Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Gemessen am Zweck der Vorschrift (Vermeidung divergierender Sachentscheidungen), ist eine Aussetzung nur dann gerechtfertigt, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen und eine Sachentscheidung getroffen werden kann. Es muss also ein zulässiger Einspruch eingelegt worden sein. Ferner muss die Entscheidung von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das Gegenstand eines anderen Verfahrens ist, abhängig sein. Der Begriff des Rechtsverhältnisses ist weit auszulegen (FG BW v. 15.11.1968, II 905/67 Z, EFG 1969, 136). Es kann sich sowohl um ein zivilrechtliches als auch ein öffentliches, auch steuerrechtliches Verhältnis handeln (BFH v. 01.12.1992, VII B 229/91, BFH/NV 1994, 479). Das Verhältnis kann zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde bestehen, zu anderen Finanzbehörden oder zu anderen natürlichen oder juristischen Personen. Eine einzelne Rechtsfrage ist kein Rechtsverhältnis in diesem Sinne (BFH v. 23.01.1974, II B 68/73, BStBl II 1974, 247 zur Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm). Ist im Einspruchsverfahren ein Steueranspruch streitig, ist ein Steuerstrafverfahren, in dem ebenfalls über diesen Anspruch entschieden werden soll, kein anhängiges Rechtsverhältnis i. S. von § 363 Abs. 1 AO (Gast-de Haan, DStZ 1983, 254; Dumke in Schwarz/Pahlke, § 363 AO Rz. 10; Brandis in Tipke/Kruse, § 363 AO Rz. 6; a. A. Birkenfeld in HHSp, § 363 AO Rz. 100 f.; Rätke in Klein, § 363 AO Rz. 6).

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das Rechtsverhältnis muss Gegenstand eines anderen Rechtsstreits sein bzw. von einem Gericht oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen sein. Ein anderes Verwaltungsverfahren muss noch nicht begonnen haben. Entgegen dem Gesetzeswortlaut lässt die Rspr. es auch genügen, wenn die aussetzende Behörde dem Einspruchsführer aufgibt, den Rechtsstreit anhängig zu machen (BFH v. 23.02.1988, VII R 52/85, BStBl II 1988, 500; BFH v. 24.04.1986, VII R 98/85, BStBl II 1986, 561; BFH v. 06.08.1985, VII B 3/85, BStBl II 1985, 672; Birkenfeld in HHSp, § 363 AO Rz. 93; Brandis in Tipke/Kruse, § 74 FGO Rz. 6; a. A. Dumke in Schwarz/Pahlke, § 363 AO Rz. 12).

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Entscheidung über das Rechtsverhältnis muss für die Entscheidung über den anhängigen Einspruch vorgreiflich sein, d. h. die Einspruchsentscheidung muss ganz oder zum Teil von der im anderen Rechtsstreit abhängig sein. Die vorgreifliche Entscheidung muss jedoch nicht bindend sein, vielmehr genügt irgendein rechtlicher Einfluss (BFH v. 18.07.1990, I R 12/90, BStBl II 1990, 986; BFH v. 21.08.1986, VI B 91/85, BFH/NV 1987, 43). Ob das Verfahren wegen einer vorgreiflichen Entscheidung auszusetzen ist, entscheidet die berufene Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (Birkenfeld in HHSp, § 363 AO Rz. 126; Rätke in Klein, § 363 AO Rz. 10). Gefordert wird eine rechtliche Abhängigkeit; wirtschaftliche Abhängigkeit reicht nicht (BFH v. 02.09.1986, VII B 52/86, BFH/NV 1987, 172). Vorgreiflich ist der Zivilrechtsstreit über die Anfechtung eines Grundstückskauf für den Einspruch gegen den Grunderwerbsteuerbescheid, die Entscheidung über bestrittene Besteuerungsgrundlagen im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid für das Einspruchsverfahren gegen den Folgebescheid (BFH v. 30.08.1994, IX R 73/93, BFH/NV 1995, 568), auch bei fehlendem Grundlagenbescheid, wenn ungewiss ist, ob ein Feststellungsverfahren durchzuführen ist (BFH v. 01.02.1992, IV R 11/89, BFH/NV 1991, 649), der Erlass eines Jahressteuerbescheids bei Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Vorauszahlungen für das Einspruchsverfahren gegen einen Abrechnungsbescheid (BFH v. 15.06.1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46) und die Entscheidung im Billigkeitsverfahren über die Zuerkennung eines Veräußerungsfreibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG für die Entscheidung im Verfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid (BFH v. 12.01.1989, IV R 87/87, BStBl II 1990, 261).

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Aussetzung liegt bei Vorliegen aller Voraussetzungen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Dabei ist das Interesse an einer einheitlichen Sachentscheidung gegen das an der zügigen Verfahrensdurchführung abzuwägen. Ein Antrag des Einspruchsführers ist nicht erforderlich, vielmehr kann die Aussetzung von Amts wegen auch gegen seinen Willen angeordnet werden. Die Anordnung ist ein Verwaltungsakt und kann selbstständig mit dem Einspruch angefochten werden (Brandis in Tipke/Kruse, § 363 AO Rz. 21).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

vorläufig frei

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