Staatsangehörige und in Großbritannien ansässige Unternehmen können sich grundsätzlich nach Vollzug des Brexits bzw. nach Ablauf des vereinbarten Übergangszeitraums nicht mehr auf die an die EU- oder EWR-Mitgliedschaft Großbritanniens geknüpften Grundfreiheiten berufen. Die Kapitalverkehrsfreiheit kann zwar auch zugunsten von Staatsangehörigen oder Unternehmen in sog. Drittstaaten Wirkung entfalten. Sie kann jedoch in Abhängigkeit von den nationalen Regelungen oder Maßnahmen, die diese beschränken, von spezielleren, an EU- bzw. EWR-Mitgliedschaft geknüpften Grundfreiheiten (insbes. die Niederlassungs- oder die Dienstleistungsfreiheit kommen hier in Betracht) verdrängt werden. Außerdem schützt sie nicht vor einzelstaatlichen Beschränkungen, die bereits zum 31.12.1993 in Kraft waren (sog. Stand-Still-Klausel).

Darüber hinaus gelten im Bereich der direkten Steuern zentrale Richtlinien, wie insbesondere die Mutter-Tochter-Richtlinie, die Zins- und Lizenzrichtlinie oder die Fusionsrichtlinie, nur zwischen EU-Staaten und beziehen den EWR nicht ein. Auch die EU-Schiedskonvention als effektives Mittel zur Beilegung steuerlicher Streitigkeiten zwischen EU-Mitgliedstaaten steht im Verhältnis zu Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr zur Verfügung.

Umgekehrt hat sich Großbritannien durch das eigene Austrittsgesetz (European Union (Withdrawal) Act) die Möglichkeit verschafft, Regelungen, an die es sich nicht mehr gebunden halten möchte, nach dem Brexit in eigener Regelungskompetenz aufzuheben bzw. einzuschränken. Dies dürfte – auch unter Berücksichtigung der eher unverbindlichen Regelungen im Abkommen vom 24.12.2020 – v. a. im Bereich von steuerlichen Standards gelten. Weitere EU-Vorhaben, denen Großbritannien bereits in der Vergangenheit eher skeptisch gegenüberstand, wie die von einigen EU-Staaten im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit angestrebte Finanztransaktionssteuer oder die Richtlinie über eine gemeinsame körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage, aber auch eine öffentliche länderbezogene Berichterstattung (public Country-by-Country-Reporting), dürfte Großbritannien nach dem Brexit kaum "freiwillig" mitgehen. Für den Bereich der staatlichen Beihilfen trifft das Abkommen einige eigenständige Regelungen, die jedoch nicht EU-Recht unterliegen, sondern eine eigenständige Rechtsgrundlage darstellen und für die sich erst noch erweisen muss, ob sie eher praxistauglich sind als die bisherigen EU-Regelungen.

Auch die während der Brexit-Verhandlungen zustande gekommenen EU-Richtlinien über Meldepflichten zu grenzüberschreitenden Steuergestaltungen ("DAC6") und zur Verhinderung von Steuermissbräuchen ("ATAD") muss Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr zwingend befolgen. Allerdings waren diese aufgrund des verzögerten Austrittsprozesses grundsätzlich noch vor dem Brexit umzusetzen. Großbritannien hatte vor dem Vollzug des Brexits zunächst zu erkennen gegeben, dass es in beiden Regelungsbereichen vergleichbare Regelungen in nationales Recht umsetzen will. Anders als die in der EU verbleibenden Mitgliedstaaten hat das VK indes im Anschluss an den Vollzug des EU-Austritts (bzw. nach Ablauf des Übergangszeitraums) autonom über nationale Anpassungen zu entscheiden, soweit nicht anstelle der EU-Mitgliedschaft im Rahmen des Abkommens vergleichbare rechtliche Verpflichtungen vereinbart wurden. Nach Ablauf des Übergangszeitraums zeigt sich, dass das VK sich in steuerlichen Fragen international zwar an den OECD-Empfehlungen, einschließlich des BEPS-Projektes, orientiert, sich aber nicht mehr an EU-Vorgaben gebunden fühlt. So sind die DAC6-Anzeigepflichten in Großbritannien bereits Anfang Januar 2021 deutlich reduziert worden. Außerdem gibt es erste Hinweise, dass man sich auch in einigen Bereichen, die durch ATAD geregelt waren, künftig eher an OECD-Maßstäben als an ATAD orientieren wird.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Kompetenz des EuGH zur Auslegung von EU-Recht in der Praxis im Verhältnis zu Großbritannien noch nachwirkt. Dies dürfte stark davon abhängen, welche in nationales Recht überführten EU-Regeln Großbritannien noch weiter fortführen wird und welche es im nationalen Recht aufheben oder ändern wird.

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