Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer elektronisch mit qualifizierter Signatur übersendeten Klagerücknahme

 

Leitsatz (amtlich)

Es liegt eine wirksame elektronische Klagerücknahme des Verfahrens wegen Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag insgesamt auch dann vor, wenn die unterlassene Beschränkung der Klagerücknahme auf das Verfahren wegen des Solidaritätszuschlages auf einem Fehler der Angestellten des Prozessbevollmächtigten beruht und dieser mangels Vorlage der Akten nicht erkennen konnte, dass im Streitfall - anders als in einer Vielzahl ebenfalls vom Prozessbevollmächtigten geführter Verfahren - nicht nur der Solidaritätszuschlag, sondern auch die Einkommensteuerfestsetzung im Streit war.

 

Normenkette

FGO § 72 Abs. 2 S. 3; FGO 52a

 

Tatbestand

Streitig ist, ob eine Klagerücknahme rückgängig gemacht werden kann.

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger erhob mit elektronischem Schriftverkehr vom 4. August 2010 Klage wegen Einkommensteuer 2001 und 2002, Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer und Zinsen zur Einkommensteuer 2001 und 2002, festgesetzt durch Einkommensteuer-, Zins- und Solidaritätszuschlagsbescheide 2001 und 2002 vom 28. Februar 2008, teilweise in der Fassung vom 21. September 2009 sowie der Einspruchsentscheidungen wegen Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2001 und 2002 vom 9. Juli 2010 sowie Zinsen zur Einkommensteuer 2001 und 2002 vom 7. Juli 2010.

Der Prozessbevollmächtigte legte hierzu eine Vollmacht der Kläger vom 2. November 2009 vor, auf welche verwiesen wird (Blatt 22 der Prozessakte).

Am 28. September 2010 ging ein unter dem Datum des 28. September 2010 gefertigtes Schreiben mittels elektronischen Schriftverkehrs mit dem folgenden Wortlaut bei Gericht ein:

"In Sachen F. S. ./. Finanzamt L.

2 K 2109/10 nehme ich hiermit die Klage zurück.

gez. P. G.

digital signiert - "

Auf das Klagerücknahmeschreiben sowie das Protokoll zum elektronischen Schriftverkehr wird verwiesen (Blatt 43 bis 48 der Prozessakten).

Mit Beschluss vom 29. September 2010 stellte der Berichterstatter gemäß § 72 Absatz 2 Satz 2 FGO das Verfahren ein, da die Klage zurückgenommen wurde. Der Beschluss war unanfechtbar (§ 128 Absatz 2 FGO). Mittels elektronischen Schriftverkehrs wurde diese Entscheidung dem Prozessbevollmächtigten gemäß Empfangsbestätigung am 30. September 2010, 11:07 Uhr bekannt gegeben.

Mit durch elektronischen Schriftverkehr übermitteltem Schriftsatz vom 30. September 2010, Eingang bei Gericht 30. September 2010, 14:58 Uhr beantragte der Prozessbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und teilte mit, dass die Klagerücknahme vom 28. September 2010 nur hinsichtlich des Solidaritätszuschlages aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 23. September 2010 erfolgt sei beziehungsweise habe erfolgen sollen. Es werde hiermit die Unwirksamkeit der Klagerücknahme gemäß § 72 Absatz 2 Satz 3 FGO geltend gemacht.

Auf das Schreiben sowie das Protokoll des elektronischen Rechtsverkehrs wird verwiesen (Blatt 55 bis 60 der Prozessakten).

Im Nachtrag zu seinem Wiedereinsetzungsantrag hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger mittels elektronischen Schriftverkehrs vom 1. Oktober 2010, 14:47 Uhr eine notariell beglaubigte eidesstattliche Versicherung seiner Angestellten B mit einer Darstellung der Geschäftsabläufe eingereicht. Den Inhalt dieser Tatbestandsschilderung mache er zum Gegenstand und zur weiteren Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages.

Auf die eidesstattliche Versicherung wird verwiesen (Blatt 62 bis 63 der Prozessakten). Darin schildert die Angestellte des Prozessbevollmächtigten, sie habe auftragsgemäß alle Verfahren herausgesucht, in denen der Solidaritätszuschlag Streitgegenstand gewesen sei und habe ein einheitliches Schreiben gefertigt, in dem sie die Rücknahme der Klagen angezeigt habe. Es habe sich um mehrere Verfahren beim Finanzgericht Münster und eines beim hiesigen Gericht gehandelt. Das Entwurfsschreiben im vorliegenden Verfahren habe sie dem Prozessbevollmächtigten zu Korrektur vorgelegt, ohne jedoch die dazugehörigen Vorgänge beziehungsweise die Klageschrift, weil es lediglich um die Formulierung des Entwurfsschreibens für die Rücknahmeschreiben gegangen sei. Der Prozessbevollmächtigte habe also berechtigterweise davon ausgehen können, dass sie das von ihm textlich korrigierte Schreiben auftragsgemäß nur in allen Solidaritätszuschlag-Klageverfahren gleichlautend abgeben werde. Als sie diese Solidaritätszuschlag-Klageverfahren herausgesucht habe, habe sie versäumt, den einzigen Fall, der sowohl die Einkommensteuer als auch den Solidaritätszuschlag betroffen habe zu notieren und zu beachten, dass hier nicht nur der Solidaritätszuschlag Streitgegenstand sei und deshalb das Rücknahmeschreiben entgegen allen übrigen Fällen eine Einschränkung auf diesen hätte enthalten müssen. Da sie das von ihr gefertigte und mittels elektronischer Post versandte Rücknahmeschreiben im Fall S nicht zuvor mit der Akte bzw. der Klageschrift dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt habe, habe...

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