Leitsatz (amtlich)

1. Die Wirksamkeit der Ersatzzustellung durch Niederlegung des Schriftstücks bei der Postanstalt wirddurch den Beschluß des BVerfG 2 BvR 675/72 vom 20. Juni 1973 (BVerfGE 35, 296) nicht berührt.

2. Wer nach Rückkehr von einer Geschäftsreise, aber noch innerhalb der Revisionsfrist, ein Urteil des FG in Empfang nimmt, das durch Niederlegung bei der Postanstalt zugestellt wurde, kann sich zur Begründung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist nicht auf den Beschluß des BVerfG 2 BvR 675/72 berufen.

 

Normenkette

FGO § 56; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO § 182

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob beim FG Restitutionsklage mit dem Ziel, das durch Urteil des BFH vom 26. Juli 1972 I R 158/71 (nicht veröffentlicht) rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wieder aufzunehmen. Das FG hat die Restitutionsklage abgewiesen. Das Urteil des FG wurde dem Kläger am 21. Februar 1974 durch Niederlegung bei der Postanstalt zugestellt. Der Kläger legte mit Schriftsatz vom 21. März 1974, beim FG eingegangen am 25. März 1974, Revision ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 20. April 1974, eingegangen beim BFH am 23. April 1974.

Der Kläger meint, er habe die Revisionsfrist und die Revisionsbegründungsfrist nicht versäumt, weil er das Urteil des FG erst am 25. Februar 1974 nach Rückkehr von einer Geschäftsreise in Empfang genommen habe. Vorsorglich beantragt der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist. Zur Begründung führte er aus, er habe den Revisionsantrag am 21. März 1974 zur Post gegeben und damit immer noch so rechtzeitig, daß der Brief bei normaler Postlaufzeit vor dem 25. März 1974 beim FG hätte eintreffen müssen. Da das FG keine Verspätung der Revision gerügt habe, habe er, der Kläger, guten Glaubens annehmen können, die Revisionsbegründungsfrist laufe erst am 25. April 1974 ab.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt und begründet wurde (§§ 120, 124 FGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden, weil der Kläger nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die Fristen einzuhalten (§ 56 FGO).

1. Die Frist von einem Monat zur Einlegung der Revision begann mit der Zustellung des Urteils des FG (§ 120 Abs. 1 FGO). Da der Postbedienstete, der mit der Zustellung beauftragt war, den Kläger selbst in der Wohnung nicht angetroffen hatte und die Zustellung weder an einen zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen noch an eine in der Familie dienende erwachsene Person noch an den Hauswirt oder Vermieter ausführbar war, konnte die Zustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt und Abgabe einer schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung erfolgen (§ 3 Abs. 3 VwZG, § 182 ZPO). Die Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt nach § 182 ZPO ist an dem Tag der Niederlegung und der Abgabe der schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung vollzogen. Auf die Kenntnis des Zustellungsempfängers und die Abholung kommt es nicht an (Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 7. Aufl., Anm. zu § 182). Danach ist im Streitfall ausweislich der Zustellungsurkunde die Zustellung am 21. Februar 1974 erfolgt. Die Revisionsfrist von einem Monat endete damit am 21. März 1974 (§§ 187, 188 BGB, § 222 ZPO, § 155 FGO).

Dementsprechend endete die Revisionsbegründungsfrist am Montag, dem 22. April 1974.

Die Revision ist daher am 25. März 1974 nicht rechtzeitig eingelegt und am 23. April 1974 nicht rechtzeitig begründet worden.

2. Der Kläger hat die beiden Fristen nicht ohne sein Verschulden versäumt. Wenn er vorbringt, er habe die Revision am 21. März 1974 zur Post gegeben, so war das zu spät, da dies der Tag des Fristablaufs war. Aus der Tatsache, daß das FG die Verspätung der Revision nicht gerügt hat, durfte der Kläger nicht den Schluß ziehen, die Frist sei gewahrt und die Revisionsbegründungsfrist laufe bis 25. April 1974. Denn es ist nicht Sache des FG, sondern Sache des BFH, die Zulässigkeit und damit auch die Rechtzeitigkeit der Revision und der Revisionsbegründung zu prüfen (§ 124 FGO).

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf den Beschluß des BVerfG vom 20. Juni 1973 2 BvR 675/72 (BVerfGE 35, 296) berufen. Das BVerfG hat in diesem Beschluß ausgeführt, der Bürger müsse darauf vertrauen können, daß er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten werde, wenn ihm während der Urlaubszeit ein Bußgeldbescheid durch Niederlegung bei der Post zugestellt werde und er aus Unkenntnis der Ersatzzustellung die Einspruchsfrist versäume. Durch diesen Beschluß wird einmal der Beginn der Frist am Tage der Niederlegung des Schriftstücks bei der Postanstalt nicht in Frage gestellt. Das ergibt sich klar aus dem Beschluß des BVerfG vom 9. Juli 1969 2 BvR 753/68 (BVerfGE 26, 315), auf den der Beschluß 2 BvR 675/72 Bezug nimmt. Das BVerfG hat nur die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, nicht aber die Ersatzzustellung nach § 182 ZPO für verfassungswidrig erklärt. Die Revisionsfrist begann daher im Streitfall entgegen der Ansicht des Klägers nicht am 25. Februar 1974, sondern, wie ausgeführt, am 21. Februar 1974. Aber auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist folgt im Streitfall nicht aus den angeführten Beschlüssen des BVerfG. Denn der Kläger war durch die Abwesenheit von seinem Wohnort nicht verhindert, die Revisionsfrist und die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Nach seinen eigenen Angaben gelangte das Urteil des FG am 25. Februar 1974 in seine Hände. Er hatte daher genügend Zeit, die Revision rechtzeitig einzulegen und zu begründen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71067

BStBl II 1975, 18

BFHE 1975, 270

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