Rz. 9

Das Anhörungsrecht nach § 91 Abs. 1 S. 1 AO steht dem Beteiligten nur zu, wenn der Erlass eines in seine Rechte eingreifenden (belastenden) Verwaltungsakts be­vorsteht. Rechte i. d. S. sind alle subjektiv-öffentlichen Rechte einschließlich des Anspruchs auf fehlerfreie Ermessenausübung.[1] Es genügt, wenn nach dem voraussichtlichen Verfahrensgang mit einem Eingriff zu rechnen ist. Der Beteiligte soll auf das Verfahren Einfluss nehmen und gegen den potenziellen Eingriff noch geeignete Maßnahmen ergreifen können.[2] Dies wird z. B. der Fall sein bei einem nach § 362 Abs. 2 Satz 2 AO ausgesetzten Einspruchsverfahren, wenn das fragliche Gerichtsverfahren zugunsten des Einspruchsführers entschieden worden ist. Insbesondere wenn das Gerichtsverfahren eine längere Zeit angedauert hat, ist vor dem Erlass einer Einspruchsentscheidung dem Einspruchsführer die Möglichkeit zu geben, ergänzend zu anderen, den Einspruch tragenden Gesichtspunkten vorzutragen bzw. den Einspruch zurückzunehmen. Weiter macht der Verzicht auf eine vorherige Anhörung einen Haftungsbescheid nach § 191 AO rechtswidrig.[3]

In diesem Fall kommt allerdings eine Heilung nach § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO rückwirkend in Betracht, wobei auch die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung in Betracht kommt. Damit wird quasi dem allein die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügenden Einspruch der Boden entzogen, da dieser Rechtsfehler mit ex tunc- Wirkung behoben wird.[4]

 

Rz. 10

Maßnahmen ohne Regelungsgehalt lösen nur dann ein Anhörungsrecht aus, wenn dies spezialgesetzlich[5] vorgesehen ist. § 91 Abs. 1 S. 1 AO gilt in diesen Fällen nicht.[6] Dessen ungeachtet ist die Finanzbehörde gut beraten, schon aus verwaltungsökonomischen Gründen auch in solchen und vergleichbaren Fällen rechtliches Gehör zu gewähren.

 

Rz. 11

Ausgehend von einem weiten Eingriffsverständnis[7] fallen folgende Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 91 Abs. 1 S. 1 AO:

  • Verwaltungsakte, die dem Beteiligten eine rechtliche Verpflichtung auferlegen, insbesondere solche, die von dem Beteiligten ein Tun oder Unterlassen fordern oder eine Belastung erhöhen. Hierzu gehören z. B. Steuer-, Feststellungs- und Steuermessbescheide sowie Bescheide über die Festsetzung von Verspätungszuschlägen.[8]
  • Verwaltungsakte, die eine vorteilhafte Rechtsstellung des Beteiligten nachteilig verändern (z. B. die Anordnung einer Außenprüfung).[9] Zumeist sind dies Fälle, in denen ein begünstigender Verwaltungsakt für nichtig erklärt, widerrufen, zurückgenommen oder anderweitig geändert wird.
  • Verwaltungsakte, die den Beteiligten nicht oder nur teilweise begünstigen. Es reicht aus, wenn durch die Entscheidung der Finanzbehörde erst eine Rechtsposition geschaffen werden soll, diese aber hinter den Antrag oder der Erklärung zurückbleibt. Hierbei kann es sich z. B. um die (teilweise) Ablehnung eines Stundungs- oder Erlassantrags (vgl. aber Rz. 14), die Nichtgewährung einer Steuerermäßigung oder einen Verwaltungsakt mit belastender Nebenbestimmung[10] handeln.
[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 52.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 4.
[5] Wie z. B. in § 117 Abs. 4 S. 3 AO.
[6] Kritisch hierzu Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 7, der § 91 Abs. 1 AO zumindest in Fällen, in denen das schlichthoheitliche Handeln der Finanzbehörde nicht nur einen Verwaltungsakt vorbereitet, sondern selbst abschließenden Charakter mit Grundrechtsrelevanz besitzt, für analogiefähig hält.
[7] hierzu Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 4; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 54ff. m. w. N.
[8] App, INF 1988, 219.
[9] Koenig/Hahlweg, AO, 4. Auflage 2021, § 91 Rz. 8.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge