Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenerstattung. Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB 5. Unterscheidung zwischen Sachleistungs- und Erstattungsanspruch. Verweis des Satz 9 auf die Regelungsbereiche "Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen" im SGB 9 nicht auf Fälle der Sachleistung ausdehnbar (hier: Versorgung mit dem Hilfsmittel High-Flow-Generator "MyAirvo2" als Leistung zur medizinischen Rehabilitation bei chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung). Bindung der Gerichte an Gesetzestext. Wortlaut des § 13 Abs 3a SGB 5. Begrenzung des Anwendungsbereichs auf die in § 11 SGB 5 aufgeführten Leistungsarten. subjektive Erforderlichkeit des Versicherten nicht maßgebend. gerichtliche Ermittlungen zu (Rechts-)Kenntnissen, Vorstellungen oder Absichten des Versicherten nicht erforderlich. Voraussetzungen der Rücknahme einer fingierten Genehmigung nach § 45 SGB 10

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a S 6 SGB V führt zu einem Sachleistungsanspruch, die Selbstbeschaffung nach Fristablauf hingegen zu einem Erstattungsanspruch. Die Genehmigung der Leistung ist für einen Erstattungsanspruch gerade keine Voraussetzung (entgegen LSG Darmstadt vom 10.12.2015 - L 1 KR 413/14; LSG München vom 7.9.2016 - L 20 KR 597/15, RdNr 28ff; Helbig in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 13 SGB V, RdNr 70f).

2. Die Fälle des Sachleistungsanspruchs werden von dem Verweis des § 13 Abs 3a S 9 SGB V auf die Vorschriften des SGB IX nicht erfasst.

3. Der wirksam in Kraft gesetzte Gesetzestext ist verbindlich und von den Gerichten bei ihrer Entscheidung zu beachten. Sollte eine gesetzliche Regelung die Regelungsabsicht nicht zutreffend zum Ausdruck bringen ("missglücken"), ist sie durch die gesetzgebenden Organe zu korrigieren, nicht mittels einer für besser gehaltenen, abweichenden Anwendung durch Behörden und Gerichte "umzudeuten" (entgegen LSG Darmstadt vom 10.12.2015 - L 1 KR 413/14, RdNr 34; Helbig aaO; SG Dortmund vom 8.6.2016 - S 40 KR 1454/14, RdNr 33).

4. Der Wortlaut des § 13 Abs 3a SGB V (Antrag auf "Leistung") legt eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Norm nicht nur auf Sach- und Dienstleistungen (§ 13 Abs 1 iVm § 2 Abs 2 SGB V), sondern zudem auf die in § 11 SGB V aufgeführten Leistungsarten nahe (so schon SG Speyer vom 8.4.2016 - S 19 KR 479/14, RdNr 34).

5. Hingegen kommt es weder darauf an, ob ein Versicherter die Leistung subjektiv für erforderlich halten durfte, noch ob er möglicherweise Kenntnis vom Fehlen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen hatte (entgegen BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33 R, RdNr 25ff). Gerichtliche Ermittlungen dazu, welche (Rechts-)Kenntnisse hinsichtlich der Voraussetzungen der begehrten Leistung, welche konkreten Vorstellungen oder Absichten ein Versicherter im Zeitpunkt der Antragstellung jeweils hatte, sind daher nicht veranlasst.

6. Eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X ist möglich, wenn auch ein tatsächlich ergangener Verwaltungsakt mit einem entsprechenden bewilligenden Inhalt rechtswidrig ergangen und daher rücknehmbar wäre. Es kann für die Frage der Rechtswidrigkeit hingegen nicht darauf ankommen, ob die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion vorlagen (entgegen BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R aaO, 4. Leitsatz sowie RdNr 32).

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 04.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2016 verurteilt, die Klägerin mit einem High-Flow-Generator „MyAirvo2“ gemäß Antrag und Verordnung vom 25.09.2015 zu versorgen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem High-Flow-Generator im Rahmen einer Beatmungstherapie.

Die 1943 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Rentnerin gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an einer chronischen Lungenerkrankung. Im Rahmen eines notfallmäßig veranlassten stationären Aufenthaltes im N… Klinikum St. J… in L… wurde bei ihr eine High-Flow-Beatmung eingeleitet.

Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung der Ärzte des N… Klinikums Dr. K… und Sch… vom 25.09.2015 beantragte die Klägerin die Gewährung der High-Flow-Beatmungstherapie bei der Beklagten. Als Diagnosen gaben die Ärzte auf der Verordnung u.a. eine infekt-exazerbierte chronisch-obstruktive Lungenerkrankung im Stadium III mit respiratorischer Insuffizienz an. Sie führten zur Begründung aus, bei der Klägerin bestehe eine höhergradige chronisch-obstruktive Lungenerkrankung. Bei zunehmender Reduktion des Allgemeinzustandes sei die Indikation zur Einleitung einer High-Flow-Beatmungstherapie gestellt worden. Die daraufhin durchgeführten blutgasanalytischen Kontrollen hätten zufriedenstellende Ergebnisse geliefert. Die Klägerin toleriere diese Beatmungsform. Es sei eine signifikante Besserung des Allgemeinbefindens und der Belastbarkeit erreicht worden. Es werde um wohlwollende Prüfung der Verordnung gebeten, da der klinische Erf...

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