Rz. 45

Für den Fall, dass der Tatbestand einer der Verhinderung von Steuerumgehungen dienenden Regelung erfüllt ist, bestimmt § 42 Abs. 1 S. 2 AO, dass sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift richten.

Diese Aussage bringt in ihrem positiven Gehalt nur die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Gesetzes die sich daraus ergebende Rechtsfolge eintritt. Auch wenn damit zugleich hätte zum Ausdruck gebracht werden sollen, dass die Anwendung des § 42 AO auf einen unter die spezialgesetzliche Regelung fallenden Sachverhalt ausgeschlossen ist, hätte es der Vorschrift nicht bedurft. Denn auch diese Konsequenz ergäbe sich schon aus dem für die Rechtsanwendung allgemein geltenden Vorrang des spezielleren vor dem allgemeineren Gesetz.[1]

 

Rz. 46

Die der Vorschrift des § 42 Abs. 1 S. 2 AO zugedachte Bedeutung ergibt sich erst aus dem den folgenden S. 3 einleitenden Wort "anderenfalls". Dieses ist nämlich nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht dazu bestimmt, den Anwendungsbereich der in S. 3 formulierten Rechtsfolge auf solche Sachverhalte zu begrenzen, die nicht den Tatbestand einer speziellen Missbrauchsregelung erfüllen. Damit würde der ohnedies geltende und schon in S. 2 unnötigerweise proklamierte Vorrang der Spezialregelung vor der allgemeinen Vorschrift nur noch ein weiteres Mal bekräftigt. Die Wirkung, die sich der Gesetzgeber von dem Zusammenspiel des Abs. 1 S. 2 mit dem darauf folgenden Wort "anderenfalls" verspricht, besteht vielmehr darin, dass Existenz und Inhalt spezieller Missbrauchsregelungen bei der Anwendung des § 42 AO auf von ihnen nicht erfasste Sachverhalte unberücksichtigt bleiben.

 

Rz. 47

Genau dies war auch schon Zweck des durch das StÄndG 2001 angefügten früheren Abs. 2, nach dem Abs. 1 anwendbar war, wenn seine Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen war. Der Gesetzgeber reagierte damit auf zwei Entscheidungen des I. Senats des BFH[2]

 

Rz. 48

Die erste Entscheidung betraf einen Fall des sog. Dividenden-Strippings, mit dem unter der Geltung des körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahrens die Realisierung von Körperschaftsteuerguthaben aus Gewinnausschüttungen ermöglicht werden sollte, die nicht anrechnungsberechtigten ausländischen Anteilseignern zustanden.[3] Zu diesem Zweck wurden die Anteile von dem ausländischen Anteilseigner kurz vor dem Dividendenstichtag an einen inländischen Erwerber veräußert und kurz danach zu einem um den Dividendenabschlag verminderten Preis von diesem zurückerworben. Da der Dividendenabschlag das Körperschaftsteuerguthaben einschloss, kam der ausländische Anteilseigner damit wirtschaftlich in den Genuss der Anrechnung. Um dieser Praxis einen Riegel vorzuschieben, schloss § 50c EStG 1987/1990 die gewinnmindernde Berücksichtigung der sich aus dem Dividenabschlag ergebenden Wertminderung bei dem anrechnungsberechtigten Zwischenerwerber aus. Nach § 50c Abs. 8 S. 2 EStG 1987/1990 galt dies aber nicht, wenn dieser die Anteile über die Börse erworben hatte. Da diese Ausnahmeregelung in dem der Entscheidung des BFH zugrunde liegenden Fall eingriff, konnte dem inländischen Zwischenerwerber die gewinnmindernde Berücksichtigung der ausschüttungsbedingten Wertminderung nach Ansicht des BFH auch nicht unter Berufung auf § 42 AO versagt werden. Da § 50c EStG 1987/1990 eine sondergesetzliche Konkretisierung des Missbrauchstatbestands enthalte, sei die darin getroffene Rechtsfolgenentscheidung auch im Anwendungsbereich des § 42 AO zu berücksichtigen.

 

Rz. 49

Die zweite Entscheidung des BFH[4] betraf die Beteiligung einer inländischen Kapitalgesellschaft an einer ausländischen Kapitalanlagegesellschaft, deren Zweck in der gewinnbringenden Verwaltung des von den Gesellschaftern eingezahlten Kapitals bestand. Das FA hatte die sich aus dem DBA ergebende Befreiung der Gewinnausschüttungen dieser Gesellschaft mit der Begründung versagt, dass deren Einschaltung in die Einkunftserzielung rechtsmissbräuchlich sei. Dem folgte der BFH nicht. Obwohl die Anwendung des § 42 AO gegenüber den für Zwischengesellschaften geltenden Hinzurechnungsregelungen der §§ 7ff. AStG logisch vorrangig sei, sei der in dieser Vorschrift vorausgesetzte Gestaltungsmissbrauch seinerseits am Gesetzeszweck der §§ 7ff. AStG zu messen. Diese Vorschriften seien darauf angelegt, der "Steuerflucht" durch Einschaltung sog. Basisgesellschaften zu begegnen. Daraus sei abzuleiten, dass das bloße Erzielen von Einkünften aus passivem Erwerb für sich genommen keinen Missbrauchsvorwurf rechtfertigen könne, sondern nur die Hinzurechnungsbesteuerung auslöse.

 

Rz. 50

Die Erwartung des Gesetzgebers, durch die Anfügung des Abs. 2 der aus seiner Sicht unerwünschten Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 42 AO entgegenwirken zu können, erfüllte sich nicht. Der BFH hielt an seiner Auffassung fest, dass eine spezielle Missbrauchsregelung auch außerhalb ihres Anwendungsbereichs eine "Abschirmwirkung" entfalten könne, die die Anwendung des § 42 AO ausschlie...

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