1 Systematische Einordnung

Der gewöhnliche Aufenthalt (§ 9 AO) ist nach deutschem Steuerrecht neben dem Wohnsitz (§ 8 AO) (vgl. "Wohnsitz") ein Kriterium, das für natürliche Personen die unbeschränkte Steuerpflicht begründet (§ 1 EStG). Ebenso wie der Wohnsitz führt auch der gewöhnliche Aufenthalt zur abkommensrechtlichen Ansässigkeit (vgl. "Ansässigkeit"). Zwar wird in Art. 4 OECD-MA der gewöhnliche Aufenthalt nicht explizit als ansässigkeitsbegründendes Merkmal genannt. Er entspricht aber dem ständigen Aufenthalt und begründet daher die Ansässigkeit nach Art. 4 OECD-MA.

Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, ist unabhängig von dem Bestehen eines Wohnsitzes zu prüfen. Allerdings kann ein Stpfl. nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, während mehrere Wohnsitze möglich sind.

2 Inhalt

Gem. § 9 AO begründet der Stpfl. einen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn er sich an einem Ort oder in einem Gebiet u. U. aufhält, die darauf schließen lassen, dass er sich dort nicht nur vorübergehend aufhält (§ 9 S. 1 AO). Dies ist durch die Gesamtumstände im Einzelfall zu bestimmen, wobei die Gründe für den Aufenthalt, die Bindung zum In- bzw. Ausland (z. B. die familiären Verhältnisse) sowie die Häufigkeit zu berücksichtigen sind.[1] Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Entsendung immer nur vorübergehend sei.

Bei einem Aufenthalt in Deutschland von mehr als 6 Monaten ist stets von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen, wobei kurzfristige Unterbrechungen nicht einbezogen werden (§ 9 S. 2 AO). Der Aufenthalt von 6 Monaten muss dabei nicht in einem Vz liegen.[2] Wird diese 6-Monats-Grenze des § 9 S. 2 AO überschritten, liegt von Beginn an ein gewöhnlicher Aufenthalt vor.[3] Damit besteht auch von Beginn an eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland. Der gewöhnliche Aufenthalt wird vermutet, ohne dass es eine Möglichkeit zum Gegenbeweis gibt. Ein Verweilen von über 6 Monaten begründet aber dann keinen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn er ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken erfolgt, und nicht länger als ein Jahr dauert (§ 9 S. 3 AO).

Entscheidend für einen gewöhnlichen Aufenthalt ist die tatsächliche physische Präsenz des Stpfl. in Deutschland und nicht die subjektiven Absichten des Stpfl., wenn diese sich nicht in den tatsächlichen Umständen manifestiert haben.[4] Ein Aufenthalt im Inland setzt daher stets die persönliche Anwesenheit des Stpfl. voraus. Dies bestimmt sich nach den äußeren Umständen, die auf einen gewöhnlichen Aufenthalt schließen lassen müssen.[5] Auf den Willen des Stpfl., im Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, kommt es nicht an. Daher kann auch ein zwangsweiser Aufenthalt einen gewöhnlichen Aufenthalt und damit die unbeschränkte Steuerpflicht begründen.

Ein gewöhnlicher Aufenthalt setzt nicht voraus, dass sich der Stpfl. an einem bestimmten Ort innerhalb des Bundesgebiets aufhält. Es ist ausreichend, wenn er im Inland anwesend ist, auch wenn er innerhalb Deutschlands herumreist.

Im Gegensatz zum Wohnsitz kann ein Stpfl. nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben.[6]

3 Praxisfragen

In der Praxis ist wesentliches Abgrenzungskriterium die Anwesenheit von mehr als 6 Monaten. Verweilt der Stpfl. nicht mehr als 6 Monate i. d. S. in Deutschland, liegt regelmäßig kein gewöhnlicher Aufenthalt vor. Es ist daher in der Praxis darauf zu achten, wenn keine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland begründet werden soll, dass diese Grenze nicht ungewollt (z. B. durch Verlängerung eines beruflichen Aufenthalts) überschritten wird. Die genauen Grenzen, wann ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorliegt, sind unscharf. Teilweise wird bei einem Arbeitsaufenthalt von 2 bis 3 Tagen pro Woche bereits davon ausgegangen. Abgestellt wird insoweit auf die durchschnittliche Präsenz pro Wochen. Nach der Rspr. sollen 2 Übernachtungen durchschnittlich pro Woche nicht ausreichen, um einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland anzunehmen.[1] Um dies auch gegenüber der Finanzverwaltung nachweisen zu können, sollte in Zweifelsfällen ein Bewegungsprotokoll geführt werden.

Keinen dauernden, gewöhnlichen Aufenthalt haben nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die sog. Grenzgänger (vgl. "Grenzgänger"), die sich an jedem Arbeitstag von ihrem Wohnsitz im Ausland zu ihrer inländischen Arbeitsstätte begeben und nach Arbeitsende zu ihrem Wohnsitz zurückkehren.[2] Davon zu unterscheiden sind Gastarbeiter, die regelmäßig erst nach einer längeren Periode (z. B. 12 Monate) in ihr Heimatland zurückkehren. Diese begründen regelmäßig für die Zeit in Deutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Mehrere kürzere Aufenthalte hintereinander, die nicht mehr als zusammenhängender Aufenthalt angesehen werden können, reichen für die Begründu...

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