Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtzeitige oder verspätete Klageeinlegung

 

Leitsatz (redaktionell)

Bestreitet der Kläger den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post, trägt die Behörde dafür die objektive Feststellungslast; der Postabgangsvermerk der Rechtsbehelfsstelle erbringt regelmäßig keinen Beweis für die Aufgabe zur Post.

 

Normenkette

AO § 122 Abs. 2 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 27.11.2002; Aktenzeichen X R 17/01)

 

Tatbestand

Der Kläger (Kl.) ist seit 1988 in der Immobilienvermittlung selbständig tätig. Seinen Gewinn ermittelt er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG). Für das Streitjahr 1994 erklärte er Einnahmen von 200.000 DM und einen Gewinn von 50.000 DM. Das Finanzamt (FA) folgte den Angaben des Kl. und setzte die Einkommensteuer (ESt) für 1994 entsprechend fest (ESt-Bescheid 1994 vom 21. November 1996 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung - AO -).

Dem FA lagen seit Januar 1995 Kontrollmitteilungen des Finanzamts - Grunderwerbsteuerstelle - vor, nach denen der Kl. zusammen mit ..., im Streitjahr Provisionen (brutto) für die Vermittlung von Grundstückskaufverträgen wie folgt erhalten hatte:

Vertrag vom

Objekt

Provision insgesamt

19. 9. 1994

...

10.000 DM

7. 9. 1994

...

7.000 DM

14. 10. 1994

...

22.000 DM

12. 4. 1994

...

15.000 DM

gesamt

54.000 DM.

Offenbar durch einen Lesefehler ermittelte das beklagte FA die Summe der Provisionseinnahmen mit 34.000 DM, wobei es die Einnahmen aus dem Vertrag vom 14. Oktober 1994 mit nur 2.000 DM (statt 22.000 DM) ansetzte. Mit Schreiben vom 22. Juni 1998 forderte das FA den Kl. auf, seine für 1994 erklärten Einnahmen insgesamt aufzuschlüsseln. Dieser Aufforderung kam der Kl. nicht nach. Daraufhin erließ das FA einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten ESt-Bescheid für 1994 und setzte die ESt auf x DM fest (Bescheid vom 10. September 1998). Trotz einer entsprechenden Aufforderung des FA legte der Kl. auch im Einspruchsverfahren seine Einnahmen nicht im Einzelnen dar. Die Vertragsparteien der vermittelten Kaufverträge hätten niemals an ihn direkt gezahlt. Sämtliche Geschäftsabwicklungen seien mit „den bezeichneten Unternehmen“ zustande gekommen. Er sei nicht selbst makelnd, sondern nur als Untervermittler tätig gewesen und habe mit Maklern in Geschäftsverbindung gestanden. Deshalb könne er auch keine Angaben zu den einzelnen Objekten machen. Die Namen der Verkäufer und Erwerber seien ihm nicht geläufig. Er habe seine Tätigkeit auf die Beratungsleistung konzentriert.

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Der Kl. sei seiner Mitwirkungspflicht, die erklärten Einnahmen aufzuschlüsseln, nicht nachgekommen. Das FA könne deswegen den Sachverhalt nicht feststellen. Die Besteuerungsgrundlagen seien zu schätzen. Dabei sei es nicht zu beanstanden, wenn das FA von einem für den Kl. ungünstigen Sachverhalt ausgehe und die Einnahmen lt. Kontrollmitteilungen den erklärten Beträgen hinzurechne (Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 1999).

Für das Jahr 1995 gab der Kl. keine ESt-Erklärung ab. Das FA schätzte deshalb die Besteuerungsgrundlagen für die ESt wie folgt:

Einnahmen 1994

200.000,00 DM

zzgl. 10%

20.000,00 DM

220.000,00 DM

./. Ausgaben 1994

125.000,00 DM

Gewinn 1995 geschätzt

95.000,00 DM

./. Sonderausgaben

9.000,00 DM

Verspätungszuschlag

100,00 DM

Nach den Umsatzsteuer(USt)-Voranmeldungen belief sich der erklärte Umsatz des Kl. von Januar bis Dezember 1995 auf insgesamt 140.000,00 DM. Gegen den ESt-Bescheid 1995 (Bescheid vom 17. Dezember 1998) legte der Kl. fristgerecht Einspruch ein, den er nicht begründete. Er gab auch keine ESt-Erklärung ab. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Neben den Vorjahreszahlen sei bei der Schätzung ergänzend berücksichtigt worden, dass der Kl. den gegen ihn bestehenden Verdacht, seine Einnahmen nicht vollständig zu erklären, nicht ausgeräumt habe (Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 1999).

Beide Einspruchsentscheidungen sind nach Aktenlage von der Bearbeiterin in der Rechtsbehelfsstelle des beklagten FA am Freitag, dem 4. Juni 1999 als einfacher Brief der Poststelle übergeben worden. Die Verfügungsblätter sind entsprechend gestempelt und paraphiert. Die Sachgebietsleiterin hat die Entscheidungen am 3. Juni 1999 abgezeichnet. In den Rechtsbehelfsbelehrungen ist die Adresse des Finanzgerichts korrekt bezeichnet.

Die Klage ist am Donnerstag, dem 8. Juli 1999 bei dem Finanzgericht eingegangen. Sie war an die alte Adresse des Finanzgerichts, Deliusstraße 22, gerichtet und ist nachgesandt worden. Das Kuvert trägt einen Poststempel vom 2. Juli 1999.

Der Kl. behauptet, die Einspruchsentscheidungen seien ihm erst am 10. Juni 1999 zugegangen. Die Briefe könnten deshalb am 4. Juni 1999 das FA nicht verlassen haben. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Er habe die behaupteten Einnahmen nicht erhalten. Das FA sei seiner Bitte nach genauer Mitteilung der einzelnen Daten nicht nachgekommen. Erstmals in der Einspruchsentscheidung seien die Grundlagen bezeichnet worden. Die Kl...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge