Tz. 82

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO enthält eine eigenständige Regelung der Hinzuziehung oder der Beiladung unabhängig von den Voraussetzungen der § 360 AO und § 60 FGO (BFH v. 22.09.2016, X B 42/16, BFH/NV 2017, 146).

 

Tz. 83

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine Hinzuziehung oder Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO setzt voraus, dass (BFH v. 17.10.2006, VIII B 90/06, BFH/NV 2007, 199; BFH v. 25.03.2014, XI B 127/13, BFH/NV 2014, 1012; von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 127):

  • aufgrund Rechtsbehelfs oder Antrags des Stpfl. ein Bescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist, d. h. dass die Möglichkeit einer Folgeänderung besteht (BFH v. 15.10.2010, III B 149/09, BFH/NV 2011, 404; s. Rz. 84); eine abschließende Beurteilung ist im Beiladungsverfahren deshalb weder möglich noch erforderlich (BFH v. 22.09.2016, X B 42/16, BFH/NV 2017, 146),
  • hieraus sich ggf. steuerliche Folgerungen für den Dritten durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids ziehen lassen,
  • das für den Stpfl. des Ausgangsverfahrens zuständige FA die Beiladung veranlasst und beantragt hat oder sonst auf sie hinwirkt (BFH v. 22.09.2016, X B 42/16, BFH/NV 2017, 146) und
  • der Dritte vor Ablauf der Festsetzungsfrist hinzugezogen oder beigeladen worden ist (von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 1260).

Voraussetzung einer solchen Beiladung im Finanzprozess ist dabei nicht, dass der Beizuladende bereits zum Einspruchsverfahren gem. § 360 AO hinzugezogen war (BFH v. 05.05.1993, X R 111/91, BStBl II 1993, 817; BFH v. 25.03.2014, XI B 127/13, BFH/NV 2014, 1012; von Groll in HHSp, § 174 AO Rz. 310). Ein erstmals im Revisionsverfahren gestellter Antrag auf Beiladung eines Dritten nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO ist allerdings unzulässig (BFH v. 14.11.2007, XI R 32/06, BFH/NV 2008, 385; BFH v. 11.01.2018, X R 21/17, BFH/NV 2018, 529).

 

Tz. 83a

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine Beiladung auf Antrag der Finanzbehörde gem. § 174 Abs. 5 Satz 2 AO kann nur unterbleiben, wenn zweifelsfrei feststeht, dass eine Folgeänderung nicht mehr möglich ist (BFH v. 22.09.2016, X B 42/16, BFH/NV 2017, 146). Anderenfalls ist über das Vorbringen erst in einem etwaigen Folgeänderungsverfahren zu entscheiden (BFH v. 10.02.2010, IX B 176/09, BFH/NV 2010, 832). Die Entscheidung, eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zu beantragen, steht im freien Ermessen der Finanzbehörde. Allein diese ist befugt, zu prüfen und zu entscheiden, ob wegen eines möglichen Verfahrenserfolgs des Stpfl. rechtliche Folgen gegenüber einem Dritten möglich sind sowie ob sie ihn deshalb hinzuziehen oder dessen Beiladung beantragen oder jedenfalls veranlassen möchte (BFH v. 25.09.2001, VI B 153/01, BFH/NV 2002, 160). Denn selbst wenn die Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass rechtliche Folgen gegenüber einem Dritten möglich wären, lässt das Gesetz insoweit der Verwaltungsbehörde noch immer die Wahl, die Beiladung zu beantragen oder auch nicht (BFH v. 27.01.1982, VII B 141/81, BStBl II 1982, 239). Will die Behörde die Beiladung eines Dritten veranlassen, muss sie den Verfahrensbeteiligten hinreichend konkret benennen, damit auf der Grundlage dieser Angaben dem Gericht eine Beiladung möglich ist (BFH v. 12.12.2013, VI R 47/12, BFH/NV 2014, 611). Eine nicht hinreichend konkrete Benennung des oder der Dritten ist unsubstantiiert und daher unbeachtlich, sodass das Gericht ohne Verfahrensfehler von einer Beiladung absehen kann (BFH v. 12.12.2013, VI R 47/12, BFH/NV 2014, 611).

 

Tz. 84

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die bloße Möglichkeit, dass sich durch Ausgangsänderung steuerliche Folgerungen für den Dritten ergeben, ist ausreichend (z. B. BFH v. 25.03.2014, XI B 127/13, BFH/NV 2014, 1012; BFH v. 22.09.2016, X B 42/16, BFH/NV 2017, 146). Nicht erforderlich ist, dass die materiell-rechtlichen Auswirkungen zum Zeitpunkt der Beiladung feststehen (BFH v. 31.01.2006, III B 18/05, BFH/NV 2006, 1046) oder etwaige Folgeänderungen Bestand haben (BFH v. 17.10.2006, VIII B 90/06, BFH/NV 2007, 199). Ist jedoch eindeutig, dass die Interessen des Dritten nicht betroffen sein können, bspw. weil die Festsetzungsfrist des gegen ihn gerichteten Steueranspruchs schon abgelaufen war oder weil die steuerlichen Folgen nur durch Erlass eines Haftungsbescheids gezogen werden können, scheidet eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO aus (BFH v. 17.10.2006, VIII B 90/06, BFH/NV 2007, 199; BFH v. 22.09.2016, X B 42/16, BFH/NV 2017, 146).

 

Tz. 85

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Hinzuziehung und Beiladung sind bei Änderungen im Veranlagungsverfahren, im Rechtsbehelfsverfahren und im finanzgerichtlichen Verfahren möglich (im Einzelnen von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 130, 132).

 

Tz. 86

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Beiladung oder Hinzuziehung des Dritten vermittelt die verfahrensrechtliche Stellung eines notwendig Beigeladenen nach § 60 Abs. 3 FGO bzw. eines Hinzugezogenen nach § 360 Abs. 3 AO. Daraus folgt, dass dem Dritten rechtliches Gehör zu versc...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge