1 Regelungsgehalt und Entwicklung der Rechtsvorschrift

1.1 Grundlage des § 29 UStG und Einführung zum 1.1.1968

 

Rz. 1

Nach § 13 Abs. 1 UStG entsteht die USt der Höhe nach zum Zeitpunkt der Erbringung der Leistung durch den Unternehmer. Das zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft, eine Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt und zu einem bestimmten Preis erbringen zu wollen, ist weder für die Anwendung der Vorschriften über die Steuerbarkeit und die Steuerpflicht eines Umsatzes noch für die Anwendung des maßgeblichen Steuersatzes von Bedeutung. Die Rechtsvorschriften des UStG sind grundsätzlich in der jeweils aktuellen Fassung auf alle Umsätze anzuwenden, die zu diesem Zeitpunkt bewirkt werden. Dies gilt unabhängig von der gewählten Besteuerungsform grundsätzlich bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten nach § 16 Abs. 1 UStG wie auch bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten nach § 20 UStG. Unabhängig vom steuerrechtlichen Entgeltsbegriff des § 10 Abs. 1 S. 2 UStG[1], dass alles das Entgelt ist, was der leistende Unternehmer vom Leistungsempfänger oder einem anderen als dem Leistungsempfänger für die Leistung erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen, jedoch abzüglich der für diese Leistung gesetzlich geschuldeten USt, bestimmt sich der Preis nach zivilrechtlicher Auffassung nach dem Bruttobetrag. Ausnahme ist hier lediglich, dass die Vertragsparteien etwas Abweichendes vertraglich geregelt haben.

 

Rz. 2

Ergeben sich nach Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts Änderungen bei der USt, kann dies zum Zeitpunkt der Leistungserbringung zu einer höheren oder einer niedrigeren steuerlichen Belastung bei dem leistenden Unternehmer – oder im Falle der Übertragung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger bei diesem – führen. Um diesen Nachteil bei einer Erhöhung der steuerlichen Belastung oder diesen Vorteil bei einer Verringerung der steuerlichen Belastung zwischen den Vertragsparteien ausgleichen zu können, gibt § 29 UStG Rahmenbedingungen vor, unter denen ein Ausgleich zwischen den Vertragsparteien erfolgen kann.

 

Rz. 3

Mit Umstellung des Umsatzsteuersystems zum 1.1.1968 auf die Allphasennettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzugsberechtigung ergaben sich erhebliche steuerliche Auswirkungen auf die Verträge, die vor Rechtskraft der Änderungen abgeschlossen worden waren. Unter Berücksichtigung dieser Auswirkungen ist in das UStG 1967 eine Vorgängerregelung des heutigen § 29 UStG aufgenommen worden, die für Verträge, die vor dem 1.10.1967 abgeschlossen worden waren, einen Ausgleich zwischen den Vertragsparteien regelte, wenn durch die Änderung des Umsatzsteuersystems zum 1.1.1968 eine nicht unwesentliche Erhöhung oder Verminderung der umsatzsteuerlichen Belastung entstand und die Vertragsparteien keine zivilrechtlichen Ausgleichsforderungen als so genannte "Steuerklausel" vereinbart hatten.

 

§ 29 UStG 1967[2]:

„(1) Beruht die Leistung auf einem Vertrag, der vor dem 1. Oktober 1967 abgeschlossen worden ist, so kann, falls aufgrund der Vorschriften dieses Gesetzes die umsatzsteuerrechtliche Belastung der Leistung sich nicht unwesentlich erhöht oder vermindert, der eine Vertragsteil von dem anderen einen angemessenen Ausgleich verlangen; soweit vor Inkrafttreten dieses Gesetzes Vergütungssätze für die Ausfuhrvergütung oder die Ausfuhrhändlervergütung festgesetzt worden sind, sollen diese bei der Ermittlung der bisherigen umsatzsteuerlichen Belastung berücksichtigt werden. S. 1 gilt nicht, soweit die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Ist streitig, ob die umsatzsteuerliche Belastung sich nicht unwesentlich erhöht oder vermindert hat und in welcher Höhe ein Ausgleich verlangt werden kann, so ist § 287 Abs. 1 Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

(2) Weist der Unternehmer nach, daß er einen angemessenen Ausgleich i. S. d. Absatzes 1 für die Erhöhung der umsatzsteuerlichen Belastung seiner Leistung nicht erlangen kann, weil der Vertrag deutschem Recht nicht unterliegt, so kann der Bundesminister der Finanzen unbeschadet der Vorschriften des § 131 der Reichsabgabenordnung einen Steuererlaß bis zur Höhe der Mehrbelastung gewähren.”

 

Rz. 4

In den Fällen, in denen ein angemessener Ausgleich der Mehrbelastung nach § 29 Abs. 1 UStG a. F. nicht möglich war, da der Vertrag nicht dem deutschen Recht unterlag, eröffnete der § 29 Abs. 2 UStG a. F. dem leistenden Unternehmer die Möglichkeit, einen Erlass der Mehrbelastung nach den Vorschriften der Abgabenordnung[3] zu erlangen.

 

Rz. 5

Während die erste Änderung des Steuersatzes nach dem Systemwechsel zum 1.7.1968 nicht durch eine gesetzliche Übergangsregelung flankiert worden war, wurde § 29 UStG a. F. noch um eine Übergangsregelung für die Steuersatzänderung zum 1.1.1978 in § 29 Abs. 3 UStG a. F. und für die Steuersatzänderung zum 1.7.1979 in § 29 Abs. 4 UStG a. F. ergänzt. Beide Ergänzungen ermöglichten einen Ausgleich der Mehrbelastung bei Erfüllung langfristiger Verträge, soweit die Mehrbelastung durch die Steuersatzanhebung entstanden war. Allerdings waren in diesen beiden ­Regelungen unterschiedli...

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