Rz. 25

Nicht medizinisch indizierte ästhetische Operationen, Tätowierungen oder Piercings sind langfristig potenziell schädigende Verhaltensweisen und verletzen den Körper unmittelbar; sie beruhen auf punktuellen Vorgängen und sind relativ leicht zu erfassen (BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 37/18 R).

Zwischen dem Verhalten des Versicherten und der Krankheit muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Das Handeln muss zumindest eine wesentliche Mitursache gewesen sein (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 28.1.2019, L 16 KR 324/18).

Mit der seit dem 1.7.2008 geltenden Fassung des § 52 Abs. 2 hat der Gesetzgeber eine abschließende Aufzählung bestimmter Maßnahmen zur Optimierung des äußeren Erscheinungsbildes geschaffen. Eine analoge Anwendung der Rechtsfolgen auf andere körperliche Eingriffe ist wegen der bewusst geschaffenen gesetzlichen Begrenzung mangels Fehlens einer unbeabsichtigten Lücke im Gesetz sowie des Ausnahmecharakters der Vorschrift ausgeschlossen (SG Berlin, Urteil v. 10.12.2013, S 182 KR 1747/12; vgl. hierzu auch Gesetzesentwicklung unter Rz. 2).

 

Rz. 26

Zu den Gründen von nicht indizierten ästhetischen Operationen zählen z. B.

  • abstehende Ohren,
  • unschöne Nasen,
  • zu klein oder zu groß empfundene Brüste (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 28.1.2019, L 16 KR 324/18),
  • "normales Übergewicht", weshalb eine Fettabsaugung zur Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes vorgenommen wird.

Verhaltensweisen wie

  • Branding (Einbrennen von Schriftzeichen oder Symbolen in die Haut),
  • Cutting (Zufügen von Schnittwunden zur Erzielung eines gewünschten Narbenmusters auf der Haut) oder
  • Tongue-Cutting (Aufspalten der Zungenspitze zur Herbeiführung einer amphibisch anmutenden Zungenform)

lassen sich ebenfalls zu dem Tatbestandsmerkmal der "medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation", dem "Piercing" und der "Tätowierung" subsumieren (BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 37/18 R).

 

Rz. 27

Eine ästhetische Operation i. S. d. § 52 Abs. 2 liegt dann vor, wenn der operative Eingriff aus Sicht der medizinischen Wissenschaft ihren Hauptgrund in der gewünschten Verbesserung des körperlichen Erscheinungsbildes des Versicherten hat. Durch die in § 52 Abs. 2 aufgeführten Wörter "ästhetische Operation" grenzt der Gesetzgeber diese Operationen von den primär medizinisch notwendigen ab. Wollte z. B. eine stark übergewichtige Versicherte aufgrund einer durchgeführten Magenband-Operation den krankhaften Zustand einer Adipositas heilen oder zumindest lindern, zielt dieses nicht primär auf eine (subjektive) Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes ab (SG Mainz, Gerichtsbescheid v. 21.9.2015, S 3 KR 558/14). Hat dagegen eine Frau aus ästhetischen Gründen Ihre Brüste vergrößern lassen, war jedoch das eingepflanzte Implantat qualitätsmäßig mangelhaft, sodass es herausoperiert werden muss, handelt es sich um eine Folgeerkrankung, für die die Krankenkasse im Endeffekt nicht allein einstehen muss. Auch das ersatzweise Einbringen neuer Implantate nach Explantation fehlerhaft hergestellter Brustimplantate zählt nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn bereits die erstmalige Implantation rein ästhetischen Zwecken diente (vgl. SG Berlin, Urteil v. 10.12.2013, S 182 KR 1747/12).

 

Rz. 28

Hat eine Krankenkasse ausnahmsweise die Kosten für eine der oben erwähnten Operationen doch getragen oder hat sie sich an den Kosten beteiligt, weil doch eine gewisse medizinische Notwendigkeit bestand (z. B. Verkleinerung der Brüste wegen ständiger Rückenschmerzen), scheidet die Anwendung des § 52 Abs. 2 aus.

 

Rz. 29

Nach Rz. 32 des Urteils des BSG v. 27.8.2019 (a. a. O.) schafft § 52 Abs. 2 einen ermessensgerechten Ausgleich zwischen dem solidarisch getragenen und finanzierten Schutz des Einzelnen und den Belangen der Solidargemeinschaft. Der Einzelne verliert nicht seinen Primäranspruch auf Krankenbehandlung, obwohl er sich aus eigenem Entschluss besonderen gesundheitlichen Risiken in Form von gefahrträchtigen Eingriffen in seinen Körper aussetzt, von denen er wissen muss, dass erforderlichenfalls deren Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung die Solidargemeinschaft erheblich belasten kann. Diesem selbst gewählten unsolidarischen Verhalten trägt die Regelung der Kostenbeteiligung flexibel – an die Umstände des Einzelfalls angepasst – Rechnung: Sie weist die Verantwortung für das eigene Verhalten dem Versicherten zu, indem sie eine sekundäre Kostenbeteiligung bei Folgeerkrankungen in angemessener, individuell festzulegender Höhe vorsieht. Es ist den Versicherten zumutbar, die ermessensgerecht festgesetzten begrenzten Kosten hierfür selbst zu tragen.

 

Rz. 30

Bei den in § 52 aufgeführten Handlungen handelt sich allesamt um Eingriffe, deren Kosten die Krankenkassen wegen der fehlenden medizinischen Notwendigkeit der Maßnahme nicht trägt. Dabei ist unbeachtlich, dass der betroffene Versicherte angibt, die dem Grunde nach ästhetische Operation sei aus psychischen Gründen durchgeführt worden. Begründung: Nach...

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