A. Bedeutung der Vorschrift

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wegen des Anwendungsbereichs des § 9 AO s. § 8 AO Rz. 1. DBA knüpfen für die Bestimmung der Ansässigkeit ebenfalls an den gewöhnlichen Aufenthalt an, um die Zurechnung der Steuergüter zu regeln, können jedoch den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts auch autonom definieren. Wegen der ausländischen Mitglieder von NATO-Truppen s. § 8 AO Rz. 1 und 13. Solange im Inland ein Wohnsitz (§ 8 AO) besteht, ist es ohne Bedeutung, wo sich eine Person für gewöhnlich aufhält.

 

Tz. 2

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Eine Person kann zwar mehrere Wohnsitze, aber nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben (s. § 8 AO Rz. 7). Denkbar ist, dass eine Person neben einem Wohnsitz einen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Liegen beide im Inland, ist Letzterer ohne Bedeutung. Anders führt bei einem Wohnsitz im Ausland ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland zur unbeschränkten Steuerpflicht (BFH v. 04.06.1975, I R 250/73, BStBl II 1975, 708). Eine Abgrenzung nach dem Schwerpunktaufenthalt findet im Verhältnis von §§ 8 und 9 AO nicht statt (BFH v. 22.06.2011, I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001).

B. Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts

I. Regelung des gewöhnlichen Aufenthalts

 

Tz. 3

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Der gewöhnliche Aufenthalt befindet sich nach § 9 Satz 1 AO dort, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der gewöhnliche Aufenthalt setzt damit einen dauernden, nicht nur vorübergehenden Aufenthalt voraus und kann nicht an mehreren Orten gleichzeitig bestehen. Die Abgrenzung zwischen ständigem Aufenthalt und vorübergehendem Verweilen ist nach dem Gesamtbild der Umstände des Einzelfalls zu treffen.

 

Tz. 4

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§ 9 Satz 2 AO enthält eine stets gültige gesetzliche Vermutung: dauert ein Aufenthalt im Inland zeitlich zusammenhängend länger als sechs Monate, so ist er von Beginn an als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen. Dabei bleiben kurzfristige Unterbrechungen unberücksichtigt. Der gewöhnliche Aufenthalt dauert während der Unterbrechung fort, sofern nur die Gesamtmindestdauer von sechs Monaten überschritten wird. Jedoch werden bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist mehrere kurze Aufenthalte im Inland nicht zusammengezählt.

 

Tz. 5

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Nach § 9 Satz 3 AO gilt die Vermutung des Satzes 2 – stets gewöhnlicher Aufenthalt im Inland bei Überschreiten der Sechsmonatsfrist – nicht, wenn der Aufenthalt im Inland ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert.

II. Merkmale des gewöhnlichen Aufenthalts

1. Tatsächliche Gestaltung

 

Tz. 6

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Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts knüpft an die äußeren Begleitumstände an, unter denen sich jemand an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält. Diese müssen darauf schließen lassen, dass der Aufenthalt nicht nur vorübergehend besteht, sondern auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Wie beim Wohnsitz entscheidet mithin das äußere Bild; Absichten für sich allein oder Absichten, die im Widerspruch zur äußeren Gestaltung stehen, sind ohne Bedeutung (s. § 8 AO Rz. 2).

2. Nicht nur vorübergehender Aufenthalt

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

"Gewöhnlich" ist gleichbedeutend mit "dauernd" (AEAO zu § 9, Nr. 1). "Dauernd" erfordert keine ununterbrochene Anwesenheit und bedeutet auch nicht "immer". "Dauernd" ist i. S. von "nicht nur vorübergehend" zu verstehen. Eine Person muss sich an einem Ort oder in einem Gebiet unter Umständen aufhalten, die erkennen lassen, dass sie dort nicht nur vorübergehend verweilt. Bei Beginn des Aufenthaltes muss sich ihre Absicht oder Erwartung auf einen längeren Aufenthalt bezogen haben (BFH v. 30.08.1989, I R 215/85, BStBl II 1989, 956 m. w. N.). Jedoch reichen mehrfach aufeinander folgende Entsendungen eines Arbeitnehmers in das Inland bei einer Gesamtaufenthaltsdauer von sechs Monaten aus (BFH v. 19.06.2015, III B 143/14, BFH/NV 2015, 1386). Das Vorhandensein eines festen Mittelpunktes ist keine wesentliche Voraussetzung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (BFH v. 07.04.2011, III R 89/08, BFH/NV 2011, 1324). Als gewöhnlicher Aufenthalt i. S. des § 9 gilt auch der sechsmonatige Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften während eines Asylverfahrens (BFH v. 15.07.2010, III R 77/08, BFH/NV 2010, 2255). Auch ein inländischer Aufenthalt von weniger als sechs Monaten jährlich kann als gewöhnlicher Aufenthalt i. S. des Satzes 1 zu qualifizieren sein, wenn der Aufenthalt auf einen längeren Aufenthalt angelegt war (BFH v. 30.08.1989, I R 215/85, BStBl II 1989, 956 m. w. N.), aber z. B. durch ein unvorhersehbares Ereignis abgebrochen werden musste (FG RP v. 10.05.1975, III 16/75, EFG 1975, 446). Durch eine Abwesenheit im Ausland, die ihrer Natur nach nur vorübergehenden Charakter hat, wird ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht beendet (BFH v. 30.08.1989, I R 215/85, BStBl II 1989, 956 m. w. N.). Eine mehr als einjährige Abwesenheit im Ausland beendet regelmäßig den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland; ein Fortbestehen des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland kann nur ausnahmsweise ang...

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