aa) Regelungen seit dem 1.7.2021

Bereits mit Wirkung zum 1.7.2021 wurde in die MwStSystRL eine Lieferkettenfiktion für elektronische Schnittstellen eingeführt. Seitdem wird durch Art. 14a MwStSystRL in bestimmten Fällen mit Drittlandsbezug (Verkäufer im Drittland ansässig oder Einfuhr von Waren mit Sachwert von höchstens 150 EUR ein Reihengeschäft zwischen Verkäufer, Plattformbetreiber und Kunde fingiert.

Nach aktueller Rechtslage kommt es in folgenden Fällen zu einer Lieferkettenfiktion:

  • Fernverkäufe[22] von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR[23],
  • Lieferungen innerhalb der EU durch einen im Drittland ansässigen Steuerpflichtigen an nicht steuerpflichtige Personen[24].

Die Lieferkettenfiktion bewirkt, dass in solchen Fällen Reihengeschäfte mit zwei (fiktiven) Lieferungen vorliegen[25]:

  1. Lieferung vom Lieferer an die elektronische Schnittstelle (B2B-Lieferung). Diese Lieferung ist nicht warenbewegt ("ruhend") und nicht steuerbar bzw. steuerfrei; vgl. § 4 Nr. 4c UStG.
  2. Fernverkaufs-Lieferung von der elektronischen Schnittstelle an den Kunden (B2C-Lieferung). Diese Lieferung ist "warenbewegt" und im Zielland (grundsätzlich) steuerpflichtig.
[25] Die Online-Marktplätze "werden behandelt, als ob sie diese Gegenstände selbst erhalten und geliefert hätten"; Art. 14a MwStSystRL.

bb) Geplante Maßnahmen zum 1.1.2025 im Rahmen der zweiten Stufe

Erweiterung der Lieferkettenfiktion auf den B2B-Bereich: Wie eben beschrieben, findet nach aktueller Rechtslage die Lieferkettenfiktion für Lieferungen innerhalb der Gemeinschaft nur dann Anwendung, soweit Lieferungen durch einen nicht in der Gemeinschaft ansässigen Steuerpflichtigen an eine nicht steuerpflichtige Person betroffen sind.[26] Zum 1.1.2025 soll die Anwendung dieser Regel des fiktiven Lieferers erweitert werden und zukünftig nahezu alle Lieferungen von Gegenständen in der Gemeinschaft erfassen, die von einer elektronischen Schnittstelle unterstützt werden, unabhängig von dem Ort der Ansässigkeit des zugrunde liegenden Lieferers und dem Status des Erwerbers.[27] Anders als nach dem geltenden Recht würde die Lieferkettenfiktion demnach auch dann greifen, wenn der zivilrechtliche Lieferer nicht in einem Drittland, sondern in der Union ansässig ist.

Rechtsfolgen: Die fiktive Lieferung des Verkäufers an die elektronische Schnittstelle soll steuerfrei[28] sein, ohne dass es diesbezüglich auf eine grenzüberschreitende Beförderung oder Versendung ankommt, da die Lieferung des Betreibers der elektronischen Schnittstelle an den Kunden als die bewegte Lieferung gilt.[29] Die fiktive Lieferung der elektronischen Schnittstelle an den Kunden unterliegt den allgemeinen Regelungen, so dass deren Besteuerung gegebenenfalls auch vom Status des Kunden abhängt. Nach unserem Verständnis könnte sie auch steuerbefreit sein, etwa als bewegte innergemeinschaftliche Lieferung, sofern die Voraussetzungen vorliegen.

Ausnahme von der Erweiterung der Lieferkettenfiktion: Keine Anwendung soll die Lieferkettenfiktion finden, wenn die elektronische Schnittstelle lediglich in einem Mitgliedstaat ansässig ist und nur lokale Lieferungen innerhalb dieses Mitgliedstaates unterstützt.[30]

Ausweitung der Lieferkettenfiktion auf innergemeinschaftliches Verbringen: Zudem soll die Regel des fiktiven Lieferers auf bestimmte unternehmensinterne Verbringungen von Gegenständen anzuwenden sein, die von einer elektronischen Schnittstelle unterstützt werden.[31]

Zu diesem Punkt würden aus unserer Sicht genauere Vorgaben zu dem Tatbestand des "Unterstützens" hilfreich sein, um besser einschätzen zu können, in welcher Form die elektronische Schnittstelle (der Marktplatzbetreiber) – aktiv oder passiv – an dem Verbringungsvorgang beteiligt sein muss, um sich als fiktiver Lieferer zu qualifizieren. Unklar erscheint derzeit zum Beispiel, ob die – nicht unüblichen – Fälle erfasst werden könnten, in denen der Verkäufer selbst die Ware in ein Lager verbringen lässt, welches wiederum dem Unternehmen der an diesem Verbringensvorgang ansonsten aber nicht beteiligten elektronischen Schnittstelle zuzuordnen ist.

Rechtsfolgen: Durch die Fiktion verwirklicht die elektronische Schnittstelle eine innergemeinschaftliche Verbringung im Abgangsland der Ware und einen gleichgestellten innergemeinschaftlichen Erwerb im Empfangsland der Ware, ungeachtet der Tatsache, dass der Verkäufer zivilrechtlicher – und nach allgemeinen Grundsätzen auch wirtschaftlicher – Eigentümer der Ware bleibt. Die grenzüberschreitende Beförderung oder Versendung soll demnach einem unternehmensinternen Vorgang der elektronischen Schnittstelle zugeordnet werden. Die Fiktion eines innergemeinschaftlichen Verbringens an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle ist steuerfrei.[32]

Deklaration: Innergemeinschaftliche Verbringungen kommen im Onlinehandel regelmäßig vor und sind im Regelfall nach geltendem Recht vom Eigentümer im Abgangsland und im Zielland umsatzsteuerlich zu e...

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