Digitale Plattformen existieren seit ca. 30 Jahren.[11] Ihre Geschäftsmodelle haben sich seit ihren Anfängen stets weiterentwickelt und erfahren insbesondere in der jüngeren Vergangenheit eine immer größere wirtschaftliche und auch gesellschaftliche Bedeutung. Digitale Plattformen bündeln den Zugang zu Waren, Dienstleistungen sowie Informationen und Daten. Der Vorteil digitaler Plattformen besteht darin, dass sie als Intermediäre Angebot und Nachfrage effektiv zusammenbringen können. Im Ergebnis gehören insbesondere Plattformen, Anbieter und Nutzer zu den Profiteuren der fortschreitenden Digitalisierung. Regelmäßig handelt der Plattformbetreiber als Vermittler, ist also nicht in die Erbringung der vom Anbieter erbrachten Leistung involviert. Für seine Vermittlungstätigkeit berechnet der Plattformbetreiber gegenüber den Anbietern und/oder Kunden regelmäßig eine Provision bzw. zieht diese – sofern die Bezahlung über die Plattform abgewickelt wird – von der Auszahlung an den Anbieter ab. Nach Beobachtungen der Europäischen Kommission hat diese steigende Popularität des Geschäftsmodells der Plattformwirtschaft neue Probleme für das Mehrwertsteuersystem mit sich gebracht.[12]

Mit dem zweiten Vorschlag der Europäischen Kommission sollen daher die für die Plattformwirtschaft geltenden Mehrwertsteuervorschriften aktualisiert werden, um den bestehenden Herausforderungen der Plattformwirtschaft zu begegnen. So sollen nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission im Rahmen der ersten Stufe zum 1.1.2025 elektronische Schnittstellen, welche die kurzfristige Unterkunftsvermietung oder Personenbeförderung unterstützen, so behandelt werden, als hätten sie selbst diese Leistungen empfangen und erbracht. Zudem soll im Rahmen der jetzigen ViDA-Initiative die bereits mit Wirkung zum 1.7.2021 eingeführte Lieferkettenfiktion (beim Handel über elektronische Schnittstellen) erweitert werden, so dass diese bei sämtlichen Lieferungen innerhalb der EU und dem innergemeinschaftlichen Verbringen über Online-Marktplätze angewandt wird. Nur in dem Sonderfall, dass der Online-Marktplatz lediglich in einem Mitgliedstaat ansässig ist und nur lokale Lieferungen innerhalb dieses Mitgliedstaates unterstützt, soll die Lieferkettenfiktion nicht zur Anwendung kommen. Die geplante Erweiterung der Lieferkettenfiktion bei Online-Marktplätzen ist Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Reduzierung der Mehrwertsteuer-Registrierungspflichten in der EU, so dass wir diese Vorschläge in unserem Teil III zu den ViDA-Maßnahmen darstellen werden.

[11] So wurden z.B. Amazon bereits 1994 oder eBay 1995 gegründet.
[12] Siehe COM(2022) 701 final v. 8.12.2022.

a) Ausgangslage

Nach den Beobachtungen der Europäischen Kommission führt die Plattformwirtschaft insbesondere im Bereich der Personenbeförderung- und des Beherbergungssektors zu einer Ungleichbehandlung auf Mehrwertsteuerebene.[13] So habe bis vor kurzem die Annahme bestanden, dass "Privatpersonen und steuerbefreite Kleinunternehmen keine Auswirkungen auf den Wettbewerb mit mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmen" hätten. "Privatpersonen und Kleinunternehmen könnten ihre mehrwertsteuerfreien Dienstleistungen über eine Plattform erbringen und mit Skaleneffekten und Netzwerkeffekten in den direkten Wettbewerb mit traditionellen mehrwertsteuerpflichtigen Dienstleistungserbringern" treten. Dies bedeute beispielsweise, dass ein Hotel mitunter mit Unterkunftsinseraten konkurrieren müsse, die keine Mehrwertsteuer auf ihre Dienstleistungen erheben würden. Im Bereich des Personenbeförderungs- und des Beherbergungssektors sei die eben beschriebene Mehrwertsteuerungleichheit am deutlichsten zutage getreten.[14]

[13] Siehe COM(2022) 701 final v. 8.12.2022.
[14] Das Modell der Beherbergungsplattformen stehe direkt mit dem Hotelsektor und das Modell von Plattformen für die Personenbeförderung stehe direkt mit privaten Taxiunternehmen im Wettbewerb.

b) Einführung einer fiktiven Leistungskette bei kurzfristiger Unterkunftsvermietung und Personenbeförderung zum 1.1.2025

Diesem von der Europäische Kommission wahrgenommenen Wettbewerbsnachteil traditioneller Beherbergungsbetriebe und Taxiunternehmen soll durch die Einführung einer fiktiven Leistungskette im Rahmen der zweiten Stufe der Maßnahmen zum 1.1.2025 entgegengewirkt werden.

Plattformbetreiber wird fiktiver Dienstleistungserbringer: Zu diesem Zweck soll die mehrwertsteuerrechtliche Funktion geändert werden, die Plattformen bei der Erhebung der Mehrwertsteuer zukommt. Für Zwecke der Mehrwertsteuer sollen diese zu "fiktiven Dienstleistungserbringern" werden. Im Rahmen dieses Modells sollen Plattformbetreiber verpflichtet werden, Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen – sofern diese dann für ihre nunmehr eigene fiktive Dienstleistung geschuldet wird –, und zwar dann, wenn der eigentliche Erbringer der Dienstleistung keine Mehrwertsteuer ausweist, weil es sich z.B. um einen Kleinunternehmer handelt.

D.h. nach der geplanten Neuregelung sollen Steuerpflichtige, die

  • die Kurzzeitvermietung von Unterkünften[15] oder
  • die Erbringung von Dienstleistungen der Personenbeförderung
  • durch die Nutzung einer elektronischen Schnittst...

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