Rz. 89

[Autor/Stand] Bei der Grundsteuerbewertung hat der Gesetzgeber – anders als bei der Grundbesitzbewertung (vgl. § 198 BewG) – nicht die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts vorgesehen. Damit ist es dem Steuerpflichtigen nicht möglich, einen vom Grundsteuerwert abweichenden niedrigeren (Verkehrs-)Wert für das Grundstück nachzuweisen. D.h. mögliche Überbewertungen bei Erbbaurechten, die mit Baumängeln, Bauschäden, Modernisierungsstau belastet oder wirtschaftlich überaltert sind, können somit grds. nicht vermieden bzw. umgangen werden.

 

Rz. 90

[Autor/Stand] Denkbar ist, dass der BFH dem Steuerpflichtigen unter Verweis auf das grundgesetzliche Übermaßverbot auch bei der Grundsteuerbewertung eine Nachweismöglichkeit eröffnet.

 

Rz. 91

[Autor/Stand] Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot liegt vor, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen. Extrem über das normale Maß hinaus geht beispielsweise das 3-fache des gemeinen Werts[4] bzw. das rund 1,4-fache eines sich aus dem Bodenrichtwert errechneten Verkehrswerts[5]. Eine Bewertungsdifferenz von 10 % ist hingegen als Folge der typisierenden Bewertungsmethode aufgrund der mit der Wertschätzung verbundenen Ungenauigkeit hinzunehmen[6].

 

Rz. 92

[Autor/Stand] Zu dieser Thematik hat der BFH mit Urteil vom 30.1.2019[8] bei einem Fall zur Grundbesitzbewertung eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft entschieden und geurteilt: Weist der Steuerpflichtige durch ein Sachverständigengutachten oder durch einen zeitnahen Verkauf nach, dass der gemeine Wert, der kurze Zeit nach dem Erbanfall im gewöhnlichen Geschäftsverkehr veräußerten land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach § 166 BewG ermittelte Liquidationswert, kann der niedrigere gemeine Wert als Grundbesitzwert für Zwecke der Erbschaftsteuer festgestellt werden. Dies erfordert den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts, der den festgestellten Grundstückswert so erheblich unterschreitet, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist. Im Streitfall betrug der vom Finanzamt nach § 166 Abs. 2 Nr. 1 BewG ermittelte und angesetzte Wert das 1,55-fache des durch den zeitnahen Verkauf nachgewiesenen tatsächlich erzielten Veräußerungserlöses.

 

Rz. 93

[Autor/Stand] Um einen Verstoß gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zu verhindern, ist nach Auffassung des BFH in dem entschiedenen Fall der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts bei verfassungskonformer Auslegung auch dann geboten, wenn er nach dem Wortlaut des BewG nicht vorgesehen ist. Diese ursprünglich zur pauschalierten Grundbesitzbewertung von erbbaurechtsbelasteten Grundstücken ergangene Rechtsprechung gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige ein Grundstück aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nach dem Bewertungsstichtag veräußert hat und der Wert für dieses Grundstück nach § 166 Abs. 2 BewG zu ermitteln ist. Aufgrund des greifenden Übermaßverbots war der Grundbesitzwert in dem o.g. Fall (nur) in Höhe des Veräußerungserlöses anzusetzen.

 

Rz. 93.1

[Autor/Stand] In einem weiteren Verfahren hat der BFH mit Urteil vom 16.11.2022[11] nunmehr konkretisiert, wann er das verfassungsrechtliche Übermaßverbot als verletzt ansieht. Unter Abwägung der Rechtsprechung des BVerfG, nach der das Übermaßverbot nur dann verletzt ist, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem – nach Duden "bis an die äußerste Grenze gehend, radikal, krass" – über das normale Maß hinausgehen[12] und seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung, erscheint es dem zuständigen Senat angemessen, eine Verletzung des Übermaßverbots regelmäßig erst dann zu bejahen, wenn der vom Finanzamt festgestellte Grundstückswert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt.

 

Rz. 93.2

[Autor/Stand] In dem zugrunde liegenden Klagefall ging es bei der fraglichen Bewertung eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft (Ackerflächen) für Zwecke der Erbschaftsteuer um die Frage, ob ausnahmsweise der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts geführt werden kann, wenn für die Bewertung des Wirtschaftsteils eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs der Liquidationswert maßgebend ist und der festgestellte Wert den erzielten Kaufpreis überschreitet. Der Kläger hatte von der Erblasserin u.a. Ackerflächen geerbt und diese ca. 5 Monate nach dem Erbfall veräußert. Auch in diesem Klagefall hat der BFH klargestellt, dass die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts für den Grund und Boden (hier Ackerflächen) grds. nicht besteht, aber jedoch ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn die Bewertung mit dem Liquidationswert das sog. Übermaßverbots verletzt. Da im Klagefall der vom Finanzamt nach § 166 BewG ermittelte Grundbesitzwert den vom Kläger durch den zeitnahen Verkauf nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert jedoch nur um 21,7 % übersteigt, ist das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im Streitfall nicht verletzt. ...

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