Rz. 29

Nach § 91 Abs. 2 AO kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist. Liegen solche Umstände vor, so hat die Finanzbehörde eine Ermessensentscheidung zu treffen. Voraussetzung ist aber auch in diesem Zusammenhang immer, dass eine atypische Fallgestaltung vorliegt (vgl. Rz. 5). Hiervon ist nicht generell beim Erlass eines Haftungsbescheids nach § 71 AO unter dem Gesichtspunkt auszugehen, dass im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat das Haftungsermessen in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Straftäter festzusetzen sind.[1] Für die Beantwortung der Frage, ob von einer solchen Ausnahmesituation auszugehen ist, geben die in den Nr. 1 bis 5 genannten Gründe eine gewisse Orientierung. Die Aufzählung ist nicht abschließend ("insbesondere"). Nicht ausdrücklich aufgeführte Gründe müssen mit den Regelbeispielen wesensverwandt und in ihrer Bedeutung vergleichbar sein, um wie diese ein Absehen von der Anhörung zu rechtfertigen.[2] Hierbei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Verwaltungsökonomische Gründe und/oder Praktikabilitätserwägungen dürfen nur in sehr engen Grenzen zu einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs führen.

 

Rz. 30

Die Entscheidung darüber, ob nach den Umständen des Einzelfalls eine Anhörung nicht geboten ist, trifft die Finanzbehörde. Bei der Beurteilung ist von einer ex-ante-Sicht auszugehen. Maßgeblich ist demnach, wie sich die Situation im Zeitpunkt der Entscheidung für den zuständigen Amtsträger dargestellt hat, nicht wie sie sich im Nachhinein erweist.[3] Die Finanzbehörde kann allerdings nicht allein deshalb eine Anhörung unterlassen, weil sie vermutet, dass vom Beteiligten keine sachdienlichen Informationen zu erwarten sind. Dies wäre eine unzulässige Vorwegnahme des möglichen Anhörungsergebnisses.[4]

[2] Roser, in Gosch, AO/FGO, § 91 AO Rz. 20; Koenig/Hahlweg, AO, 4. Aufl. 2021, § 91 Rz. 30; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 28 VwVfG Rz. 46.
[3] Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 28 VwVfG Rz. 53.
[4] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 147; insoweit unklar BFH v. 16.11.1999, VII R 95, 96/98, BFH/NV 2000, 531.

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