Leitsatz

1. § 6a GrEStG gilt für alle Rechtsträger i.S. des GrEStG, die wirtschaftlich tätig sind.

2. Die Vorschrift erfasst auch den Fall, dass eine abhängige Gesellschaft auf ein herrschendes Unternehmen verschmolzen wird.

3. Die in § 6a Satz 4 GrEStG genannten Fristen müssen nur insoweit eingehalten werden, als sie aufgrund eines begünstigten Umwandlungsvorgangs auch eingehalten werden können.

4. Bei der Verschmelzung einer abhängigen Gesellschaft auf ein herrschendes Unternehmen muss das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor der Verschmelzung zu mindestens 95 % an der verschmolzenen abhängigen Gesellschaft ununterbrochen beteiligt gewesen sein (Vorbehaltensfrist). Die Frist von fünf Jahren nach dem Umwandlungsvorgang (Nachbehaltensfrist) muss in Bezug auf die verschmolzene abhängige Gesellschaft nicht eingehalten werden, weil sie aufgrund der Verschmelzung nicht eingehalten werden kann.

 

Normenkette

§ 6a, § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin war seit 2004 alleinige Gesellschafterin der grundbesitzenden A-GmbH. Durch Verschmelzungsvertrag vom 29.8.2013 übertrug die A-GmbH ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme auf die Klägerin. Zum Vermögen der A-GmbH gehörten inländische Grundstücke.

Das FA erließ gegenüber der Klägerin einen Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GrEStG, ohne eine Steuerbegünstigung nach § 6a GrEStG zu berücksichtigen. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1.10.2015, 15 K 3015/15, Haufe-Index 9111139, EFG 2016, 669).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Beim Besprechungsurteil II R 20/19 (BFH/NV 2020, 452) und den ebenfalls in diesem Heft besprochenen weiteren Urteilen vom 21.8.2019 (II R 15/19, II R 16/19, II R 19/19, II R 21/19) und 22.8.2019 (II R 17/19, II R 18/19) handelt es sich um die ersten Sachentscheidungen des BFH zu § 6a GrEStG.

Der BFH legt die Vorschrift viel weiter als die Finanzverwaltung aus. Die Steuerpflichtigen haben in allen Fällen außer im Verfahren II R 17/19 (II R 58/14) obsiegt.

2. Der durch die Verschmelzung einer GmbH auf einen anderen Rechtsträger bewirkte Übergang des Eigentums an den Grundstücken der GmbH unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um gesetzliche Eigentumswechsel, bei denen kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen war und es auch keiner Auflassung bedurfte.

3. § 6a GrEStG sieht unter bestimmten Voraussetzungen für den gesetzlichen Eigentumsübergang bei der Verschmelzung und anderen Umwandlungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer vor. Die Nichterhebung der Steuer setzt voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind (§ 6a Satz 3 GrEStG). Im Sinne von Satz 3 abhängig ist eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt ist (§ 6a Satz 4 GrEStG).

4. Der BFH ist bereits in dem an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen (BFH, Beschluss vom 30.5.2017, II R 62/14, BFH/NV 2017, 1133, BStBl II 2017, 916; vgl. unten 7.) von einem weiten Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ausgegangen. So sei die Anwendung der Vorschrift auf die Verschmelzung einer GmbH auf ihre Alleingesellschafterin, eine AG, entgegen dem Wortlaut von Satz 4 der Vorschrift nicht deshalb ausgeschlossen, weil die GmbH aufgrund der Verschmelzung erlösche.

5. Dieser Linie ist der BFH in den nunmehr ergangenen Urteilen gefolgt.

a) Eine Gesellschaft, die durch die Umwandlung entsteht oder erlischt, kann zwar die in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten zeitlichen Voraussetzungen der Abhängigkeit (Vorbehaltens- und Nachbehaltensfrist) aus rechtlichen Gründen nicht vollständig erfüllen. Dies schließt aber nach Sinn und Zweck des § 6a GrEStG die Nichterhebung der Steuer nach dieser Vorschrift nicht aus.

b) Weit auszulegen ist auch der in dieser Vorschrift verwendete Begriff des herrschenden Unternehmens. Der Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ist nicht auf Unternehmen i.S.d. UStG beschränkt. Vielmehr gilt die Vorschrift mangels näherer gesetzlicher Eingrenzung für alle Rechtsträger i.S.d. GrEStG, die wirtschaftlich tätig sind.

6. Die Vorbehaltens- und Nachbehaltensfristen sind nicht grundstücksbezogen zu verstehen. Selbst im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Umwandlungsvorgang verwirklichte andere Erwerbsvorgänge stehen der Anwen...

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