Rz. 18

[Autor/Stand] Die Verweisung in § 12 Abs. 1 ErbStG auf § 9 BewG ist prima facie von großer materiell-rechtlicher Bedeutung, da sie den Grundsatz der Bewertung mit dem gemeinen Wert aufstellt. So ist etwa ein Eigentumsverschaffungsanspruch (zum Erwerb eines Grundstücks) nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 Abs. 1 BewG zu bewerten. Eine Anwendung des § 12 Abs. 3 ErbStG, wonach Grundbesitz i.S.v. § 19 BewG mit dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG auf den Bewertungsstichtag festgestellten Grundbesitzwert anzusetzen ist, kommt nicht in Betracht.[2] Denn wird ein Eigentumsverschaffungsanspruch erworben, handelt es sich nicht um "Grundbesitz" i.S.d. § 19 BewG. Nach dem Katalog des § 176 Abs. 1 BewG gehört zum Grundvermögen u.a. das Wohnungseigentum (§ 176 Abs. 1 Nr. 3 BewG), nicht jedoch ein Anspruch auf Verschaffung des Wohnungseigentums.

 

Rz. 18a

[Autor/Stand] In den in § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG aufgestellten Grundsatz der Bewertung mit dem gemeinen Wert wird ungeachtet des in § 12 Absätze 2 bis 6 ErbStG enthaltenen Vorrangs der dortigen Sondervorschriften an sich nur punktuell eingegriffen.[4] Mittelbar ergibt sich eine Durchbrechung etwa in §§ 199 ff. BewG. Nach Ansicht des BFH sind auch bei Anwendung des § 12 Abs. 5 ErbStG und über eine Verweisungskette auf § 11 BewG auch die allgemeinen Regelungen in § 9 Abs. 2 und 3 BewG anwendbar.[5]

 

Rz. 18b

[Autor/Stand] Der gemeine Wert wird nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG ist der Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem die Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung ihrer eigenen Interessen zu handeln in der Lage sind. Damit ist der gewöhnliche Geschäftsverkehr grundsätzlich der gesamte Markt.[7] Nach Ansicht des BFH ist für die Ermittlung des gemeinen Werts eines Kunstgegenstandes gemäß § 9 Abs. 2 BewG ein auf einen bestimmten Stichtag fingierter Verkauf maßgebend. Beim Fehlen aussagekräftiger (vergleichbarer) Verkaufsfälle ist der gemeine Wert der zugewendeten Kunstwerke gemäß § 162 Abs. 1 AO zu schätzen. Hat das FG keine Kenntnisse über den einschlägigen Kunstmarkt, ist es gehalten, zum Ausgleich der fehlenden eigenen Kenntnisse ein Sachverständigengutachten einzuholen.[8] Eine Heranziehung der "ungekürzten Anschaffungskosten" von Kunst zur Bestimmung des gemeinen Werts wurde vom BFH abgelehnt.[9] Der gemeine Wert seltener und hochpreisiger Oldtimer ist wie folgt zu bestimmen: Grundlage ist der im Vergleichswertverfahren ermittelte Händlereinkaufspreis zum Stichtag (Todestag bzw. Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung, §§ 9, 11 ErbStG). Dieser Wert ist um die vom Verkäufer regelmäßig zu tragenden Verkaufskosten wie Abgeld (Verkäuferkommission, ca. 10 % bis 15 %), Transport, Versicherung, Marketing und Illustrationskosten und ggf. Paketabschläge (ca. 10 % bis 20 %) zu kürzen.[10]

 

Rz. 18c

[Autor/Stand] In § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG wird weiter ausgeführt, dass "ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse nicht zu berücksichtigen sind." § 9 Abs. 2 und 3 BewG definiert den gemeinen Wert also objektiviert, was grundsätzlich verständlich ist[12] und im Regelfall auch richtig sein mag. Da die Erbschaftsteuer aber eine individuelle Steuer ist, die sich nach der hinzuerworbenen Leistungsfähigkeit des Bereicherten bemisst, kann diese Definition nicht den Vorgaben des BVerfG[13] entsprechen. Es wird nämlich über § 9 Abs. 2 und 3 BewG ein theoretischer Wert ermittelt, der unter Ausblendung von Tatsachen erfolgt, die der Erbe (häufig auch der Erblasser und ein evtl. Käufer) nicht beeinflussen kann und die seine Leistungsfähigkeit erheblich einschränken. Denn der einzige Wert, den z.B. der Erbe eines vinkulierten Gesellschaftsanteils realisieren kann, ist der, der sich bei Kündigung der Gesellschafterstellung ergibt.[14] Maßstab einer Bewertung muss daher der konkrete, individuelle Gesellschaftsanteil sein, wie er durch den Gesellschaftsvertrag wertmäßig beschränkt ist. Dies hätte an sich zur Folge, dass der in § 9 Abs. 2 und 3 BewG definierte "objektivierte" gemeine Wert bei verfassungskonformer Auslegung nicht als Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer dienen bzw. zur Auslegung von § 11 Abs. 2 BewG herangezogen werden kann, da er nicht den Zuwachs an individueller Leistungsfähigkeit zutreffend erfasst.

 

Beispiel

Wenn beim Erben eines Kommanditanteils ein Wert besteuert wird, den dieser z.B. aufgrund gesellschaftsvertraglicher Restriktionen nicht realisieren kann und der statt 8 Mio. EUR nach § 9 BewG tatsächlich z.B. nur 4 Mio. EUR nach IDW S 1 beträgt, dann führt die Anwendung von § 9 BewG im Rahmen der spezielleren Norm, nämlich des § 11 Abs. 2 BewG (der § 9 BewG konkretisiert), zu einer Besteuerung, die Art. 3 GG nicht entspricht.

Dies spräche dafür, bei verfassungskonfor...

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