2.2.1 Allgemeines

 

Rz. 4

Der gewöhnliche Aufenthalt ist an die Voraussetzungen geknüpft, dass eine Person sich an dem Ort oder in diesem Gebiet tatsächlich aufhält und dass dies u. U. geschieht, die erkennen lassen, dass die Person dort "nicht nur vorübergehend verweilt".

2.2.2 Ort – Gebiet

 

Rz. 4a

Im Gegensatz zum Wohnsitz verlangt der gewöhnliche Aufenthalt nicht das Innehaben einer Wohnung, einer Bleibe. Abgestellt wird vielmehr auf einen Ort oder auch ein Gebiet. Das Nebeneinander dieser Begriffe ist aus Klarheitsgründen sinnvoll, da ein gewöhnlicher Aufenthalt mangels einer Wohnung und damit eines festen Punkts sowohl an einem Ort als auch in einem größeren Bereich möglich ist. Auch wenn das Verwenden dieser Wörter auf den Gegensatz in § 14 Abs. 1 S. 1 und 2 StAnpG zurückzuführen ist, hat der Gesetzgeber in § 9 AO damit zum Ausdruck gebracht, dass eine Zuordnung zu einer bestimmten Stelle nicht erforderlich ist. Die Art und Größe des maßgeblichen Gebietes bestimmen sich nach der jeweiligen Vorschrift, deren Tatbestand an den gewöhnlichen Aufenthalt einer Person anknüpft.[1] So kommt es bei § 1 Abs. 1 EStG und § 2 Abs. 1 Nr. 1a Buchst. a ErbStG für die unbeschränkte Steuerpflicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an, während § 19 AO für die örtliche Zuständigkeit auf den Bezirk des Wohnsitz-FA abstellt. Möglich ist daher – z. B. im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 EStG – sogar ein gewöhnlicher Aufenthalt insgesamt im Bundesgebiet, ohne dass die Voraussetzungen des S. 2 gegeben sein müssen.[2] Im Wortlaut ist nicht zu erkennen und nach dem Sinn ist keine Auslegung erforderlich, dass das Gebiet kleiner als das Bundesgebiet sein muss. Fälle mit einem wechselnden Aufenthalt im ganzen Bundesgebiet können nicht dem S. 2 überlassen bleiben. Lediglich eine dauerhafte Bindung an das Inland ist erforderlich, aber auch ausreichend zur Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts. So hat ein ausländischer Künstler, der sich für mehr als ein Jahr auf eine Tournee durch das Inland begibt und jeweils nur wenige Nächte an einem Ort in einem Hotel übernachtet, auch dann einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und unterliegt damit der unbeschränkten ESt-Pflicht gem. § 1 Abs. 1 EStG im Inland, wenn die Tournee nach 5 Monaten unvorhergesehen abgebrochen werden muss.[3] Für die örtliche Zuständigkeit nach § 19 Abs. 1 AO ergeben sich in diesem Fall Schwierigkeiten.[4] Befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt an einem bestimmten Ort, ist dieser für die örtliche Zuständigkeit gem § 19 AO maßgebend.

[1] Buciek, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 9 AO Rz. 27.
[2] So nunmehr auch Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 9 AO Rz. 5.
[3] FG Rheinland-Pfalz v. 10.4.1975, III 16/75, EFG 1975, 446.

2.2.3 Aufenthalt

 

Rz. 5

Aufenthalt ist grundsätzlich die körperliche Anwesenheit. Diese muss bei Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts nach S. 1 gegeben sein.[1] Für die Beibehaltung ist jedoch eine ständige körperliche Anwesenheit keine Voraussetzung, da § 9 den gewöhnlichen und nicht einen ständigen Aufenthalt beschreibt.[2] Unterbrechungen sind also möglich.[3] Die Wörter "Aufenthalt" und "verweilen" in § 9 S. 1 AO haben einen übereinstimmenden Inhalt. Ein durch die tatsächliche Anwesenheit des Stpfl. begründeter gewöhnlicher Aufenthalt kann daher auch bei einer kurzfristigen Abwesenheit fortbestehen. Eine Abwesenheit führt erst dann zur Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts, wenn die Abreise nach den äußeren Umständen erkennbar die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts am neuen Aufenthaltsort bezweckt.

[1] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 9 AO Rz. 4.
[2] BFH v. 27.9.1963, III 186/61, HFR 1964, 442; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 9 AO Rz. 4; s. dazu Deppe, StuW 1982, 332.
[3] Vgl. Rz. 12.

2.2.4 Umstände, die ein nicht nur vorübergehendes Verweilen erkennen lassen

 

Rz. 6

Vorübergehendes Verweilen ist nach der Formulierung des § 9 S. 1 AO das Gegenteil zum dauernden, gewöhnlichen Aufenthalt. Ein nicht nur vorübergehendes Verweilen setzt eine längere Verweildauer voraus. Ein kurzfristiger Aufenthalt ist kein nicht nur vorübergehendes Verweilen. Mehrere kurzfristige Aufenthalte reichen regelmäßig ebenfalls nicht aus.[1] Eine Mindestdauer für den tatsächlichen Aufenthalt ist dagegen nicht erforderlich, da die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Anwendung des § 9 S. 1 AO nicht stets im Rückblick[2] nach der wirklichen Dauer der Anwesenheit, sondern nach den Aufenthaltsumständen "ex ante" zu beurteilen ist. Maßgebend ist daher eine Prognose, die nach Maßgabe eines verobjektivierten Empfängerhorizonts vorzunehmen ist.[3] Der tatsächliche Zeitraum des Aufenthalts kann deswegen kürzer als 6 Monate sein. Dass dies vom Gesetz so gewollt ist, zeigt bereits das Nebeneinander der S. 1 und 2 des § 9 AO. Sonst wäre nämlich S. 1 neben der Regelung des S. 2 überflüssig, der allein auf die Dauer von 6 Monaten abstellt und die Umstände unbeachtet lässt.[4] Die 6-Monatsfrist begründet für die Beurteilung im Rahmen des § 9 S. 1 AO nur ein erstes Indiz. Entscheidend ist vielmehr, ob der Stpfl. nach den Gesamtumständen des Einzelfalls den persönli...

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