Schrifttum

Bartone, Verfahrensrechtliche Fragen beim Insolvenzverfahren, AO-StB 2004, 142;

Bartone, Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf das finanzgerichtliche Verfahren, AO-StB 2007, 49.

A. Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO)

I. Zweck und Bedeutung

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 74 FGO regelt die Aussetzung des Verfahrens (s. Rz. 2 ff.) und nur diese. Die Aussetzung des Verfahrens bewirkt den Stillstand des Verfahrens auf alleinige Initiative des Gerichts ohne Mitwirkung der Beteiligten. Darüber hinaus können die Beteiligten übereinstimmend den Stillstand des Verfahrens herbeiführen; man spricht dann vom Ruhen des Verfahrens; hierfür gilt § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 251 ZPO (s. Rz. 9 ff.). Schließlich kann der Stillstand des Verfahrens auch auf gesetzlich geregelten Gründen beruhen (§ 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 239ff. ZPO), die dem Einfluss der Beteiligten entzogen sind; in diesen Fällen tritt die Unterbrechung des Verfahrens kraft Gesetzes ein (s. Rz. 11 ff.).

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Aussetzung des Verfahrens, die einen zeitweisen Stillstand zur Folge hat, ist eine prozessleitende Maßnahme von einigermaßen schwerwiegender Bedeutung. Sie läuft darauf hinaus, den Beteiligten die Prozessentscheidung für einen Zeitraum von zumeist ungewisser Dauer vorzuenthalten. Der Regelungsgrund (ratio legis) – nicht die Voraussetzung für die Anwendung der Norm – ist die Prozessökonomie (a. A. Thürmer in HHSp, § 74 FGO Rz. 12). Durch die Aussetzung des Verfahrens soll verhindert werden, dass der BFH und das BVerfG mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle überschwemmt werden sollen (Brandis in Tipke/Kruse, § 74 FGO Rz. 3). Gleichzeitig soll eine Entlastung der FG herbeigeführt werden, indem diese in Fällen, in denen Fragen zur höchstrichterlichen Klärung anstehen, vorläufig keine Entscheidungen zu treffen brauchen. Schließlich ist auch den Beteiligten damit gedient, dass bei gleichgelagerten Sachverhalten keine divergierenden Entscheidungen getroffen werden, sondern zunächst die vorgreifliche Entscheidung abgewartet wird.

II. Voraussetzungen und Verfahren

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 74 FGO gestattet die Aussetzung wegen tatsächlicher oder rechtlicher Abhängigkeit von der Entscheidung über ein Rechtsverhältnis, das den Gegenstand eines anderen, bei einem FG oder einem Gericht eines anderen Gerichtszweigs anhängigen Rechtsstreites bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist (z. B. Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG: BFH v. 24.11.2010, VII R 26/10, BFH/NV 2011, 291). Der Begriff des Rechtsverhältnisses ist weit zu fassen: Er umfasst jede konkrete rechtliche Beziehung zwischen Personen untereinander oder zwischen einer Person und einer Sache, wobei die Rechtsbeziehung nicht notwendigerweise zwischen den Beteiligten des auszusetzenden Verfahrens bestehen muss (Herbert in Gräber, § 74 FGO Rz. 3; Thürmer in HHSp, § 74 FGO Rz. 41). Eine künftige, mit Rückwirkung versehene Gesetzesänderung stellt kein Rechtsverhältnis in diesem Sinn dar (BFH v. 29.11.2006, VI R 14/06, BStBl II 2007, 129). Vorgreiflich ist ein solches Rechtsverhältnis, wenn es einen rechtlichen Einfluss auf das auszusetzende finanzgerichtliche Verfahren hat (BFH v. 14.02.2007, XI B 151/06, BFH/NV 2007, 967; BFH v. 16.05.2013, V R 23/12, BStBl II 2014, 325). Eine Aussetzung des Verfahrens kommt aber nicht mehr in Betracht, wenn das vorgreifliche (Verwaltungs-)Verfahren abgeschlossen ist (BFH v. 06.10.2016, IX B 81/16, BStBl II 2017, 196; BFH v. 02.10.2017, VI B 9/17, BFH/NV 2018, 200). Der Ausgang eines anhängigen Strafverfahrens (BFH v. 02.08.2006, VI B 6/06, BFH/NV 2006, 2039) oder die strafprozessuale Beschlagnahme von Unterlagen (BFH v. 05.10.2006, VIII B 276/05, BFH/NV 2007, 458) ist nicht vorgreiflich i. S. von § 74 FGO für ein wegen des gleichen Vorgangs anhängiges finanzgerichtliches Verfahren (s. § 76 FGO Rz. 2). Der BFH nimmt gleichwohl an, dass eine Aussetzung nicht ausgeschlossen sei (BFH v. 23.01.2013, VII B 135/12, BFH/NV 2013, 948; Thürmer in HHSp, § 74 FGO Rz. 51). Auch Fragen des Abrechnungsverfahrens (§ 218 AO) sind für die Steuerfestsetzung nicht vorgreiflich (BFH v. 16.05.2007, V B 75/06, juris). Ein Rechtsstreit darf nicht allein deshalb nach § 74 FGO ausgesetzt werden, weil beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig ist, das eine vergleichbare Rechtsfrage betrifft oder als Musterverfahren geführt wird (BFH v. 24.09.2012, VI B 79/12, BFH/NV 2013, 70). In einem solchen Fall können bei FG anhängige Parallelverfahren nur gem. § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 251 ZPO zum Ruhen gebracht werden (s. Rz. 9 f.). Im Übrigen s. § 363 AO Rz. 4.

 

Tz. 3a

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Folgende Einzelfälle sind hervorzuheben:

  • Ist ein Grundlagenbescheid (Feststellungsbescheid) noch nicht ergangen, ist ein Klageverfahren gegen den Folgebescheid zwingend auszusetzen, und zwar auch dann, wenn das Erfordernis einer gesonderten Feststellung behauptet wird oder es möglich erscheint, dass ein Gewinnfeststellungsbescheid zu erlassen ist (z. B. BFH v. 22.08.2013, X B 16-17/13, BFH/NV 2013, 1763; BFH v...

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