Leitsatz (amtlich)

Ein gespanntes Verhältnis zwischen Richter und Prozeßbevollmächtigtem kann bei einer Prozeßpartei die Besorgnis der Befangenheit begründen. Die ablehnende Einstellung des Richters muß jedoch der Partei gegenüber irgendwie in Erscheinung getreten sein.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO § 41 ff.

 

Gründe

Der Kläger und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) hat in mehreren Verfahren Klage erhoben und Aussetzung der Vollziehung mehrerer angefochtener Bescheide beantragt. Über die Klagen ist noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 30. März 1977 erklärte der Beschwerdeführer, daß er gemäß § 44 Abs. 1 ZPO den Vorsitzenden Richter beim Finanzgericht (FG) D ablehne. Zur Begründung berief er sich auf entsprechende Ablehnungsgesuche in anderen anhängigen Verfahren, die nicht ihn beträfen, in denen aber derselbe Prozeßbevollmächtigte, der Steuerberater M, tätig sei. Danach betreibt der Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdeführers die Ablehnung des Vorsitzenden Richters D in sämtlichen Verfahren, in denen er, Steuerberater M, als Prozeßbevollmächtigter auftritt. Der Beschwerdeführer begründete die Ablehnung mit persönlichen Differenzen des Prozeßbevollmächtigten mit dem Vorsitzenden Richter D, die bis in die 50er Jahre zurückreichten, als der Richter noch als Beamter der Finanzverwaltung tätig gewesen sei. Die Besorgnis der Befangenheit des Richters ergebe sich daraus, daß der Richter in mehreren Verfahren unrichtige Entscheidungen gefällt habe, die auf eine persönliche Voreingenommenheit gegen den Prozeßbevollmächtigten schließen ließen.

In seiner dienstlichen Äußerung zu dem Ablehnungsantrag erklärte der Richter, daß er sich nicht für befangen halte. Die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Umstände seien teils unzutreffend, teils richteten sie sich gegen den Spruchkörper, der in den von ihm angegebenen Einzelsachen entschieden habe. Die angeführten Gründe seien zum Teil beleidigend. Er, der Richter, behalte sich vor, wegen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs der Rechtsbeugung Strafanzeige zu erstatten.

Der Beschwerdeführer erklärte zu der dienstlichen Äußerung des Richters, dessen Befangenheit ergebe sich schon daraus, daß er meine, durch den Schriftsatz vom 4. April 1977 beleidigt worden zu sein und daß er deshalb mit einer Strafanzeige drohe. In der vorliegenden Sache selbst sei bedeutsam, daß nach zwei Betriebsprüfungen für die Firmengruppe des Beschwerdeführers etwa 20 bis 25 Klagen, Beschwerden und anträge auf Aussetzung der Vollziehung rechtshängig geworden seien und daß das FG unter dem Vorsitz des abgelehnten Richters trotz der Bitte, die Verfahren im Hinblick auf angestrebte Besprechungen mit dem zuständigen Finanzministerium ruhen zu lassen, und trotz ungünstiger Arbeitslage des Gerichts mit auffallender Eile den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt habe.

Das FG hat - unter dem Vorsitz eines anderen Richters - den Ablehnungsantrag abgewiesen. Es führte aus, vernünftigerweise könne der Beschwerdeführer aus dem Verhalten des Gerichts in der Aussetzungssache einen Grund für eine Besorgnis der Befangenheit weder des Spruchkörpers im ganzen noch seines Vorsitzenden herleiten. Im übrigen berufe sich der Beschwerdeführer auf Vorgänge, welche andere, zum Teil weiter zurückliegende Verfahren beträfen, in denen sein Prozeßbevollmächtigter als Partei oder Parteivertreter aufgetreten sei. Spannungen zwischen dem Prozeßvertreter und einem Richter könnten zwar im Einzelfall die Besorgnis der Befangenheit bei der Partei begründen, indes nur dann, wenn eine ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten in dem einschlägigen Verfahren selbst irgendwie in Erscheinung getreten sei (Hinweis auf den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts - BayObLG - vom 21. November 1974 I Z 102/74, NJW 1975, 699 mit weiteren Nachweisen).

Mit seiner Beschwerde, welcher das FG nicht abhalf, beantragt der Beschwerdeführer, den Beschluß des FG über die Zurückweisung des Antrags auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters D aufzuheben und den Richter für befangen zu erklären. Der Richter werde wegen seiner Einstellung zu dem Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers abgelehnt. Der Richter sei u. a. in von dem Prozeßbevollmächtigten, Steuerberater M, vertretenen Sachen offenbar bewußt kleinlich verfahren, habe sich nicht an die Rechtsprechung des BVerfG und des BFH und an eine ständige Verwaltungspraxis gehalten, so daß auch die Frage der Rechtsbeugung zu prüfen wäre.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das FA) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO). Dabei kommt es darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt, aber bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, § 51 Anm. 4, dort Anm. 4 zu § 42 ZPO).

a) Die Ablehnung kann immer nur die Prozeßpartei selbst geltend machen, und zwar aus einem Anlaß, der ihr einen Grund gibt, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. § 42 Abs. 3 ZPO). Der Prozeßbevollmächtigte der Partei hat aus Gründen seiner Person kein Ablehnungsrecht (vgl. Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Anm. III zu § 42; Beschluß des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 14. Juli 1971, 5 W 72/71, Monatsschrift für Deutsches Recht 1972 S. 332).

b) Es ist allerdings in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß auch ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten einer Partei und einem Richter ausnahmsweise die Ablehnung des Richters durch die Partei begründen kann (vgl. Beschluß des BayObLG 1 Z 102/74; Stein-Jonas, a. a. O., Anm. II 2 zu § 42 ZPO; Baumbach-Lauterbach, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 35. Aufl., Anm. 2 B zu § 42; Teplitzky, Juristische Schulung 1969 S. 318 [321], mit weiteren Nachweisen). Der Senat folgt der Vorinstanz im Anschluß vor allem an die Entscheidung des BayObLG I Z 102/74 darin, daß die ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten auch der Prozeßpartei gegenüber irgendwie in Erscheinung getreten sein muß. Es kommt somit darauf an, ob die Partei Anlaß zu der Besorgnis haben kann, der Richter werde in dem konkreten Verfahren sein persönliches Verhältnis zu dem Prozeßbevollmächtigten nicht hinreichend von dem konkreten Rechtsstreit trennen können.

2. Im Streitfall ist ein solcher Grund für den Beschwerdeführer als Prozeßpartei nicht in Erscheinung getreten. Dabei unterstellt der Senat, daß die Angaben des Beschwerdeführers oder seines Prozeßbevollmächtigten über gespannte Beziehungen zu dem abgelehnten Richter zutreffen.

a) Der Beschwerdeführer beruft sich zu Unrecht darauf, daß sich eine ablehnende Einstellung des Vorsitzenden Richters D in der Behandlung der zu dem streitigen Verfahrenskomplex gehörenden Antragssache wegen Aussetzung der Vollziehung geäußert habe. Das FG hat ausführlich dargelegt, daß es dem Prozeßbevollmächtigten vor der Zurückweisung des Antrags mehrmals ergebnislos Gelegenheit gegeben habe, zu den Sachfragen Stellung zu nehmen und die Prozeßvollmacht nachzuweisen. Erst nach Ablauf von mehr als fünf Monaten nach Anhängigkeit der Sache hat das FG den Antrag abgelehnt, und zwar wegen mangelnder Vollmacht. Der vom FG dargelegte Ablauf läßt klar erkennen, daß die Entscheidung im Aussetzungsverfahren nicht in benachteiligender Absicht vorgezogen worden ist, wie der Beschwerdeführer behauptet. Das FG war gehalten, dieses Verfahren wie alle Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung beschleunigt durchzuführen. Im übrigen war Berichterstatter in diesem Verfahren nicht der Vorsitzende Richter D, der lediglich bei der Entscheidung den Vorsitz führte, sondern ein anderes Mitglied des Senats des FG.

b) Die Zurückweisung des Ablehnungsantrags durch das FG ist auch nicht deshalb rechtlich zu beanstanden, weil, wie der Beschwerdeführer meint, der abgelehnte Richter schon im Hinblick auf bestimmte Erklärungen in seiner gemäß § 44 Abs. 3 ZPO abgegebenen dienstlichen Äußerung als nicht mehr unvoreingenommen angesehen werden könne. Diese Erklärungen, daß nämlich der Ablehnungsantrag zum Teil beleidigenden Charakter habe und daß der Richter sich deshalb rechtliche Schritte vorbehalte, rechtfertigen eine Besorgnis der Befangenheit des Richters nicht. Die offene Äußerung des Richters spricht vielmehr für seine Unbefangenheit. Sie zeigt, daß sich der abgelehnte Richter mit dem Vorwurf des Verdachts mehrfacher Rechtsbeugung - einer der schwersten Anschuldigungen, die gegen einen Richter in bezug auf seine amtsführung erhoben werden können - in einer Selbstprüfung hinsichtlich der Frage seiner Unparteilichkeit auseinandergesetzt hat und daß er gewillt und in der Lage ist, die Wahrung seiner persönlichen Rechte von seiner amtlichen Funktion in dem anhängigen Rechtsstreit getrennt zu halten. Dies mußte von dem FG bei seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berücksichtigt werden. Anderenfalls hätten es eine Partei oder ein Prozeßbevollmächtigter in der Hand, einen Richter, dessen Ablehnung sie anstreben, zunächst in gröblichster Weise anzugreifen, um ihn dann mit der Begründung ablehnen zu können, er sei jetzt nicht mehr unvoreingenommen gegenüber dieser Partei.

c) Die übrigen von dem Beschwerdeführer angeführten Tatsachen (Tatsachenbehauptungen) beziehen sich auf andere Verfahren. Sie können hier nicht berücksichtigt werden. Ob sie dort eine Richterablehnung rechtfertigen würden, hat der Senat nicht zu prüfen.

Soweit im übrigen aus der Begründung des Ablehnungsantrags und aus der Beschwerdebegründung hervorgeht, daß der Prozeßbevollmächtigte auf diese Weise den von ihm abgelehnten Richter aus sämtlichen Verfahren ausgeschaltet wissen will, in denen der Bevollmächtigte auftritt, erweist sich das Begehren des Beschwerdeführers als Mißbrauch des Ablehnungsrechts.

 

Fundstellen

BStBl II 1978, 12

BFHE 1978, 305

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