Leitsatz (amtlich)

Ein Beteiligter, der, vertreten durch einen Bevollmächtigten, beim FG eine einstweilige Anordnung beantragt und gegen die Entscheidung des FG Beschwerde eingelegt hat, kann durch einen persönlich unterzeichneten Schriftsatz im Verfahren vor dem BFH den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären.

 

Normenkette

FGO §§ 114, 138; ZPO § 920 Abs. 3; BFH-EntlastG Art. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) betrieb die Zwangsversteigerung eines dem Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer), einem eingetragenen Verein, gehörenden Grundstücks wegen Steuerforderungen, Ergänzungsabgabe, Säumniszuschlägen und Rechtsbehelfskosten. Versteigerungstermin war bereits anberaumt worden.

Der Beschwerdeführer - ein eingetragener Verein - stellte beim Finanzgericht (FG) den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung, bis das Verfahren beim FG geklärt sei. Das FG entnahm dem Begehren des Beschwerdeführers einen Antrag auf einstweilige Anordnung zur Durchsetzung der einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung des Grundstücks, den es durch Beschluß zurückwies.

Gegen diesen Beschluß legte der Beschwerdeführer durch seinen damaligen Prozeßbevollmächtigten Beschwerde ein.

Das FA trug später vor, die Beschwerde sei in der Hauptsache erledigt. Auf Weisung der Oberfinanzdirektion (OFD) habe es inzwischen die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens bewilligt.

Das FA legte eine Ablichtung des Beschlusses des Amtsgerichts vor, durch den das Zwangsversteigerungsverfahren, soweit es vom FA betrieben wurde, nach § 30 des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) mit der Begründung eingestellt worden war, daß das FA die Einstellung bewilligt habe. Der Versteigerungstermin war aufgehoben worden.

Sodann teilte der Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdeführers mit, daß er den Beschwerdeführer nicht mehr vertrete.

Auf ein Schreiben des Berichterstatters, durch das dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben wurde, zur Erklärung des FA und zu der Mitteilung des Prozeßbevollmächtigten Stellung zu nehmen, erklärte der Beschwerdeführer in einem von seinem Präsidenten unterzeichneten Schriftsatz, er habe gedacht, daß die Angelegenheit schon erledigt sei. Das FA habe die Versteigerung zurückgenommen und die OFD habe den Erlaß der gesamten Summe der Steuerforderungen gebilligt.

 

Entscheidungsgründe

Nach § 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden, da davon auszugehen ist, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Beide Beteiligte haben übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben.

Der Beschwerdeführer hat zwar nicht ausdrücklich erklärt, daß der Streit in der Hauptsache erledigt sei. Die Erledigungserklärung ist aber aus seinen Ausführungen in dem von seinem Präsidenten unterzeichneten Schriftsatz zu entnehmen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß der Beschwerdeführer seinen Antrag an das FG als gegenstandslos ansieht, nachdem das FA die Einstellung der Zwangsvollstreckung bewilligt hat. Die Ausführungen lassen weiter erkennen, daß der Beschwerdeführer dieses für die Gegenstandslosigkeit seines Antrags maßgebende außerprozessuale Ereignis in das Verfahren einführen und seinen Antrag an das FG nicht mehr weiterverfolgen will. Daraus ist eine Erledigungserklärung zu entnehmen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1979 GrS 3/78 und GrS 4/78, BFHE 127, 155 und 147, BStBl II 1979, 378, 375).

Die Erledigungserklärung ist zwar durch den Präsidenten des Beschwerdeführers persönlich und nicht durch einen Bevollmächtigten im Sinne von Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlastG) abgegeben worden. Das ist für die Wirksamkeit der Erledigungserklärung aber unschädlich. Im vorliegenden Fall beziehen sich die übereinstimmenden Erledigungserklärungen auf einen Antrag auf einstweilige Anordnung, da der Beschwerdeführer, wie das FG ausgeführt hat, eine einstweilige Anordnung begehrt hat. Die Vorschrift in Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG, daß vor dem BFH sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten lassen muß, gilt nicht für die Abgabe einer Erledigungserklärung, die sich auf den Antrag auf einstweilige Anordnung bezieht. Das folgt aus der sinngemäßen Anwendung der Regelung in § 78 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO), nach der die Vorschrift über den Vertretungszwang auf Prozeßhandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, nicht anzuwenden ist. Der BFH hat wiederholt entschieden, daß diese Regelung auch im Verfahren vor dem BFH gilt (vgl. Beschlüsse vom 28. November 1975 VI B 130-132/75, BFHE 117, 223, BStBl II 1976, 62; vom 25. März 1976 V S 2/76, BFHE 118, 300, BStBl II 1976, 386, und vom 14. Juli 1976 VIII R 52/76, BFHE 119, 233, BStBl II 1976, 630).

Zu den Prozeßhandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, gehört auch die Erledigungserklärung, die sich auf den Antrag auf einstweilige Anordnung bezieht. Im Gesetz ist zwar nicht geregelt, wie diese Erklärung abzugeben ist. Nach sinngemäßer Anwendung des § 920 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 114 Abs. 2 FGO kann aber der Antrag auf einstweilige Anordnung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gestellt werden. Daraus muß entnommen werden, daß diese Form auch für die auf den Antrag auf einstweilige Anordnung bezogene Erledigungserklärung genutzt werden kann.

Im Schrifttum wird einhellig die Auffassung vertreten, daß im verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahren die Klage durch Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zurückgenommen werden kann (Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 92 Rdnr. 14; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 7. Aufl., § 40 III; Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 72 FGO Rdnr. 3; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 72 Anm. 17). Als Grund dafür wird angeführt, daß auch die Klage durch Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann und daß deshalb angenommen werden muß, daß sie auch in dieser Form zurückgenommen werden kann (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 72 Anm. 3 A). Eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 2 (früher § 271 Abs. 2) ZPO, nach der die Zurücknahme der Klage durch Einreichung eines Schriftsatzes zu erfolgen hat, wird mit der Begründung abgelehnt, daß diese Regelung in der Zivilprozeßordnung dem Anwaltszwang im Verfahren vor dem Landgericht Rechnung trägt (vgl. Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, 1960, § 92 Anm. III 1). Der BFH hat bereits entschieden, daß sogar die Revision, die nicht durch Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden kann (§ 120 FGO), in dieser Form zurückgenommen werden kann (Beschluß VIII R 52/76). Ob auch diese Entscheidung damit begründet werden kann, daß die Zurücknahme der Revision zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärt werden könne (vgl. dazu Gräber, a. a. O., § 125 Anm. 3 C), braucht im vorliegenden Fall nicht beurteilt zu werden. Jedenfalls läßt sie wie die Auffassungen über die Form für die Zurücknahme der Klage das Bestreben erkennen, die Beendigung eines finanzgerichtlichen Verfahrens durch den Vertretungszwang nicht zu erschweren. Dieses Bestreben kommt auch in den Entscheidungen des BFH vom 31. Januar 1978 VII K 2/77 (BFHE 124, 156, BStBl II 1978, 232) und vom 16. Juni 1978 VI R 3/78 (BFHE 125, 149, BStBl II 1978, 464) zum Ausdruck, in denen - allerdings aus anderen Erwägungen - die Heranziehung eines Prozeßbevollmächtigten zur Zurücknahme der Klage in dem vor dem BFH schwebenden Verfahren nicht für erforderlich gehalten worden ist. Diesem Anliegen ist zumindest unter der Voraussetzung nachzukommen, daß das Verfahren auch frei vom Vertretungszwang durch eine Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingeleitet werden kann und die Erklärung zur Beendigung des Verfahrens sich gerade auf diese das Verfahren einleitende Erklärung (Klage, Antrag) bezieht. Aus § 78 Abs. 2 ZPO muß entnommen werden, daß der gesetzliche Vertretungszwang nicht dazu führen soll, die sich aus der Möglichkeit der Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ergebende Erleichterung zur Vornahme von Prozeßhandlungen durch die Beteiligten zu beseitigen. Dieses Ziel würde aber wesentlich beeinträchtigt, wenn das Verfahren, das durch Erklärungen zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingeleitet werden kann, nicht ohne Einschaltung eines zur Vertretung nach dem Gesetz befugten Bevollmächtigten beendet werden könnte.

Auf die Beendigung eines Verfahrens ist auch die Erledigungserklärung gerichtet (vgl. Stein-Jonas, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 91 a Rdnr. 1). Durch sie soll erreicht werden, daß über den Antrag, durch den das Verfahren eingeleitet worden ist, nicht mehr entschieden und das Verfahren demgemäß ohne Entscheidung in der Hauptsache beendet wird (vgl. Tipke-Kruse, a. a. O., § 138 FGO Rdnr. 14). Das gilt auch für die im Rechtsmittelverfahren abgegebene Erledigungserklärung. Auch sie bezieht sich auf die Erklärung (Klage, Antrag), durch die das finanzgerichtliche Verfahren eingeleitet, und nicht auf die Erklärung, mit der das Rechtsmittel eingelegt worden ist (vgl. Beschlüsse des BFH GrS 3/78 und GrS 4/78). Hinsichtlich der Klagerücknahme wird im Schrifttum allerdings die Auffassung vertreten, daß die dazu erforderliche Erklärung nur dann zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden könne und damit nicht dem Vertretungszwang unterliege, wenn für die Instanz, in der sich der Rechtsstreit befindet, ein Vertretungszwang nicht vorgeschrieben ist (vgl. Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 92 Anm. D 1 a). Würde man dieser Auffassung folgen, so könnte der Antrag auf eine einstweilige Anordnung beim BFH nur dann durch eine persönliche Erklärung des Antragstellers zurückgenommen werden, wenn der Antrag beim BFH gestellt worden wäre, da in diesem Fall in sinngemäßer Anwendung des § 920 Abs. 3 ZPO auch der Antrag auf einstweilige Anordnung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärt werden kann. Dagegen könnte der Antrag nicht durch eine persönliche Erklärung des Antragstellers zurückgenommen werden, wenn der Rechtsstreit wegen der einstweiligen Anordnung auf Grund einer Beschwerde gegen eine finanzgerichtliche Entscheidung beim BFH anhängig wäre, da der Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG auch für das Beschwerdeverfahren besteht, und zwar auch dann, wenn der Antrag, durch den das gerichtliche Verfahren eingeleitet worden ist, auch beim BFH zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärt werden könnte (vgl. Gräber, a. a. O., § 62 Anm. 2). Der Erwägung, daß die Erleichterung, ein Verfahren ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten einleiten zu können, zumindest dann auch für die Beendigung des Verfahrens bestehen soll, wenn die auf die Beendigung des Verfahrens ausgerichtete Erklärung sich auf die Prozeßhandlung bezieht, durch die das Verfahren ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten eingeleitet werden konnte, wird es jedoch besser gerecht, wenn diese Erleichterung auch noch im Rechtsmittelverfahren zugestanden wird. Es wäre auch formalistisch, wenn der beim BFH anhängige Rechtsstreit wegen einer einstweiligen Anordnung wohl ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten für erledigt erklärt werden könnte, sofern der Antrag auf einstweilige Anordnung beim BFH gestellt worden wäre, nicht aber dann, wenn der Antrag beim FG gestellt worden ist und das Verfahren auf Grund einer Beschwerde gegen die Entscheidung des FG vor dem BFH schwebt. Daß aber die Vertretung durch einen Prozeßbevollmächtigten nicht gefordert werden kann, wenn dessen Heranziehung zur Vornahme einer Prozeßhandlung sich als Förmelei erweisen würde, hat der BFH bereits in den genannten Entscheidungen VII K 2/77 und VI R 3/78 zum Ausdruck gebracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72925

BStBl II 1979, 707

BFHE 1979, 327

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