2.2.3.1 Allgemeines

 

Rz. 11

Das Gericht bildet sich seine Überzeugung "frei". Dies bedeutet, dass sich die innere Überzeugung der Richter anhand der Denkgesetze, anerkannten Erfahrungs- und Auslegungsgrundsätze bilden muss, wobei es keine festen starren Regeln gibt.[1] Das Gericht hat dabei im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat. Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts muss auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Beweiswürdigung beruhen, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden.[2]

 

Rz. 12

Das Gericht muss die Tatsachen, die der Tatbestand einer Rechtsnorm erfordert, zu seiner Überzeugung im vorgenannten Sinn feststellen. Auf diese Tatsachen kommt es unmittelbar an. Lassen sich solche Tatsachen nicht feststellen, gibt es aber häufig sog. Hilfstatsachen (Indizien), aus denen sich mittelbar auf die Haupttatsachen schließen lässt.[3] Ein Indizienbeweis ist auch im Finanzgerichtsprozess grundsätzlich möglich.[4] Wenn die Hilfstatsachen zur Überzeugung des Gerichts festgestellt sind, muss in einem zweiten Schritt auch der Schluss auf die zu beweisenden Haupttatsachen im vorgenannten Sinn zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden.

 

Rz.  13

Die Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist keine Sachverhaltsermittlung, sondern Rechtsanwendung nach Abschluss der Sachaufklärung und damit revisionsgerichtlich voll überprüfbar.[5] Der BFH kann prüfen, ob das FG im Rahmen seiner Würdigung gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder die Verfahrensordnung verstoßen hat.[6] Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so kann dies auch ohne besondere Rüge vom BFH als Revisionsgericht beanstandet werden.[7]

2.2.3.2 Gesetzliche Beweisregeln

 

Rz. 14

Eingeschränkt wird die freie Überzeugungsbildung durch bestimmte gesetzliche Beweisregeln. Diese stellen Ausnahmeregelungen zu dem Grundsatz der freien Überzeugungsbildung dar.[1] Zu den gesetzlichen Beweisregeln gehören kraft ausdrücklicher Verweisung in § 96 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 FGO die §§ 158, 160 und 162 AO sowie über § 155 S. 1 FGO anzuwendende Beweisregeln der ZPO[2] und einzelne Vorschriften des materiellen Rechts.

 

Rz. 15

Soweit keine ausdrückliche gesetzliche Regelung vorliegt oder über § 155 S. 1 FGO eine sinngemäße Anwendung der Vorschriften der ZPO nicht in Betracht kommt, gilt der Grundsatz der freien Überzeugungsbildung. Insbesondere befreien mangels gesetzlicher Regelung die §§ 159 und 160 AO das Gericht nicht, in den dort genannten Fällen nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung über die entsprechenden Tatsachen zu entscheiden.[3] Entsprechendes gilt für die Regelung des § 444 ZPO, der m. E. nicht sinngemäß über § 155 S. 1 FGO anwendbar ist. Das Verhalten des "Beweisverderbers" bzw. des "Beweisvereitelers" ist danach im Rahmen der freien Überzeugungsbildung zu würdigen.[4]

[1] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 31.
[2] Lange, in HHSp, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 90.
[3] Lange, in HHSp, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 131; a. A. Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 61f. und Schmidt-Troje, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 21.
[4] Vgl. auch Lange, in HHSp, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 84; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 32.

2.2.3.2.1 § 158 AO: Beweiskraft der Buchführung

 

Rz. 16

§ 158 AO ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung sinngemäß anwendbar.

 

Rz. 17

Nach der widerleglichen Vermutung des § 158 AO ist die Buchführung der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn sie den §§ 140 bis 148 AO entspricht. Wird diese Vermutung widerlegt, hat das Gericht selbst zu ermitteln oder gem. § 162 AO zu schätzen.[1]

[1] Stapperfend, in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 96 FGO Rz. 14; zu den Einzelheiten der Vorschrift s. Frotscher, in Schwarz, AO, Erl. zu § 158.

2.2.3.2.2 § 160 AO: Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern

 

Rz. 18

§ 160 AO ist sinngemäß anwendbar.

 

Rz. 19

Der Hinweis auf § 102 AO in § 160 Abs. 2 AO bedeutet, dass bei bestimmten Berufsgeheimnissen auch im hier maßgeblichen Zusammenhang das Auskunftsverweigerungsrecht erhalten bleibt und nach der Auskunftsverweigerung, anders als bei der Weigerung nach §§ 101 und 103 AO, die Konsequenz von § 160 Abs. 1 AO nicht eintritt.[1]

 

Rz. 20

Das Gericht darf, wenn die Empfänger nicht benannt werden, die Aufwendungen grundsätzlich nicht steuermindernd berücksichtigen, auch wenn es davon überzeugt ist, dass der Kläger sie getätigt hat.[2] Es kann auch selbst von dem in seinem Ermessen ste...

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