Rz. 56

§ 27b UStG wirft nun vor allem im Zusammenhang mit dem Betreten Räumen – und insbesondere von gemischt genutzten Räumen – eine wichtige verfassungsrechtliche Frage auf.[1] Wie in den letzten Absätzen ausgeführt, wird durch das Betretensrecht der Regelung jedenfalls in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG eingegriffen. Das Grundgesetz sieht nun für Eingriffe in Grundrechte in Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG das sog. Zitiergebot vor. Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG muss das in ein Grundrecht eingreifende Gesetz dieses Grundrecht unter Angabe seines Artikels nennen. Diese Benennung muss nicht notwendig unmittelbar in der betroffenen Vorschrift erfolgen, es reicht aus, wenn das entsprechende Gesetz – etwa an seinem Ende – einen solchen Hinweis enthält.[2]

 

Rz. 57

Der Zweck des Zitiergebots besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darin, dass neue, dem bisherigen Recht fremde Möglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte nicht geschaffen werden sollen, ohne dass "der Gesetzgeber sich darüber Rechenschaft legt und dies ausdrücklich zu erkennen gibt".[3] Durch die schriftliche Dokumentation in dem Gesetz wird somit auch für die Zukunft dokumentiert, dass sich der Gesetzgeber des Grundrechtseingriffs bewusst war. Beispiele für derartige Zitierungen stellen § 413 AO oder § 146b Abs. 1 S. 4 AO dar.

 

Rz. 58

Nun findet sich aber weder in § 27b UStG noch sonst im UStG ein solcher Hinweis insbesondere auf den Eingriff in das Grundrecht aus Art 13 GG, das Zitiergebot ist demnach unbeachtet geblieben.[4] Für die der Umsatzsteuer-Nachschau vergleichbare Regelung der allgemeinen Nachschau der Zollbehörden nach § 210 AO besteht ein solches Zitat in § 413 AO und für die Kassen-Nachschau (zusätzlich) in § 146b Abs. 1 S. 4 AO. Wäre die Umsatzsteuer-Nachschau – wie ursprünglich geplant (Rz. 2) – gleichfalls als Nachschau in die Abgabenordnung eingefügt worden, dann wäre dem Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG wohl Rechnung getragen worden.[5] Warum dies bei der Einfügung des § 27b UStG in das UStG nicht erfolgte, bleibt allerdings im Dunkeln, wahrscheinlich ist es schlicht übersehen worden.[6] Aufgrund einer dahin gerichteten Anfrage der damaligen Opposition im Deutschen Bundestag[7] hatte sich die Vertreterin des BMF jedenfalls dahingehend eingelassen, dass dieser Umstand offenkundig und den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten bekannt gewesen sei.[8]

 

Rz. 59

Bei einer solchen Ausgangslage ist allerdings zu fragen, warum bei der vermeintlichen Offenkundigkeit nicht einfach die erforderliche Zitierung in das UStG eingefügt wurde oder nachträglich eingefügt wird. Immerhin erscheint es nicht nur aus Sicht juristischer Laien eher unwahrscheinlich, dass mittels eines materiellen Steuergesetzes in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG eingegriffen werden kann. Gerade dies spricht für die Notwendigkeit der Beachtung des Zitiergebots, die nicht einfach dadurch ausgeschlossen werden kann, dass man von der allgemeinen Bekanntheit eines Eingriffs ausgeht, dies widerspricht auch der oben genannten Rechtfertigung des Zitiergebots (Rz. 57). Blickt man etwa auf die Regelung der im Jahr 2018 neu eingeführten Kassen-Nachschau in § 146b AO (Rz. 105a), dann findet sich hier die notwendige Zitierung im Abs. 1 S. 4 dieser Vorschrift. Dieser Unterschied zur Umsatzsteuer-Nachschau dürfte sachlich wohl kaum zu rechtfertigen sein.

 

Rz. 60

Im Anschluss daran ist nach der Rechtsfolge der Verletzung des Zitiergebots zu fragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in der oben genannten früheren Entscheidung dazu ausgeführt, dass das betreffende Gesetz schlicht nichtig ist.[9] Auch wenn das höchste deutsche Gericht diese strenge Auffassung später relativiert hat[10], so ist dieser Mangel dennoch nicht nur als Formfehler zu betrachten.[11] Zu beachten ist zwar, dass die Missachtung des Zitiergebots auch nach (ständiger) Auffassung des BFH[12] nicht zur Verfassungswidrigkeit des ganzen § 27b UStG oder gar des ganzen UStG führt; jedenfalls hinsichtlich des Betretensrechts von Betriebs- und Geschäftsräumen während der üblichen Geschäftszeiten ist § 27b UStG nicht zu beanstanden und auch die übrigen Vorschriften des UStG sind davon in ihrem Regelungszusammenhang nicht betroffen.[13] Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob § 27b UStG im Zusammenhang mit dem Betreten von Wohnräumen verfassungsgemäß ist. Verfassungsrechtlich problematisch ist m. E. vor allem der Fall, in dem ein steuerliches Mehrergebnis auf in gemischt genutzten Räumen getroffenen Feststellungen einer Umsatzsteuer-Nachschau beruht, deren Betreten den Amtsträgern zudem ausdrücklich untersagt wurde.[14]

In einem derartigen Fall könnte es dann für die gewonnenen Erkenntnisse u. U. zu einem Verwertungsverbot kommen.[15]

Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert zu dieser besonderen Fallkonstellation aber bisher nicht.

 

Rz. 61

Im Ergebnis liegt demnach ein handwerklicher Fehler des Gesetzgebers vor, der nicht umsonst schon bei Schaffung der Neuregelung dazu füh...

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