Rz. 6

Die Anrufung des Berufungsausschusses bedeutet, dass ein Beschluss des Zulassungsausschusses durch Widerspruch angefochten wird. Durch die Verweisung in § 97 Abs. 3 gelten die Vorschriften der § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 SGG. Nach § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a SGB I oder zur Niederschrift bei der Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat, einzureichen. Abweichend hiervon ist der Widerspruch gemäß § 44 Satz 1 Ärzte-ZV schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Berufungsausschusses beim Berufungsausschuss einzulegen.

Schriftlich bedeutet eine schriftliche Fixierung, die vom Widerspruchsführer oder seinem Bevollmächtigten handschriftlich zu unterschreiben ist (Becker, in: Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, § 84 Rz. 6). Fehlt eine Namensunterzeichnung, muss aus den Umständen hervorgehen, dass die Erklärung von dem Widersprechenden herrührt. Eine Begründung ist zur Wirksamkeit des eingelegten Widerspruchs nicht erforderlich.

Bekanntgabe ist nicht notwendig, die Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz und ebenso nicht die Verkündung nach mündlicher Verhandlung vor dem Zulassungsausschuss. Wird der Beschluss des Zulassungsausschusses nach der Verhandlung verkündet, sind die Beteiligten nicht gehindert "im Voraus" Widerspruch einzulegen, ohne den schriftlichen Beschluss abzuwarten. Widerspruch einzulegen ohne einen ergangenen Beschluss des Zulassungsausschusses ist nicht zulässig. Ist der Beschluss ohne mündliche Verhandlung ergangen, beginnt die Frist des Widerspruchsverfahrens erst mit seiner Übermittlung an den durch den Beschluss beschwerten Beteiligen. Richtet sich der Beschluss an mehrere Ärzte einer Berufsausübungsgemeinschaft, muss jeder Widerspruch einlegen.

 

Rz. 7

Das an den Berufungsausschuss gerichtete Widerspruchsverfahren gilt als Vorverfahren nach § 78 SGG. Mit dem Widerspruch geht das Verfahren umfassend in eine zweite Verwaltungsinstanz über, aber auch nur, soweit die Entscheidung des Zulassungsausschusses angefochten wird. Ansonsten ist Verhandlungsgegenstand der Streitgegenstand, über den der Zulassungsausschuss entschieden hat. Im Klageverfahren wird nur noch der Beschluss des Berufungsausschusses und nicht der des Zulassungsausschusses durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überprüft (BSG, Urteil v. 17.3.2021, B 6 KA 2/20 R; BSG, Urteil v. 16.5.2018, B 6 KA 1/17 R). Der dem Berufungsausschuss unterbreitete Streitgegenstand wird durch das Begehren und den damit verbundenen Lebenssachverhalt bestimmt (Kremer/Wittmann, Vertragsärztliches Zulassungsverfahren, Rz. 218).

Widerspruch einlegen kann der Antragsteller, sofern er durch die Entscheidung des Zulassungsausschusses beschwert ist. In Fällen des defensiven oder offensiven Konkurrentenwiderspruchs kann ein Widerspruch nur zulässig sein, wenn der Beteiligte ein Rechtsschutzinteresse geltend machen kann. Es handelt sich beim Konkurrentenwiderspruch um mehrpolige Rechtsverhältnisse im Vertragsarztrecht. Beim offensiven Drittwiderspruch konkurrieren zwei oder mehrere Ärzte als Mitbewerber um eine einmal zu vergebene Arztstelle oder ein Krankenhausarzt um die Erteilung einer Ermächtigung, bei einem defensiven Widerspruch geht ein zugelassener Arzt gegen Konkurrenten vor. Ob dem Widersprechenden tatsächlich ein dem Konkurrenten vorgehendes Recht zukommt, ist dann eine Frage der Begründetheit zum Ganzen (BVerfG, Urteil v. 17.8.2004, 1 BvR 378/00; BSG, MedR 2012 S. 479; vgl. auch Kremer/Wittmann, Vertragsärztliches Zulassungsverfahren, Rz. 236 f.).

Ein Drittwiderspruch bedingt ein faktisches Konkurrenzverhältnis. Der Anfechtende und der Konkurrent müssen im selben räumlichen Bereich dieselben Leistungen erbringen oder erbringen wollen (BSG, NZS 2017 S. 747) und eine wirtschaftliche Beeinträchtigung muss wahrscheinlich sein.

Dem Konkurrenten muss die Teilnahme am Basiszugang ärztlicher Versorgung eröffnet werden und der dem Konkurrenten eingeräumte Status muss vorrangig sein. Eine Ermächtigung ist nachrangig gegenüber einer Zulassung.

 

Rz. 8

Es gilt im Verfahren vor dem Berufungsausschuss der Grundsatz der reformatio in peius – Verböserung (vgl. Kremer/Wittmann, Vertragsärztliches Zulassungsverfahren, Rz. 220). Da der Berufungsausschuss in einem zweiten Verwaltungsverfahren die Entscheidung des Zulassungsausschusses überprüft, stellt es keine Verböserung dar, wenn er z. B. eine zusprechende Entscheidung des Zulassungsausschusses aufhebt (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 85 Rz. 5). Hingenommen wird von der Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 2.12.1992, 6 RKa 33/90), dass der Berufungsausschuss eine Zulassung erstmals mit einer Nebenbestimmung versieht. Im Fall eines Drittwiderspruchs kann zuungunsten des ursprünglich Begünstigten eine aufhebende Entscheidung getroffen werden (BSG, Urteil v. 17.2.2016, B 6 KA 6/15 R).

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