Leitsatz

Erhebt im Falle einer Zusammenveranlagung nur ein Ehegatte Klage gegen den Einkommensteuerbescheid und wird der Bescheid gegenüber dem anderen Ehegatten bestandskräftig, kann dem klagenden Ehegatten nicht allein deswegen die Klagebefugnis und das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden, weil die festgesetzte Steuer schon entrichtet ist und ein Aufteilungsbescheid gemäß § 269 Abs. 2 Satz 2 AO nicht mehr beantragt werden kann.

 

Normenkette

§ 44 Abs. 1, § 157 Abs. 1 Satz 2, § 269 Abs. 2 Satz 2 AO, § 26, § 26b, § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG, § 40 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Kläger wurden zusammen zur ESt veranlagt. Gegen die ESt-Bescheide für die Streitjahre 2013 bis 2016 legten sie Einspruch ein, der als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die hiergegen allein vom Kläger erhobene Klage wurde als unzulässig abgewiesen (FG Köln, Gerichtsbescheid vom 23.4.2020, 15 K 1151/19, Haufe-Index 14099673, EFG 2020, 1576).

 

Entscheidung

Der BFH hat der Revision des Klägers stattgegeben, das FG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen. Da das FG die Klage zu Unrecht als unzulässig verworfen hatte, war zur Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG das Verfahren in der ersten Instanz zu wiederholen.

 

Hinweis

1. Ein etwas kurioser Fall. Das FG ist auf die Idee gekommen, bei zusammenveranlagten Ehegatten die Klagebefugnis zu verneinen, wenn nur ein Ehegatte die Klage erhoben hat. Der BFH ist dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt und hat noch einmal grundsätzlich zu den Fragen des Rechtsschutzes bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten Stellung genommen.

2. Ein Zusammenveranlagungsbescheid i.S.d. § 155 Abs. 3 Satz 1 AO enthält zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbstständige Steuerverwaltungsakte, die unterschiedliche verfahrensrechtliche Schicksale haben können. Verfahrensrechtlich sind zusammen veranlagte Ehegatten daher zwei getrennte Steuerschuldner.

3. Aus der Eigenständigkeit jedes einzelnen Ehegatten folgt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass ein von dem einen Ehegatten eingelegter Rechtsbehelf nicht für den anderen Ehegatten wirkt. Eine Prozessstandschaft, bei der ein Ehegatte als Sachwalter die Rechte des anderen Ehegatten geltend machen kann, ist nach der FGOnicht vorgesehen.

4. Auch führt – entgegen der Auffassung des FG – die Bestandskraft der ESt-Festsetzung eines Ehegatten nicht dazu, dass der andere Ehegatte die Klagebefugnis gegen den Zusammenveranlagungsbescheid verliert. Ungeachtet der Tatsache, dass Ehegatten bei der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt werden, bleiben sie verfahrensrechtlich unterschiedliche Rechtssubjekte.

5. Zwar entfällt die Klagebefugnis in Bezug auf die Aufteilung der Steuerschuld bei zusammen veranlagten Ehegatten bei vollständiger Tilgung der rückständigen Steuer (§ 269 Abs. 2 Satz 2 AO). Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Klagebefugnis auch gegen den Steuerbescheid entfällt, wenn nur ein Ehegatte eine Verminderung der ihm gegenüber festgesetzten ESt begehrt. Ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse ergibt sich bereits daraus, dass der Ehegatte, um die Erstattung der ESt zu erlangen (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG), den ESt-Bescheid anfechten und eine Herabsetzung der festgesetzten Steuer erreichen muss (vgl. § 218 Abs. 1 AO).

6. Ob das FA im Erhebungsverfahren die Auszahlung eines Guthabens an den Ehegatten verweigern könnte, weil dessen Erstattungsanspruch mit der Steuerschuld des anderen Klägers verrechnet werden kann, ist für das Rechtsschutzbedürfnis der Klage gegen die ESt-Festsetzung ohne Belang. Denn erst durch die Klage gegen die ESt-Festsetzung kann der Erstattungsanspruch überhaupt erst entstehen. Zudem ist über die Frage, inwieweit die in dem Steuerbescheid ausgewiesenen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis noch bestehen oder bereits erfüllt bzw. erloschen sind, gemäß § 218 Abs. 2 Satz 2 AO im Rahmen eines Abrechnungsbescheids zu entscheiden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 14.12.2021 – VIII R 16/20

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