Rz. 9

[Autor/Stand] Als maßgebliche Wertzahl ist grundsätzlich auf die von den Gutachterausschüssen für die Verkehrswertermittlung im Sachwertverfahren ermittelten Sachwertfaktoren zurückzugreifen (§ 191 Satz 1 BewG). Die Gutachterausschüsse veröffentlichen die Sachwertfaktoren regelmäßig in ihren Grundstücksmarktberichten, sofern sie die Sachwertfaktoren aus der Kaufpreissammlung ableiten und zur Verfügung stellen. Dabei kann die Darstellungsform variieren. Denkbar ist z.B., dass die Sachwertfaktoren im Grundstücksmarktbericht in Tabellenform oder in Diagrammen bereitgestellt werden. Dies hat auf die Anwendbarkeit der Sachwertfaktoren keinen Einfluss.

 

Rz. 9.1

[Autor/Stand] Der BFH hat mit Urteil vom 18.9.2019[3] entschieden, dass die von den Gutachterausschüssen ermittelten und für die Bewertung des Grundbesitzes erforderlichen Daten nur Anwendung finden, wenn der Auswertungszeitraum der Gutachterausschüsse den Bewertungsstichtag mitumfasst. Der Urteilsfall betraf den Liegenschaftszinssatz im Ertragswertverfahren. Die Entscheidung kann aber im Grunde auch für die sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten i.S.d. § 193 Abs. 5 Satz 2 BauGB wie z.B. Sachwert- bzw. Marktanpassungsfaktoren übertragen werden. Nach der Entscheidung des BFH ist somit vorauszusetzen, dass die Daten von den Gutachterausschüssen für den Bewertungsstichtag ermittelt werden. Auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung oder der Veröffentlichung durch den Gutachterausschuss kommt es für ihre zeitliche Anwendung nicht an. Liegen zum Zeitpunkt der Feststellung des Grundbesitzwerts keine geeigneten Daten des örtlichen Gutachterausschusses vor, deren Ermittlungszeitraum den Bewertungsstichtag umfasst, sind stattdessen die gesetzlichen Werte heranzuziehen. Der BFH schließt damit einen Rückgriff auf die Vorjahreswerte aus. Diese Auffassung hat er nochmals mit Urteil vom 16.9.2020[4] bestätigt.

 

Rz. 9.2

[Autor/Stand] Das vorstehende BFH-Urteil steht im Widerspruch zur seinerzeit geltenden Verwaltungsauffassung. Denn in R B 188 Abs. 3 Satz 2 ErbStR 2019 ist geregelt, dass von den Lagefinanzämtern jeweils die Liegenschaftszinssätze anzusetzen sind, die vom Gutachterausschuss zuletzt vor dem Bewertungsstichtag veröffentlicht wurden. Die dort neu aufgenommene Regelung soll der einheitlichen Rechtsanwendung durch die Finanzverwaltung dienen. Eine vergleichbare Regelung wurde bei den Wertzahlen bzw. Sachwert- oder Marktanpassungsfaktoren des Sachwertverfahrens nicht aufgenommen, dürfte aber sinngemäß auch dort gelten.

 

Rz. 9.3

[Autor/Stand] Die obige Entscheidung des BFH hat letztendlich Auswirkungen auf alle von den Gutachterausschüssen ermittelten sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten i.S.d. § 193 Abs. 5 Satz 2 BauGB, die im Rahmen der Grundbesitzbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer herangezogen werden. Denn bei konsequenter Umsetzung der BFH-Rechtsprechung hätte sich in der Praxis das Problem ergeben, dass die Daten der Gutachterausschüsse aufgrund des Umstandes, dass sie erst über mehrere Jahre erhoben und gesammelt, dann periodisch ausgewertet und schließlich verkündet werden müssen, stets eine gewisse Zeit nachhängen. Bis zur Ermittlung und Veröffentlichung von Daten, bei denen der Bewertungsstichtag innerhalb des Zeitraums der ausgewerteten Kauffälle des Gutachterausschusses liegt, könnten daher unter Umständen mehrere Jahre liegen. Für die jeweilige Grundbesitzbewertung hätte folglich auf die Auswertung und Veröffentlichung des Gutachterausschusses für den Auswertungszeitraum gewartet werden müssen, der den Bewertungsstichtag mitumfasst. Des Weiteren könnten sich unterschiedliche Daten ergeben, wenn sich die Auswertungszeiträume der Gutachterausschüsse zeitlich überlappen. Zusammengefasst hätte dies zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen und eine zeitnahe Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer gefährden können.

 

Rz. 9.4

[Autor/Stand] Die Finanzverwaltung hat mit Blick auf die sich ergebenden Praxisprobleme auf das obige BFH-Urteil reagiert und mit gleich lautenden Erlassen vom 23.9.2020[8] zur Anwendung von durch die Gutachterausschüsse ermittelten Liegenschaftszinssätzen Stellung genommen. Danach ist das BFH-Urteil vom 18.9.2019 nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden (Nichtanwendungserlass). Im Vorgriff auf eine mögliche gesetzliche Neuregelung ist der betroffene R B 188 Abs. 3 Satz 2 ErbStR 2019 dahingehend auszulegen, dass die Liegenschaftszinssätze anzuwenden sind, die von den Gutachterausschüssen für den letzten Auswertungszeitraum abgeleitet werden, der vor dem Kalenderjahr endet, in dem der Bewertungsstichtag liegt. Dies dürfte u.E. entsprechend für Sachwert- bzw. Marktanpassungsfaktoren gelten.

 

Rz. 9.5

[Autor/Stand] Vor dem zuvor beschriebenen (misslichen) Hintergrund hat der Gesetzgeber mit dem Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz[10] vom 16.7.2021 reagiert und u.a. den § 191 Abs. 1 BewG i.d.F. bis 31.12.2022 angepasst. Nach der für...

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