Tz. 14

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 76 Abs. 3 FGO kann das FG nach seinem Ermessen Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b AO der Abgabenordnung gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. Die Vorschrift bietet eine zwiespältige Lösung bezüglich der Fortwirkung von im Einspruchsverfahren eingetretener Präklusion, die dort nach § 364b AO zwingend wirkt (s. § 364b AO Rz. 10; Bartone in Gosch, § 364b AO Rz. 64 ff.). Diese für das Einspruchsverfahren klare Präklusion wird durch § 76 Abs. 3 Satz 1 FGO dahingehend aufgelöst, dass das Gericht die verspätet – sei es noch im Einspruchsverfahren oder erst im Klageverfahren – vorgebrachten Erklärungen und Beweismittel zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann und letztlich verwässert. Die Zurückweisung erfolgt unter den Voraussetzungen des § 79b FGO, auf den § 76 Abs. 3 Satz 2 FGO verweist.

 

Tz. 15

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Zurückweisung von Erklärungen und Beweismitteln nach § 76 Abs. 3 FGO setzt voraus, dass der Beklagte § 364b AO in rechtsfehlerfreier Weise angewandt hat (z. B. BFH v. 19.03.1998, V R 7/97, BStBl II 1998, 399; BFH v. 10.06.1999, IV R 23/98, BStBl II 1999, 664). Das FG kann gem. § 76 Abs. 3 FGO i. V. m. § 79b Abs. 3 Satz 1 FGO Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 AO wirksam gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist (BFH v. 19.03.1998, V R 7/97, BStBl II 1998, 399; BFH v. 09.09.1998; I R 31/98, BStBl II 1999, 26). Das FG überprüft daher im Einzelnen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, und darüber hinaus z. B. ggf. auch, ob die Behörde zutreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 364b Abs. 2 Satz 3, § 110 AO) versagt hat und ob das Vorbringen des Einspruchsführers verspätet war. Darüber hinaus hat das Gericht zu prüfen, ob die im Einspruchsverfahren gesetzte Ausschlussfrist angemessen war. Die Präklusion wirkt sich außerdem nicht aus, wenn die Finanzbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt in der Einspruchsentscheidung verbösert hat, da die Verböserung die Ausschlussfrist verbraucht (Krumm in Tipke/Kruse, § 76 FGO Rz. 116). Liegen die Voraussetzungen des § 364b FGO vor, hat das FG hat bei der Zurückweisung von Erklärungen und Beweismitteln, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 AO wirksam gesetzten Frist vorgebracht werden, von seinem ihm durch § 76 Abs. 3 Satz 1 FGO eingeräumten Ermessen Gebrauch zu machen (BFH v. 18.12.2002, XI B 130/00, juris).

 

Tz. 16

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

In einem zweiten Schritt überprüft das FG gem. § 76 Abs. 3 Satz 2 FGO i. V. m. § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO, ob die Berücksichtigung des verspätet Vorgebrachten seiner freien Überzeugung nach die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Auf die Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 FGO kommt es nicht mehr gesondert an, da das FG bei der Prüfung des § 364b AO sich bereits davon überzeugt haben muss (s. Rz. 15), dass der Kläger die Verspätung nicht genügend entschuldigt hat (§ 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO) und er über die Folgen der Fristversäumnis belehrt worden war (§ 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FGO; auch § 364b Abs. 3 AO). Das FG kann dann nicht von eigenen Ermittlungen Abstand nehmen kann, wenn es ohnehin möglich ist, den Sachverhalt mit geringem Aufwand zu ermitteln (§ 79b Abs. 3 Satz 3 FGO). Eine Zurückweisung kommt auch dann nicht mehr in Betracht, wenn das FG zwischen Klageerhebung und Entscheidung über die Rechtssache so viel Zeit vergehen lässt, dass es ausreichende Zeit zur Ermittlung hatte und daher dem Kläger eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht entgegengehalten werden kann. Dies gilt z. B. wenn das FG es unterlässt, schon vor der mündlichen Verhandlung geeignete vorbereitende Maßnahmen gem. § 79 Abs. 1 FGO zu ergreifen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre und obwohl hierzu Anlass bestand (BFH v. 09.09.1998, I R 31/98, BStBl II 1999, 26 m. krit. Anm. Lange, DStZ 1999, 176). Ergänzend wird zu § 79b Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 auf § 79b FGO Rz. 6 ff. verwiesen. Zur Kostenfolge der Berücksichtigung verspäteten Vorbringens vgl. § 137 Satz 3 FGO (s. § 137 FGO Rz. 6).

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