Leitsatz

Verpflichtet sich ein Hörgeräte-Akustiker beim Verkauf einer Hörhilfe für einen bestimmten Zeitraum zur kostenlosen Nachbetreuung des Gerätes und des Hörgeschädigten in technischer und medizinischer Hinsicht, hat er für diese Verpflichtung eine Rückstellung zu bilden (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 10.12.1992, XI R 34/91, BStBl II 1994, 158).

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB

 

Sachverhalt

Die Klägerin – eine GmbH – betrieb das Gewerbe eines Hörgeräte-Akustikers. Sie war Mitglied der Bundesinnung für Hörgeräte-Akustiker, die mit den Bundesverbänden der Orts-, Betriebs-, Innungs- und landwirtschaftlichen Krankenkassen einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Hörhilfen an Anspruchsberechtigte dieser Kassen abschloss. Nach den für das Streitjahr 1994 geltenden Bestimmungen des Rahmenvertrags wurde die Vergütung durch die jeweilige Kasse unmittelbar gegenüber der Klägerin vorgenommen. Ein Vertragsverhältnis entstand ebenfalls nur zwischen der Klägerin und der betroffenen Krankenkasse. Mit dem jeweiligen Preis für das Gerät wurden neben Garantieansprüchen für ein Jahr auch sog. "Nachbetreuungsleistungen" für einen Zeitraum von sechs Jahren abgegolten.

Die Nachbetreuungsleistungen waren in einem festen Turnus (viermal pro Jahr) für die Dauer der vereinbarten sechs Jahre zu erbringen. "Normale" Reparaturen fielen nicht unter den Begriff der Nachbetreuungen und wurden von der Krankenkasse bei entsprechendem Anfall zusätzlich vergütet.

Die Klägerin bildete für die zu erwartenden Nachbetreuungsleistungen in ihren Bilanzen ab 1987 Rückstellungen, die das FA nicht anerkennen wollte (BMF, Schreiben vom 7.2.1994, BStBl I 1994, 140).

 

Entscheidung

Die Entscheidung Der BFH sah dies anders als das FA. Seine Begründung lässt sich den Praxis-Hinweisen entnehmen.

 

Hinweis

1. Der Sachverhalt und Streitstoff hat sicherlich keine allzu große "Verwendungsbreite". Dennoch: Für die betroffenen Verkehrskreise – die Hörgeräte-Akustiker und gleichermaßen die Optiker – ist er von höchster einschlägiger Relevanz. Und außerdem verdient die Entscheidung Aufmerksamkeit, weil sie letztlich – durch den I. Senat des BFH – einen und denselben Ausgangssachverhalt just diametral anders beurteilt, als dies rund 10 Jahre zuvor durch den XI. Senat des BFH geschehen ist. Wurden seinerzeit "die Zügel angezogen" und wurde die Verbindlichkeitsrückstellung für Nachbetreuungsleistungen der Optiker und Akustiker an den Brillen und Hörgeräten und gegenüber den Kunden und Patienten noch versagt, so sieht dies jetzt deutlich rosiger aus. Die Rückstellung wird akzeptiert.

2. Hintergrund des Meinungswandels ist die sozialversicherungsrechtliche Lage und sind dies die hierbei zugrunde liegenden (Rahmen-)Verträge im Dreiecksverhältnis zwischen den eigentlichen Leistungserbringern – also den Kassen –, den eingeschalteten Optikern und Akustikern sowie den Kunden bzw. Patienten.

Seinerzeit wurden diese Verträge vom BFH so verstanden, dass sie keine Verpflichtung der Optiker/Akustiker zur Nachbetreuung begründeten. Außerdem lag der Sachverhalt damals so, dass es nur um die Beseitigung künftiger Schäden an den Brillen/Hörgeräten ging, die im Verkaufszeitpunkt noch nicht eingetreten waren. überdies waren auch Kunden zu "betreuen", die ihre Brille oder ihr Hörgerät andernorts bezogen hatten. Der BFH beurteilte diesen Sachverhalt als nicht rückstellungsfähig. Er wandte einen statischen Beurteilungsmaßstab an und grenzte gegenüber Kulanz- und Garantierückstellungen ab.

Nunmehr hatten die Leistungserbringer ihre Rahmenverträge mit den Optikern/Akustikern entsprechend angepasst. Auch standen jetzt nur jene Beträge zur Diskussion, die sich auf eigene Kunden der Optiker/Akustiker bezogen. Folge: Die Verpflichtung zur Nachsorge bestand bereits beim jeweiligen Verkauf. Sie "konkretisierte" sich auch nicht ratierlich mit zunehmendem Zeitablauf. Zwar war die Nachbetreuung für einen bestimmten Zeitraum zu erbringen. Die Laufzeit bestimmte jedoch nicht lediglich den zeitlichen Rahmen für eine wiederkehrende inhaltlich unveränderte Leistungsverpflichtung; die Dauerhaftigkeit haftete vielmehr der Leistungspflicht selbst an. Deshalb war sie rückstellbar.

3. Verallgemeinerungsfähige Konsequenz des Ganzen: Ist eine Verbindlichkeit entweder (1.) entstanden oder aber (2.) besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit ihres künftigen Entstehens und ist sie in diesem 2. Fall – überdies wirtschaftlich in der Zeit vor dem Bilanzstichtag verursacht, dann ist die Verbindlichkeitsrückstellung zu bilden. Die Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen. Dieser muss ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Der BFH orintiert sich insoweit an einer strikt statischen Sichtweise, wie Sie sie jüngst z.B. bereits im Urteil vom 27.6.2001, I R 45/97, BFH-PR 2001, vorgefunden haben.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 5.6.2002, I R 96/00

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