1. Grundlagenbescheid

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Erlass bzw. die Anpassung eines Steuerbescheids knüpft an den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Grundlagenbescheids an, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt. Der Gesetzestext verweist zum Begriff des Grundlagenbescheides auf die Legaldefinition des § 171 Abs. 10 AO. Grundlagenbescheide sind danach Feststellungsbescheide (§ 182 Abs. 1 AO), Steuermessbescheide (§ 184 AO) oder andere Verwaltungsakte, die für die Festsetzung der Steuer bindend sind. Darunter fallen Zerlegungsbescheide (§ 188 AO), Zuteilungsbescheide (§ 190 AO) und andere Bescheide, bei denen sich die Bindungswirkung aus den für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen ergibt (z. B. Bescheide über Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO, Feststellung des abzugsfähigen Verlusts nach § 10d Abs. 4 EStG, Feststellung des Abzugsbetrags nach § 10e Abs. 7 EStG, Feststellung des nichtausgleichs- oder abzugsfähigen Verlusts nach § 15a Abs. 4 EStG, von Wedelstädt in Gosch, § 175 AO Rz. 5 mit weiteren Beispielen). Auch ein negativer Grundlagenbescheid fällt unter die Anwendbarkeit der §§ 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 Nr. 1 AO (BFH v. 11.05.1993, X R 27/90, BStBl 1993, 820). Grundlagenbescheide stellen mit verbindlicher Wirkung für den Folgebescheid Besteuerungsgrundlagen in dem jeweils normierten Umfang fest. Dies können auch Verwaltungsakte sein, die nicht von einer Finanzbehörde erlassen worden sind (ressortfremde Grundlagenbescheide; BFH v. 04.05.2004, XI R 38/01, BStBl II 2005, 171; BFH v. 21.02.2013, V R 27/11, BStBl II 2013, 529; s. § 171 AO Rz. 97; mit Bsp. von Wedelstädt, AO-StB 2014, 150; Koenig in Koenig, § 175 Rz. 6). Ein Veranlagungsbescheid, dem die Korrektur einer Bilanzposition zugrunde liegt, ist nicht Grundlagenbescheid für die Veranlagungsbescheide der Folgejahre (BFH v. 30.06.2005, IV R 11/04, BStBl II 2005, 809 m. w. N.). Zum Begriff des Grundlagenbescheids s. § 171 AO Rz. 94 ff.

2. Bindungswirkung des Grundlagenbescheids für den Steuerbescheid

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 175 AO ordnet nur die Änderung solcher Steuerbescheide an, für die der Grundlagenbescheid Bindungswirkung entfaltet (s. § 182 AO Rz. 2 ff.). Dies ist anzunehmen, soweit die in dem Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen für den Folgebescheid von Bedeutung sind. Für die Annahme einer Bindungswirkung ist grds. eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich (BFH v. 30.06.2005, IV R 11/04, BStBl II 2005, 809 m. w. N.). Fehlt eine solche, hat ein Bescheid nur dort Bindungswirkung, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachprüfen kann (BFH v. 20.08.2009, V R 25/08, BStBl II 2010, 15; BFH v. 28.03.2012, II R 39/10, BStBl II 2012, 712). Liegt eine solche Bindungswirkung vor, müssen die Regelungen im Grundlagenbescheid ohne weitere Überprüfung im Verfahren um den Erlass des Steuerbescheids (Folgebescheid) übernommen werden. So ist z. B. nicht nur eine vom Feststellungs-FA mitgeteilte geänderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen bindend. Auch die gleichzeitig geänderte Feststellung der Steuerabzugsbeträge sowie der anrechenbaren KSt hat gem. § 182 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Halbs. 1 AO Bindungswirkung für die mit dem geänderten Steuerbescheid verbundene Anrechnungsverfügung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Diese ist gem. § 182 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AO in entsprechender Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen (BFH v. 29.10.2013, VII R 68/11, BFH/NV 2014, 393).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Grundlagenbescheide können gegenüber bestimmten Steuerbescheiden Bindungswirkung haben, gegenüber anderen Steuerbescheiden nicht. Die Bindungswirkung setzt aber die Wirksamkeit des Grundlagenbescheids voraus, ein nichtiger Grundlagenbescheid erzeugt keine Bindungswirkung (BFH v. 16.03.1993, XI R 42/90, BFH/NV 1994, 75). Daher darf an einen nichtigen und damit unwirksamen Grundlagenbescheid (§§ 125, 124 Abs. 3 AO) der Folgebescheid nicht angepasst werden (BFH v. 12.07.2005, II R 10/04, BFH/NV 2006, 228). Umgekehrt ist daher der Folgebescheid gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn die Finanzbehörde nachträglich durch Verwaltungsakt die Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids gem. § 125 Abs. 5 AO feststellt (BFH v. 20.08.2014, X R 15/10, BStBl II 2015, 109). Keine Bindungswirkung hat ein Grundlagenbescheid, der vor einer Anpassung des Folgebescheids aufgehoben wird (FG Ddorf v. 18.01.2005, 9 K 3270/04 E, EFG 2006, 388). Jedoch hängt die Bindungswirkung nicht davon ab, ob der Grundlagenbescheid rechtmäßig, bestandskräftig oder vollziehbar ist (BFH v. 16.03.1993, XI R 42/90, BFH/NV 1994, 75). Abgesehen davon ist ein Folgebescheid, der auf einem nichtigen Grundlagenbescheid beruht, zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig i. S. des § 125 Abs. 1 AO (BFH v. 20.08.2014, X R 15/10, BStBl II 2015, 109).

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf eine bloß mechanische Übernahme von Zahlen. Sie steht vielmehr weitergehend jedem Ansatz der gesondert festgestellten Besteuerungsg...

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