Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nur hinterzogene Steuern sind zu verzinsen (§ 235 Abs. 1 Satz 1 AO). Zum Begriff der Steuerhinterziehung s. § 370 AO. Daher ist auch bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen stets – auch durch das FG – inzidenter zu prüfen, ob hinsichtlich der der Verzinsung zu unterwerfenden Steuerbeträge eine Steuerhinterziehung vorliegt. Steuern sind erst dann hinterzogen, wenn die Steuerhinterziehung vollendet, d. h. sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand erfüllt ist und Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen nicht vorliegen; strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich (BFH v. 24.05.2000, II R 25/99, BStBl II 2000, 378; BFH v. 27.10.2000, VIII B 77/00, BStBl II 2001, 16; BFH v. 30.01.2002, II R 52/99, BFH/NV 2002, 917; BFH v. 12.07.2016, II R 42/14, BStBl II 2016, 868). Strafausschließungs- und -aufhebungsgründe (z. B. Selbstanzeige, Verfolgungsverjährung, Amnestie, Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit nach § 153a StPO) schließen die Verzinsung nicht aus. Der Straftäter muss nicht in Person feststehen. Es reicht aus, wenn feststeht, dass eine von mehreren in Frage kommenden Personen eine Steuerhinterziehung begangen hat. Dies muss nicht der Steuerschuldner sein; seine Mitwirkung an der Steuerhinterziehung ist nicht erforderlich (BFH v. 19.03.1998, V R 54/97, BStBl II 1998, 466; v. 28.03.2012, II R 39/10, BStBl II 2012, 712). Auch Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft reichen aus. Der Versuch einer Steuerhinterziehung reicht ebenso wenig aus wie Anstiftung oder Beihilfe (auch bei strafloser Haupttat). Die Zinspflicht besteht nicht bei Bannbruch (§ 372 AO), Steuerhehlerei (§ 374 AO), leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) oder Steuergefährdung (§ 379 AO). Gewerbsmäßiger, bandenmäßiger und gewaltmäßiger Schmuggel (§ 373 AO), soweit strafschärfende Qualifizierung der Steuerhinterziehung (nicht des Bannbruchs), löst die Zinspflicht aus (ebenso Loose, in Tipke/Kruse, § 235 AO Rz. 3, 4).

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ob hinterzogene Steuern in diesem Sinne vorliegen, unterliegt der abschließenden Prüfung und Entscheidung durch diejenige Finanzbehörde, die für die Festsetzung der Zinsen zuständig ist. Sie ist mit der Finanzbehörde identisch, die die hinterzogene Steuer festsetzt. Bei ihrer Entscheidung ist die Finanzbehörde nicht an die steuerstrafrechtliche Beurteilung der Hinterziehungshandlung durch die für die Strafverfolgung zuständigen Stellen gebunden; insbes. ist daher eine vorherige steuerstrafrechtliche Ahndung als Steuerhinterziehung nicht Voraussetzung. Allerdings kann die Finanzbehörde sich Feststellungen in einem Strafurteil zu eigen machen, wenn keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen im Strafurteil erhoben werden (BFH v. 14.10.1999, IV R 63/98, BStBl II 2001, 329). Des Weiteren besteht keine Bindung an die Beurteilung von Verjährungsfragen im Nachforderungsbescheid (BFH 14.08.1991 X R 86/88, BStBl II 1992, 128). Auch im finanzgerichtlichen Verfahren gegen die Zinsfestsetzung muss das FG die Voraussetzungen der Zinsfestsetzung und damit auch des Vorliegens einer Steuerhinterziehung von Amts wegen prüfen (BFH v. 12.07.2016, II R 42/14, BStBl II 2016, 868); es ist allerdings wie die Finanzbehörde nicht daran gehindert, sich die strafrechtlichen Feststellungen zu eigen zu machen.

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Qualifizierung der Steuerbeträge als "hinterzogen" muss feststehen, ihre betragsmäßige Höhe kann ggf. im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) ermittelt werden; bei der Schätzung sind die Grundsätze des Strafverfahrensrechts, insbes. der Grundsatz in dubio pro reo, zu beachten (BFH v. 14.08.1991, X R 86/88, BStBl II 1992, 128; BFH v. 12.07.2016, II R 42/14, BStBl II 2016, 868). Ein Schenkungsteuerbescheid ist kein Grundlagenbescheid für die Zinsfestsetzung (BFH v. 28.03.2012, II R 39/10, BStBl II 2012, 712). Bemessungsgrundlage des Zinsanspruchs ist der hinterzogene Steuerbetrag, d. h. der Differenzbetrag zwischen der tatsächlichen Steuerfestsetzung und der sich bei zutreffender Festsetzung ergebenden Steuer. Entgegen der Regelung des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO entfällt eine Steuerfestsetzung aber, wenn die Steuer aus anderen Gründen ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Das strafrechtliche Kompensationsverbot gilt also für die Verzinsung nicht. Dies trägt dem Gedanken Rechnung, dass die Verzinsung den zu Unrecht erlangten Steuervorteil abschöpfen soll (s. § 235 AO Rz. 1). Bei unrechtmäßiger Erlangung von Steuervergütungen ist die Höhe des zu Unrecht erlangten Vorteils maßgeblich.

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