Rz. 11

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen muss ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bestehen.[1] Ein genügender Anlass besteht dann, wenn der Beschuldigte der vorgeworfenen Steuerstraftat hinreichend verdächtig ist. Nach Auffassung des BGH ist ein hinreichender Tatverdacht zu bejahen, "wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist."[2] Dabei muss der Sachverhalt ausermittelt sein und die Prognose eine Verurteilungswahrscheinlichkeit zulassen.[3]

2.3.1 Verjährung

 

Rz. 12

Im Rahmen der Prüfung, ob der Beschuldigte der vorgeworfenen Tat hinreichend verdächtig ist, muss die Finanzbehörde bereits die Verjährung, einen eventuellen Strafklageverbrauch und die anderweitige Rechtshängigkeit nachvollziehbar darstellen. Dabei unterscheidet sie zwischen der fünfjährigen Verjährung der Steuerverkürzung[1] und der zehnjährigen Verfolgungsverjährung bei den Taten nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 15 AO.[2]

2.3.2 Strafklageverbrauch

 

Rz. 13

Das Strafbefehlsverfahren kommt ferner dann nicht in Betracht, wenn der Täter wegen der vorgeworfenen Tat bereits verurteilt wurde oder aus anderweitigen Gründen ein Strafklageverbrauch eingetreten ist. Dabei richtet sich der Begriff der Tat nach § 264 StPO. Danach ist eine einheitliche Tat dann gegeben, wenn das gesamte Verhalten des Täters bei natürlicher Betrachtung einen einheitlichen Lebenssachverhalt darstellt.[1] Im Steuerstrafrecht kommt dem Tatbegriff insbesondere bei der zeitgleichen Abgabe mehrerer falscher Steuererklärungen für einen Veranlagungszeitraum[2] oder im Verhältnis zwischen Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung[3] eine besondere Bedeutung zu. Wird eine Tat, durch die mehrere Straftatbestände oder ein Straftatbestand mehrfach verletzt werden, abgeurteilt, so entfaltet dies einen Strafklageverbrauch. Es ist unerheblich, ob dies zu empfundenen "materiellen Ungerechtigkeiten" führt.[4] Maßgebend ist, dass der Täter sich darauf verlassen kann, für dieselbe Tat nicht zweimal bestraft zu werden.[5]

2.3.3 Anderweitige Rechtshängigkeit

 

Rz. 14

Schließlich darf die Tat nicht anderweitig rechtshängig sein. Rechtshängigkeit tritt mit der Zulassung der Anklage durch Beschluss (§ 203 StPO) ein oder durch den Erlass eines Strafbefehls. Kommt es trotz anderweitiger Rechtshängigkeit zu einer Verurteilung, weil die anderweitige Rechtshängigkeit übersehen wurde, so tritt damit das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs ein[1].

 

Rz. 15

In der Praxis werden die Fragen nach dem Strafklageverbrauch regelmäßig mittels eines aktuellen Auszugs aus dem Bundeszentralregister geprüft, der zum Bestandteil der Ermittlungsakte zu machen ist. Das Gericht entscheidet im Strafbefehlsverfahren grundsätzlich nach Aktenlage. Kann es dies nicht, weil sich die erforderlichen Informationen, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht, nicht aus den Akten ergeben, so ist der Sachverhalt nicht ausreichend geklärt. In diesem Fall kann das Gericht entweder Nachermittlungen bei der Finanzbehörde anregen oder bei Bedenken eine Hauptverhandlung anberaumen.[2]

[1] BGH v. 17.7.1991, 5 StR 225/91, wistra 1991, 300.
[2] § 408 Abs. 3 S. 2 StPO; BGH v. 30.3.2001, StB 4/01, StB 5/01, NJW 2001, 1734.

2.3.4 Strafrechtlicher Zweifelssatz

 

Rz. 16

Ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht grundsätzlich auch dann, wenn dem Beschuldigten nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" die Tat nicht nachgewiesen werden kann.[1] Denn dieser Grundsatz bindet nur das Gericht, nicht aber die Ermittlungsbehörden. Allerdings bietet es sich an, dass die Finanzbehörde bei ihrer Prognoseentscheidung, ob das Gericht einen Strafbefehl erlassen wird, bestehende Zweifel in ihre Entscheidung einfließen lässt. Jedenfalls fallen rechtliche Zweifel bei einem vollständig ausermittelten Sachverhalt nicht unter den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten".

[1] Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 400 Rz. 4 m. w. N.

2.3.5 Abweichen von höchstrichterlicher Rechtsprechung

 

Rz. 17

Schließlich muss die Finanzbehörde klären, ob sie mit ihrer Entscheidung von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen will. Dabei ist zu unterscheiden, ob von einer Rechtsprechung zugunsten oder zulasten des Beschuldigten abgewichen werden soll.

Wendet die Finanzbehörde eine für den Beschuldigten nachteilige Rechtsprechung nicht an und stellt das Verfahren nur deshalb nach § 170 Abs. 2 StPO ein, so hat sie, das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen und den Ausschluss von Opportunitätsmöglichkeiten vorausgesetzt, den Beurteilungsspielraum falsch ausgefüllt und eine ...

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