[Ohne Titel]

StB Benno L'habitant[*]

Am 23.3.2023 wurden die EuGH-Nachfolgeentscheidungen des BFH zur umsatzsteuerlichen Organschaft veröffentlicht (BFH, EuGH-Vorl. v. 26.1.2023 – V R 20/22 (V R 40/19) und BFH-Urt. v. 18.1.2023 – XI R 29/22 (XI R 16/18)). Darüber hinaus ist seit dem 13.4.2023 eine erste BFH-Entscheidung öffentlich abrufbar, die sich mit dem EuGH-Urt. in der Rechtssache Finanzamt für Körperschaften (EuGH-Urt. v. 15.4.2021 – C 868/19 – Finanzamt für Körperschaften Berlin, UR 2021, 392 mit Anm. Widmann,) zur umsatzsteuerlichen Behandlung einer Personenhandelsgesellschaft als Organgesellschaft auseinandersetzt (BFH-Urt. v. 16.3.2023 – V R 14/21 (V R 45/19)). Gegenstand des Beitrages ist, die Entscheidungsgrundsätze darzustellen, den aktuellen Status Quo sowie aktuelle Praxisfragen zu diskutieren und offene Fragen zu adressieren.

[*] Dipl.-Finanzwirt (FH) Benno L’habitant, StB ist Director bei Deloitte im Bereich der Umsatzsteuer am Standort Frankfurt/M.

1. Die Kernaussagen der Entscheidungen V R 20/22 (V R 40/19) und XI R 29/22 (XI R 16/18)

Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft ist unionsrechtskonform.

Zwar erfordert die finanzielle Eingliederung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im Grundsatz, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Eine finanzielle Eingliederung liegt aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt (Änderung der Rechtsprechung).

Darüber hinaus legt der 5. BFH-Senat dem EuGH die Fragen zur Vorabentscheidung vor, ob (i) Leistungen zwischen Personen im Organkreis (sog. Innenumsätze) der Umsatzsteuer unterliegen sowie (ii) ob die Innenumsätze nur dann umsatzsteuerbar sein sollen, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (EuGH-Az. C-184/23 – Finanzamt T II).

2. Die Ausgangsproblematik und der ewige Streit der Auslegung von EuGH-Entscheidungen

Unionsrechtsgrundlage: Nach Art. 11 MwStSystRL steht es den europäischen Mitgliedstaaten offen, in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln.

Vertragsverletzungsverfahren: Inzwischen haben die Mehrzahl der Mitgliedstaaten eine derartige nationale Mehrwertsteuergruppen- bzw. Organschaftsregelung eingeführt, gleichwohl sich diese zum Teil stark voneinander unterscheiden. Dies hatte die Kommission bereits 2009 bewegt, in einer unverbindlichen Mitteilung zur Auslegung der Mehrwertsteuergruppe Stellung zu nehmen und anschließend Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einzuleiten, die nach Ansicht der Kommission die Vorgaben in Art. 11 MwStSystRL unionsrechtswidrig umgesetzt hatten.[1] Hervorzuheben ist, dass die Kommission gegen Deutschland und Österreich kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte, obwohl in Deutschland und Österreich – anders als in den übrigen Mitgliedstaaten – nicht die Mehrwertsteuergruppe selbst, sondern ein Mitglied (der sog. Organträger) Steuerschuldner der Umsatzsteuer wird.[2]

Das Konzept der Mehrwertsteuergruppe: Bereits 1979 hatte der EuGH in der Rechtssache Van Paassen entschieden, dass die niederländische Umsetzung der Mehrwertsteuergruppe, wonach die Mehrwertsteuergruppe selbst als Steuerschuldnerin zu behandeln ist, unionsrechtskonform ist.[3]

In anderen Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Deutschland und Österreich) wird die Mehrwertsteuergruppe als eine Art BGB-Gesellschaft behandelt, auch wenn in der deutschen Literatur kontrovers diskutiert wurde, ob eine nichtrechtsfähige Personenvereinigung überhaupt Unternehmer i.S.d. § 2 UStG sein könne.[4] Mit Änderung des Wortlauts in § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG durch das Jahressteuergesetz 2022 hat sich dieser Rechtsstreit erübrigt:[5] Unternehmer ist danach, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, unabhängig davon, ob er nach anderen Vorschriften rechtsfähig ist.

Das Konzept der Organschaft: Nach den EuGH-Urteilen in den Rechtssachen Norddeutsche Diakonie und Finanzamt T liegen nun erstmalig Entscheidungen vor, dass es den Mitgliedstaaten gestattet ist, nicht die Mehrwertsteuergruppe selbst, sondern abweichend auch ein Mitglied (z.B. Organträger) zum Steuerschuldner für die Umsätze der Organschaft zu bestimmen.[6] So sehr dies auch im Vorfeld kontrovers diskutiert wurde, wäre eine anderslautende Entscheidung des EuGH doch erstaunlich gewesen, weil Art. 11 MwStSystRL in seiner Entstehungsgeschichte die deutsche Organschaftsregelung absichern sollte.[7]

Der Streit zur finanziellen Eingliederung: Ungeachtet der Rechtsfrage, ob anstelle der Mehrwertsteuergruppe auch ein Mitglied Steuerschuldner für die Umsätze der Gruppe sein kann, wollte der 11. BFH-Senat vom EuGH darüber hinaus wissen, ob beim Erfordernis der finanziellen Eingliederung ein...

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