Rz. 25

In den in § 72 Abs. 1 S. 2 FGO aufgeführten Fällen (Rz. 29) ist die Rücknahme nur mit Einwilligung des Beklagten möglich. Durch diese Regelung soll dem Interesse des Beklagten an einer gerichtlichen Entscheidung bei einem bereits weit fortgeschrittenen Prozessstadium Rechnung getragen und verhindert werden, dass sich der Kläger gegen den Willen des Beklagten einer Entscheidung durch Urteil entzieht.[1] Im Rahmen der entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf Antragsverfahren ist § 72 Abs. 1 S. 2 FGO nach h. A. nicht anwendbar.[2]

 

Rz. 26

Die Erteilung der Einwilligung steht im freien Belieben der Behörde. Nach dem Zweck der Regelung ist für die Nichterteilung weder ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis noch ein sachlicher Grund erforderlich.[3] Die Nichterteilung der Einwilligung ist weder ein Verwaltungsakt noch begründungsbedürftig und kann nach dem Normzweck des § 72 Abs. 1 S. 2 FGO auch nicht als rechtsmissbräuchlich verworfen werden.[4]

Die Einwilligung des Beklagten ist ebenfalls gegenüber dem Gericht abzugeben und als Prozesshandlung ebenso bedingungsfeindlich, unwiderruflich und unanfechtbar. Sie bedarf keiner besonderen Form und kann auch durch schlüssiges Verhalten erteilt werden.[5]

 

Rz. 27

Nach § 72 Abs. 1 S. 3 FGO wird die Einwilligung des Beklagten in die Klagerücknahme fingiert, wenn der Rücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung der die Rücknahme enthaltenden Erklärung widersprochen wird; das Gericht muss mit der förmlichen Zustellung der Rücknahmeerklärung i. S. d. § 53 FGO auf diese Folge hinweisen. Die Fiktion des § 72 Abs. 1 S. 3 FGO tritt nur dann nicht ein, wenn ein ausdrücklicher Widerspruch der Behörde erfolgt. Der Widerspruch ist Verfahrenshandlung und kein selbstständig anfechtbarer Verwaltungsakt.[6] Für die Berechnung der Zweiwochenfrist gilt § 54 Abs. 2 FGO.[7] Da es sich um eine gesetzliche Frist handelt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO grds. möglich.[8]

 

Rz. 28

Bei Nichterteilung einer erforderlichen Einwilligung ist die Rücknahmeerklärung unwirksam. Dasselbe gilt, wenn die Einwilligung auch nicht als erteilt gilt.[9] In diesen Fällen ist das Verfahren fortzusetzen und über die Klage auch dann sachlich zu entscheiden, wenn der Kläger seinen Klageantrag nicht aufrechterhält.[10] Insoweit ist die Klage aber mangels Rechtsschutzinteresse als unzulässig abzuweisen.[11] War im Zeitpunkt der Unwirksamkeit der Rücknahme bereits ein Urteil bzw. ein Gerichtsbescheid ergangen und wird kein Rechtsmittel eingelegt, tritt mit Ablauf der Rechtsmittelfrist die Rechtskraft ein.

[2] FG Bremen v. 31.1.1994, 2 94 073 V 2, EFG 1995, 171; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 22.
[3] A. A. Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 101.
[4] Ebenso Schoenfeld, in Gosch, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 79; a. A. Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 22; Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 101.
[5] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 22; Gräber/Herbert, FGO, 9. Aufl. 2019, § 72 FGO Rz. 26.
[6] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 22; a. A. Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 101.
[8] Schoenfeld, in Gosch, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 78.

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