnzwecken dienten. Daß dies bei dem Grundstück des Steuerpflichtigen der Fall war, ging aus seinen Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung vom 20. April 1950 eindeutig hervor; er hat damit klar zu erkennen gegeben, daß die Nutzung des Grundstücks zu unmittelbar betrieblichen Zwecken nach seiner Ansicht weniger als 20 v. H. betrug. Der Bf. kann aber auch nicht damit gehört werden, daß der Wohnzwecken dienende Anteil des Grundstücks nicht ganz zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden, sondern zum Teil im Rahmen des Betriebs vermietet worden wäre. Um eine solche Meinung zu rechtfertigen, hätten in den Erläuterungen auch Mieteinnahmen eines fremden Mieters verzeichnet sein müssen. In der "Hausabrechnung" ist als Ertrag nur die Eigenmiete aufgeführt. Daraus geht hervor, daß eine Fremdvermietung nicht erklärt worden ist. Der Steuerpflichtige hat demnach alles, was zu Tatsachendarstellung gehört, in seiner Erklärung richtig aufgeführt. Hat das Finanzamt hieraus rechtlich falsche Schlüsse gezogen, so kann das nicht als neue Tatsache gewertet werden und zu Lasten der Bestandswirkung der rechtskräftigen Veranlagung gehen. Hat das Finanzamt aber die rechtliche Bedeutung des Sachverhalts richtig erkannt, so hätte es bei einem Zweifel eine weitere Aufklärung herbeiführen müssen. Konnte es - wie vom Bf. ausgeführt - die Wohnverhältnisse nicht vor der Veranlagung klären und wollte es die näheren Ermittlungen einer späteren Prüfung überlassen, so stand es ihm frei vorerst die Veranlagung in diesem Punkte vorläufig durchzuführen. Es kann nicht anerkannt werden, daß in einem solchen Falle die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Bearbeiters überspannt würden. Nach § 205 AO hat das Finanzamt die Steuererklärungen zu prüfen und zu veranlassen, daß Lücken ergänzt und Zweifel beseitigt werden. Tut es das nicht, so muß es Tatsachen, die ihm dadurch nicht bekanntgeworden sind, als bekannt gegen sich gelten lassen. Da bei der Betriebsprüfung auch weitere neue Tatsachen von Gewicht nicht aufgedeckt worden sind, hat die Vorinstanz mit Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Berichtigungsveranlagungen verneint und die Berichtigungsbescheide aufgehoben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411008

BStBl III 1964, 13

BFHE 1964, 35

BFHE 78, 35

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Basic. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge