[Ohne Titel]

StB Dipl.-Fw. Gerhard Bruschke, Möhnesee[*]

Über § 162 AO sind die Finanzbehörden befugt, in den Fällen, in denen Sie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, eine Schätzung der relevanten Werte durchzuführen. Neben dem klassischen Bereich der Schätzung wegen nicht eingereichter Steuererklärungen finden Schätzungen häufig im Rahmen von Betriebsprüfungen statt. In vielen Fällen geht es dabei um hohe Beträge. Der Grund für eine Schätzung liegt häufig in einer fehlerhaften Buchführung, dem zu sorglosen Umgang mit der Barkasse oder auch der bewussten Verschleierung von Betriebseinnahmen. In vielen Fällen landen derartige Schätzungen dann vor den Finanzgerichten, wobei sich immer die Frage stellt, inwieweit das Gericht von den Schätzungen des FA abweichen kann.

[*] Der Autor ist als Steuerberater in eigener Kanzlei in Möhnesee tätig. Zuvor war er bis zu seinem Ausscheiden aus der Finanzverwaltung Sachgebietsleiter eines westfälischen Finanzamts, zu dessen Aufgabenbereich u.a. die Rechtsbehelfsstelle gehörte.

I. Allgemeines

Über § 162 Abs. 1 AO ist das FA berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Steuerpflichtige keine hinreichend konkreten bzw. unvollständige oder unrichtige Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen macht.

Die Finanzverwaltung hat inzwischen Verfahren entwickelt, die über die digitale Auswertung der Buchführung und die Anwendung z.B. des Zeit-Reihen-Vergleichs Hinweise auf Fehler in den Aufzeichnungen geben und häufig ohne weitere intensive Prüfungen zu Zuschätzungen führen, die nicht immer gerechtfertigt aber in der Praxis der Steuerberatung schwer und nur mit erheblichem zusätzlichen Aufwand zu widerlegen sind.

II. Schätzungen des Finanzamts

1. Schätzungsbefugnis

Nach § 162 Abs. 2 AO gilt dies insb. dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine hinreichende Aufklärung zu geben vermag oder der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können.

Bei buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen besteht folglich die Schätzungsbefugnis bereits dann, wenn die erforderlichen Aufzeichnungen nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (vgl. §§ 140 bis 148 AO) entsprechen. Häufig geht die Finanzverwaltung schon bei kleineren Unstimmigkeiten von einer Schätzungsbefugnis aus.

2. Schätzungsrahmen

Keine Straf- oder Mondschätzungen: Der Schätzungsrahmen wird in der aktuellen Fassung des § 162 AO nicht näher definiert. Allerdings sollen im Rahmen einer Schätzung alle Umstände berücksichtigt werden, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO). Damit sind sog. Straf- oder Mondschätzungen, bei denen das objektiv denkbare Ergebnis erheblich überschritten wird, grundsätzlich unzulässig (BFH v. 6.8.2018 – X B 22/18, BFH/NV 2018, 1237 = AO-StB 2018, 364 [Anm. Nöcker] ). Ein darauf beruhender Steuerbescheid ist regelmäßig nichtig (§ 125 AO).

Gleichwohl kann das FA bei einer Schätzung den denkbaren Rahmen vollständig ausschöpfen. Die Grenze zu einer Mondschätzung ist dabei flexibel und kann durch eine sachgerechte Begründung letztlich zu Lasten des Steuerpflichtigen verschoben werden. Fehlerhafte Schätzungen sind allerdings nur rechtswidrig und müssen daher im Regelfall mit den Rechtsbehelfen der AO angegriffen werden. Nur dann, wenn es sich offensichtlich um eine Willkürschätzung handelt, tritt die Rechtsfolge der Nichtigkeit ein (BFH v. 20.1.2022 – X B 132-133/20, BFH/NV 2022, 734 = AO-StB 2022, 247 [Anm. Lemaire]).

Generell besteht im Steuerrecht jedoch das Gebot der Ausschöpfung der Beweismittel. Das gilt über § 162 Abs. 1 Satz 2 AO auch für Schätzungen. Dieses Gebot kann z.B. dazu führen, dass auch Aufzeichnungen, die gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung verstoßen, gleichwohl der Besteuerung zugrunde gelegt werden können, wenn am Ergebnis der Buchführung keine durchgreifenden Bedenken bestehen.

3. Schätzungsarten und -methoden

Ausgehend vom Sinn einer Schätzung, nämlich die konkreten Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, unterscheidet man grundsätzlich zwischen einer Vollschätzung und Teil- bzw. Ergänzungsschätzungen. Welche Schätzungsart im Einzelfall zutreffend ist, bestimmt sich nach den aktuellen Erkenntnissen des FA.

Bei einer Vollschätzung werden alle Besteuerungsgrundlagen einer bestimmten Periode oder einem bestimmten Zeitpunkt durch eine Schätzung ermittelt. Klassisches Beispiel ist hier eine Vollschätzung des Gewinns einer gewerblichen Tätigkeit, weil keine verwertbare Buchführung vorliegt.

Bei Teil- oder Ergänzungsschätzungen werden lediglich Teile der Bemessungsgrundlagen geschätzt. Dies dokumentiert sich i.d.R. über sog. Sicherheitszuschläge, mit denen mutmaßliche Fehlbeträge ausgeglichen werden sollen. Hierbei geht man davon aus, dass z.B. in der eigentlich schlüssigen Buchführung gewisse Betriebseinnahmen nicht erfasst wurden. Ein schwerwiegendes Indiz dafür sind Mängel in der Kassenführung bei Unternehmen, die noch bed...

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