Rz. 183

[Autor/Stand] Um den Beanstandungen und Vorgaben des BVerfG Rechnung zu tragen, hatte das BMF – nach vorheriger Erstellung eines "Eckwertepapiers"[2] – am 2.6.2015 einen ersten Gesetzesentwurf (RefE-ErbStG) vorgelegt.[3] Dieser RefE-ErbStG war allerdings durch den von der Koalition am 8.7.2015 in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Regierungsentwurf zum ErbStG (RegE-ErbStG) in einigen Punkten modifiziert worden.[4]

 

Rz. 184

[Autor/Stand] Am 30.6.2016[6] wurde der Gesetzesentwurf durch den Bundestag beschlossen. Allerdings versagte der Bundesrat in seiner Sitzung vom 8.7.2016 die Zustimmung zu diesem Entwurf.[7] Der nunmehr eingeschaltete Vermittlungsausschuss gelangte nach langwierigen Verhandlungen schließlich am 22.9.2016 zu einer Einigung[8], welcher sodann sowohl der Bundestag am 29.9.2016 als auch der Bundesrat am 14.10.2016 zustimmten.[9]

 

Rz. 185

[Autor/Stand] Das Erzielen eines Kompromisses gestaltete sich insbesondere deshalb als schwierig und langwierig, weil die eine Seite eine stärkere Beteiligung von Unternehmenserben am Steueraufkommen forderte, wohingegen die andere Seite vor den Folgen einer zu hohen Steuerbelastung vornehmlich mit Blick auf die gefährdeten Arbeitsplätze warnte.[11]

 

Rz. 186

[Autor/Stand] Dem Gesetzgeber war es demnach nicht gelungen, die vom BVerfG zur Verwirklichung seiner Vorgaben gesetzte Frist (bis zum 30.6.2016) einzuhalten. Das ErbStAnpG v. 4.11.2016[13] ordnet dessen grundsätzliche rückwirkende Geltung ab dem 1.7.2016 an.[14] An der Zulässigkeit (Rechtmäßigkeit) dieser rückwirkenden Geltungsanordnung hat sich ein heftiger, bislang höchstrichterlich noch nicht vollständig geklärter Streit entzündet.[15]

 

Rz. 187

[Autor/Stand] Inzwischen hat der BFH in einem Fall, in dem die Klägerin ihre am 28.8.2016 verstorbene Tante beerbt hatte und der Nachlass ausschließlich aus Privatvermögen (im Wesentlichen aus Bankguthaben und einer Lebensversicherungssumme) bestand, entschieden, dass die Regelungen des ErbStG i.d.F. des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes v. 22.12.2009[17] betreffend den Erwerb von Privatvermögen und den Steuersatz (§ 19 Abs. 1 ErbStG) über den 30.6.2016 hinaus anwendbar seien.[18] Der BFH begründete dies mit im Wesentlichen folgenden Erwägungen: Entscheide das BVerfG – wie es das in seinem Urteil v. 17.12.2014[19] getan habe –, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar und der Gesetzgeber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer Neuregelung verpflichtet sei, so seien die verfassungswidrigen Regelungen entsprechend der Tenorierung unabhängig vom Ablauf der dem Gesetzgeber zur Neuregelung gesetzten Frist bis zur tatsächlichen Neuregelung anwendbar.[20] Ziffer 2 Satz 1 des Tenors stelle eindeutig eine unbefristete Fortgeltungsanordnung dar. Die im folgenden Satz 2 der Ziffer 2 des Tenors gesetzte Frist beziehe sich lediglich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Neuregelung zu schaffen und ändere an der Wirksamkeit der Fortgeltungsanordnung auch dann nichts, falls die Neuregelung pflichtwidrig nicht oder verspätet geschaffen werde.[21] § 19 ErbStG sei damit, soweit die Vorschrift der Besteuerung der Klägerin zugrunde gelegt werde, nicht Gegenstand einer Rückwirkung durch das ErbStAnpG 2016, sondern Gegenstand der Fortgeltungsanordnung. Der Gesetzgeber habe mit dem ErbStAnpG 2016 lediglich die den Übergang von Betriebsvermögen betreffenden Regelungen des ErbStG (§§ 10, 13a bis 13d, 19a, 28 und 28a ErbStG 2016) neu geregelt und insoweit in § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016 Rückwirkung angeordnet. Die im Streitfall der Klägerin angewendeten §§ 1, 2, 3, 9 ff., 13, 16 und 19 ErbStG seien durch das ErbStAnpG 2016 inhaltlich nicht geändert worden. Sie seien deshalb auch nicht Gegenstand einer rückwirkenden Neuregelung geworden, sondern unverändert erhalten geblieben.[22]

 

Rz. 188

[Autor/Stand] In vergleichbaren, ebenfalls ausschließlich die Vererbung von Privatvermögen betreffenden Fällen hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg mit – inzwischen, nach Rücknahme der dagegen eingelegten Revisionen rechtskräftigen – Urteilen v. 19.5.2021[24] den auch dort auf ersatzlose Aufhebung der betreffenden Erbschaftsteuerbescheide gerichteten Klagen – wenn auch aus anderen Gründen[25] als den vom BFH herangezogenen – gleichermaßen den Erfolg versagt.

 

Rz. 189

[Autor/Stand] Bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Beurteilung solcher in der Zeit vom 1.7.2016 bis zur Verkündung des ErbStAnpG 2016 v. 4.11.2016[27] am 9.11.2016 verwirklichten Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerfälle, in denen der unentgeltliche Übergang von Betriebsvermögen stattgefunden hat. Folgt man der vom BFH im Urteil v. 6.5.2021[28] m.E. zutreffend vorgenommenen Auslegung des im Urteil des BVerfG v. 17.12.2014[29] angeordneten Tenors 2 (vgl. oben Rz. 187), so galten gemäß Tenor 2 Satz 1 alle vom BVerfG im Urteil v. 17.12.2014 als gleichheitswidrig beanstandeten, das Betriebsvermögen betreffenden gesetzlichen Regelungen (vgl. insb. die §§ 10, 13a bis 13d, 19a, 28 und 28a E...

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