Rechtsfrieden: Das Wesen der Strafverfolgungsverjährung wird von diversen Aspekten geprägt. Zum einen dient die Verjährung dem Rechtsfrieden, denn es ist anerkannt, dass das Strafbedürfnis mit zunehmendem zeitlichem Abstand schwindet (BGH v. 19.2.1963 – 1 StR 318/62, BGHSt 18, 274; Ebner in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 376 AO Rz. 5; Asholt in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2023, § 376 AO Rz. 4; Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 376 AO Rz. 24 (August 2021); Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 78 Rz. 1; Heerspink in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 376 AO Rz. 45 (April 2021); Eich, kösdi 2001, 13036; Staudinger, wistra 2021, 307 [308]; wohl h.M.). Lediglich Verbrechen des Mordes nach § 211 StGB verjähren nicht (§ 78 Abs. 2 StGB).

Abnehmende Beweisbarkeit, Verhältnismäßigkeit, Unionsrecht: Zum anderen wird mit zunehmendem zeitlichem Abstand die Beweisbarkeit der in Frage stehenden Tat schwerer zu realisieren. Dies gilt ganz besonders für den Zeugenbeweis. Schließlich können auch justizökonomische Überlegungen ins Feld geführt werden: Staatliches Strafen muss verhältnismäßig bleiben. Andererseits kann das Unionsrecht im Bereich der harmonisierten Steuern (insb. also bei der USt) es erfordern, dass die Frist für die Strafverfolgungsverjährung nicht so niedrig bemessen ist, dass die Strafandrohung nicht mehr die notwendige abschreckende Wirkung entfalten kann, die der EuGH verlangt (vgl. EuGH v. 8.9.2015 – C-105/14, wistra 2016, 65 = NZWiSt 2015, 390 = UR 2016, 367; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 376 AO Rz. 5 (April 2021).

Der Theorienstreit um die Rechtsnatur der Verfolgungsverjährung hat eine wechselvolle Geschichte. Das RG sah die Verjährung ursprünglich als materiellen Strafaufhebungsgrund (RG v. 8.10.1885 – 2096/85, RGSt 12, 434), später als ein sowohl materiell-rechtliches als auch prozessuales Rechtsinstitut mit Doppelnatur an (RG v. 4.7.1932 – II 681/32, RGSt 66, 328). Danach setzte sich allmählich die Auffassung durch, dass es sich um ein Verfolgungshindernis handele (RG v. 21.5.1942 – 3 C 283/42, RGSt 76, 159; BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL 15/68, 2 BvL 23/68, BVerfGE 25, 269; BGH v. 2.4.1952 – 1 StR 622/51, BGHSt 2, 300; offengelassen: BGH v. 15.11.1967 – 3 StR 26/66; NJW 1968, 900). Diese Auffassung kann heute als h.M. bezeichnet werden (Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, vor §§ 78 ff. Rz. 3; Heger in Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB, § 78 Rz. 2; Ebner in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 376 AO Rz. 6; Heerspink in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 376 AO Rz. 46 (April 2021); Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 376 AO Rz. 26 (August 2021); Rolletschke in Rolletschke/Kemper/Roth, Steuerstrafrecht, § 376 AO Rz. 5 (April 2021); Asholt in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 376 AO Rz. 10; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 376 AO Rz. 9 (April 2021); Jäger in Klein, 16. Aufl. 2022, § 376 AO Rz. 5; offengelassen: Nikolaus in Schwarz/Pahlke/Keß, AO, § 376 Rz. 2 [September 2023]).

Rechtsfolge der eingetretenen Verjährung ist, dass eine Strafverfolgung nicht mehr vorgenommen werden darf bzw. die Einstellung eines bereits laufenden Strafverfahrens erfolgen muss (Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 78 Rz. 4); denn das Fehlen einer Prozessvoraussetzung hindert eine Sachentscheidung (Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Stichwort "Verfolgungsverjährung" Rz. 1 [Oktober 2022]).

Zwangsmaßnahmen wie z.B. Durchsuchungen nach §§ 102 ff. StPO und Beschlagnahmen nach §§ 94 ff. StPO sind nicht mehr zulässig, da es für Zwecke der Strafverfolgung an einer Beweisbedeutung fehlt (LG Köln v. 21.4.1997 – 110 Qs 5/97, wistra 1997, 237; Bode in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 404 AO Rz. 180 [Januar 2023]; Tormöhlen, wistra 1993, 174 [175]; Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 404 AO Rz. 76a (Juli 2022). Beachten Sie: Dagegen bleiben Ermittlungen der Steuer- bzw. Zollfahndung in Bezug auf die Besteuerungsgrundlagen weiterhin zulässig, da sie auf die Norm des § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützt werden können (BGH v. 16.12.1997 – VII B 45/97, BStBl. II 1998, 231; Hoyer / Scharenberg in Gosch, AO/FGO, § 208 AO Rz. 29 m.w.N. [Februar 2020]).

Verfahrenseinstellung: Wenn sich erst in der Hauptverhandlung herausstellt, dass die angeklagte Tat oder eine der angeklagten Taten verjährt ist, muss das Gericht insoweit durch Urteil das Verfahren einstellen (§ 260 Abs. 3 StPO). Ist nur eine tateinheitlich begangene Gesetzesverletzung von der Verjährung betroffen, scheiden die betreffenden Tatteile ohne förmliche Einstellung aus dem Verfahren aus (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 260 Rz. 43).

In dubio pro reo: Für sämtliche Verjährungsvoraussetzungen gilt der Grundsatz "in dubio pro reo". Dies gilt also auch für die maßgebliche Verjährungsfrist, wenn Zweifel bestehen, welcher von mehreren Tatbeständen erfüllt ist und für die Frage, ob und inwieweit die Verjährung unterbrochen...

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